Mehrere Baufirmen in Tschechien kämpfen ums nackte Überleben

Das tschechische Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr 2010 um 1,7 Prozent gestiegen. Einen großen Anteil daran hatte die verarbeitende Industrie, die einen Zuwachs von 9,8 Prozent verzeichnete. Im Gegensatz dazu wies das Bauwesen ein Minus von 7,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr aus. Die Baubranche ist bereits seit drei Jahren im Abwärtstrend.

Als das Tschechische Statistikamt (ČSÚ) am Dienstag die neuesten Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung in Tschechien veröffentlichte, gehörte der Bausektor erneut zu den Kellerkindern. Im Januar ist die Bautätigkeit im Jahresvergleich um 5,3 Prozent zurückgegangen. Dabei hatte man gehofft, den kleinen Boom vom Dezember, in der die Kurve um satte 14,5 Prozent nach oben schnellte, vielleicht noch ein wenig fortsetzen zu können. Miroslav Frayer, der Analytiker des Bankhauses Komerční banka, aber stellte klar:

„Im Dezember hat es einen wirklich starken Anstieg im Bauwesen gegeben. Das hatte zwei Gründe: Zum einen war das Wetter unerwartet mild und daher für die Bautätigkeit ziemlich günstig. Deswegen konnten viele Aufträge auch noch zu Ende gebracht und fakturiert werden. Und daraus erschließt sich auch der zweite Grund: Weil im Januar die Mehrwertsteuer erhöht wurde, wollten die Auftraggeber die Rechnungen noch möglichst im alten Jahr begleichen.“

Aus den beiden genannten Gründen ergibt sich, dass der seit 2009 begonnene Abwärtstrend sich folglich auch im Januar fortsetzen musste. Wie aber sieht Frayer die unmittelbar weitere Entwicklung im Bauwesen?

„Wenn wir natürlich auf das Bauwesen in seiner Gesamtheit schauen, dann sind die Aussichten zurzeit alles andere als rosig. Momentan können wir wirklich keine bedeutende Verbesserung erwarten.“

Miroslav Frayer
Das bedeutet auch für die Bauarbeiter nichts Gutes. Schon im vergangenen Jahr wurden ihre nur sehr gering gestiegenen Löhne begleitet von einem Arbeitsplatzabbau, der bei 6,6 Prozent lag. Auch in diesem Jahr wird das Bauwesen voraussichtlich wieder zu den Branchen gehören, in denen mehr Beschäftigte entlassen als eingestellt werden. Und die Löhne werden erneut nur unwesentlich zunehmen: In den Tarifverhandlungen mit den Arbeitgebern haben die Gewerkschafter lediglich eine Lohnerhöhung von 1,9 Prozent durchgesetzt, die ab dem 1. April zu zahlen ist. Analytiker Miroslav Frayer rechnet zudem damit, dass die Auftragslage eher dünn als üppig sein wird:

„Das Baugewerbe kann nicht erwarten, dass die Nachfrage nach Wohnungen oder die staatlichen Investitionen in die Infrastruktur besonders hoch sein werden. Deshalb rechnen wir in diesem Jahr mit einem weiteren Rückgang der Bautätigkeit um anderthalb Prozent.“

Wird der Abwärtstrend im Bauwesen also anhalten? In dieser Frage sieht Miroslav Frayer nicht ganz so schwarz:

„Für dieses Jahr und aller Voraussicht nach auch das nächste Jahr können wir noch keine Trendwende ausmachen. Für die nachfolgenden Jahre aber halten wir die Trendwende für wahrscheinlich.“

In einem Punkt seiner Einschätzung zur Situation im Bauwesen aber hat Analytiker Frayer nur zum Teil recht. Unstrittig ist, dass im Zuge der Sparmaßnahmen, die sich das Kabinett Nečas in diesem Jahr auferlegt hat, auch das Verkehrsministerium mit weniger Geld auskommen muss als früher. Zum Bau von Autobahnen stehen dem Ressort so nur 66 Milliarden Kronen (ca. 2,7 Milliarden Euro) zur Verfügung, das ist ein Drittel weniger als noch im Jahr 2010. Verkehrsminister Pavel Dobeš kam somit zu dieser Idee:

Pavel Dobeš  (Foto: ČTK)
„Gerade die Aufschubzahlung ist eine der Möglichkeiten, wie wir den Preis für Verkehrsbauten, die schon ab diesem Jahr gebaut werden, begleichen können.“

Mit anderen Worten: Verkehrsminister Dobeš will einige Verkehrsbauten sofort bauen lassen, die Rechnung aber erst nach dem Jahr 2016 begleichen, wenn sich die Haushaltslage wieder konsolidiert haben dürfte. Bei dieser Variante spielt ihm die Situation in der Baubranche in die Karten, denn fast jede Baufirma ist froh, wenn sie ausreichend Aufträge bekommt. Erhält die Firma dabei einen staatlichen Auftrag, bei dem mit hoher Sicherheit gezahlt wird, dann würde sie vermutlich schon im Voraus in Leistung treten. Das meint jedenfalls der Generaldirektor des Unternehmens Metrostav, Pavel Pilát:

Pavel Pilát
„Das ist gewiss akzeptabler als überhaupt nicht zu bauen.“

Der Präsident des Bauunternehmer-Verbandes, Václav Matyáš, wiederum hebt hervor, wie ernst die Lage auf dem Bausektor bereits ist:

„In der jüngeren Vergangenheit haben wir Insolvenzen oder Probleme auch bei großen Baufirmen registrieren müssen. Einige von ihnen sind daran sogar zu Fall gekommen. Und die kleinen wie mittleren Firmen kämpfen derzeit ohne Zweifel einfach ums Überleben.“

Doch selbst eine Auftragsvergabe mit späterer Bezahlung muss die Bauunternehmen nicht vor einem Bankrott retten. Der Staat hat nämlich in den letzten Jahren auch an der Vorbereitung von Projekten gespart.

Václav Matyáš
„Man muss sich vor Augen halten, dass in den zurückliegenden drei Jahren kein einziges großes Verkehrsinfrastruktur-Projekt in Angriff genommen wurde. Aber nicht nur das. Die großen Projektbüros mussten vielmehr Leute entlassen, weil es nichts zu projektieren gab“, sagte Bauunternehmer-Verbandschef Václav Matyáš.

Kein Wunder also, dass die Baubranche immer weiter ins Hintertreffen gelangt. Im Jahr 2011 wurde der Wohnungsbau bereits zurückgefahren. Gegenüber dem Jahr 2010 wurden zwei Prozent des Baus neuer Wohnungen weniger in Angriff genommen. Nach Meinung des Analytikers der Raiffeisenbank in Prag, Václav Franče, wird sich daran erst etwas ändern, wenn es im Land wieder ein Wirtschaftswachstum gibt. Deshalb werde das Bauwesen die Talsohle vermutlich erst im nächsten Jahr durchschreiten, ergänzte Franče.