„Menschenrechte fehlen“ – Reaktionen auf den Visegrád-Gipfel

Foto: ČTK

Soviel Aufmerksamkeit hat die Visegrád-Gruppe selten. Am Freitag demonstrierten die Premiers von Tschechien, Polen, Ungarn und der Slowakei erneut Geschlossenheit. Bei ihrem Treffen in Prag wiesen sie eine Verteilung von Flüchtlingen nach Quoten auf die EU-Länder erneut vehement zurück. In deutschen Medien war nach dem Gipfel von „Vier ohne Erbarmen“ und „Dunkeleuropa“ die Rede. Wie sahen die Reaktionen in Tschechien aus?

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Die Empörung in deutschen Medien ist groß, weil die Visegrád-Länder nach einer europäischen Lösung rufen – aber keine Veranlassung sehen, tausende Flüchtlinge gerecht auf alle EU-Mitgliedsländer zu verteilen. Damit sind sie in der EU nicht allein. Das Quartett aus Mitteleuropa beschwor am Freitag ein Gefahrenszenario – nicht für Flüchtlinge, sondern für die EU. Robert Fico ist Regierungschef der Slowakei:

„Wir müssen alles tun, um die Werte des Schengenraums zu erhalten. Wenn wir dem Druck nachgeben und die Grundpfeiler der Europäischen Union aufgeben, haben wir verloren. Wir können den Zustrom aus diesen problematischen Ländern nicht stoppen, indem wir Kontrollen an den Innengrenzen einführen oder irgendwelche Quoten.“

Robert Fico,  Ewa Kopacz,  Bohuslav Sobotka und Viktor Orbán  (Foto: ČTK)
Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts STEM aus der vergangenen Woche plädieren in Tschechien 52 der Prozent Bevölkerung für eine Aufteilung von Flüchtlingen auf die EU-Staaten – dabei wurde aber nicht explizit nach Pflichtquoten gefragt. Die tschechische Politik steht geschlossen hinter dem Beschluss der Visegrád-Gruppe. Auch die Opposition von den Konservativen bis zu den Kommunisten unterstützt die Vorschläge zur Flüchtlingskrise, die auf größtmögliche Sicherheit, eine stärkere Abschottung an den Außengrenzen, und die Bekämpfung der Ursachen in Nordafrika und im Nahen Osten zielen. In den Medien allerdings gab es auch kritische Stimmen. Der Publizist Jaroslav Šonka etwa vermisste beim Auftritt von Orbán, Sobotka, Fico und Ewa Kopacz in Prag ein ganz entscheidendes Element, wie er im Tschechischen Fernsehen sagte:

Bürgerkrieg in Syrien  (Foto: Voice of America News,  Public Domain)
„Sie haben die europäischen Normen gelernt, aber ein paar Dinge haben doch gefehlt. Dem Signal, dass sie nach Brüssel gesandt haben, fehlt eines der ganz grundlegenden Dinge, nämlich die Menschenrechte und ihre Allgemeingültigkeit.“

Die Zeitung Hospodářské noviny fragte am Montag, wie sich der tschechische Premier die Ursachenbekämpfung vorstelle: Bomben und Panzer nach Syrien schicken? Und stattdessen weiterhin die konkrete Flüchtlingshilfe den Deutschen und Österreichern überlassen? Dass die Politik zum Schutz der tschechischen Grenzen inzwischen sogar der Einsatz der Armee in Betracht zieht, bringe Humanisten zum Weinen, hieß es in dem Blatt Lidové noviny. Der Publizist Jaroslav Šonka stellte nach dem Visegrád-Gipfel ganz grundsätzlich die Bedeutung des Bündnisses in Frage:

Jaroslav Šonka  (Foto: Šárka Ševčíková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Es muss immer wieder neu gefragt werden, wie diese Visegrád-Gruppe in Europa überhaupt wahrgenommen wird. Sehen wir uns doch Viktor Orbán an, er ist kein toleranter europäischer Politiker. Und auch unser vormaliger Präsident in Tschechien hat nicht gerade für großes Vertrauen in der EU gesorgt. Nun treffen sich hier die vier Regierungschefs, und auf einmal sollte man ihnen Vertrauen entgegenbringen?“

Gerade der frühere Präsident, Václav Klaus, stieß am Wochenende noch einmal ins gleiche Horn wie alle tschechischen Politiker. In einer Petition warnte er vor „falscher Solidarität“ mit den Flüchtlingen. Ob die Haltung der Visegrád-Staaten unveränderlich bleibt, wird sich beim EU-Sondertreffen am 14. September in Brüssel zeigen. Am Montag veröffentliche die Nachrichtenagentur Reuters neue Details zum Quotenvorschlag der EU-Kommission, der dann verhandelt wird. Demnach soll Tschechien von insgesamt 120.000 Flüchtlingen knapp 3000 aufnehmen. Bisher steht das Angebot einer freiwilligen Aufnahme von 1.500 Menschen im Raum.