Tiefer Graben zwischen Visegrád-Staaten wegen Ukraine-Krieg – doch die Zusammenarbeit läuft weiter

Das Treffen der V4-Chefs in Prag, Robert Fico, Donald Tusk, Petr Fiala, Viktor Orbán

Schon in den vergangenen Jahren war die Visegrád-Gruppe nicht mehr so einheitlich aufgetreten wie zum Beispiel während der Flüchtlingskrise. Einen wirklich tiefen Graben zwischen den vier Ländern hat aber nun die Aggression Russlands in der Ukraine gerissen. Dennoch konnten sich die Premierminister bei ihrem Treffen in Prag auch auf gemeinsame Ziele verständigen – und wollen vorerst als V4 weitermachen.

Das Treffen der V4-Chefs in Prag | Foto: Regierungsamt der Tschechischen Republik

Auf der einen Seite sind Tschechien und Polen, auf der anderen die Slowakei und Ungarn. Die einen halten militärische Hilfe für die Ukraine für essentiell, die anderen fordern ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen und die Aufnahme von Friedensgesprächen. Mitten durch die Visegrád-Gruppe verläuft also ein tiefer Graben. Und noch nie war dies so deutlich zu sehen wie beim Treffen der vier Regierungschefs am Dienstag in Prag. Auch der tschechische Premier Petr Fiala (Bürgerdemokraten) machte als Gastgeber keinen Hehl aus diesem Gegensatz:

„Zwischen uns bestehen Unterschiede in den Ansichten. Und diese Unterschiede sind auch öffentlich bekannt. Zugleich hat sich gezeigt, dass wir in zwei grundlegenden Dingen einig sind. Das erste ist, dass die russische Aggression eine grobe Verletzung internationalen Rechts darstellt. Das zweite ist, dass der Ukraine geholfen werden muss. Allerdings unterscheiden wir uns in den Vorstellungen darüber, welche Form diese Hilfe haben soll.“

Tschechien und Polen drängen auf die Lieferung von mehr Waffen. Der slowakische Premier Robert Fico (Smer) sagte hingegen bei der Pressekonferenz nach der Sitzung der Visegrád-Gruppe:

Das Treffen der V4-Chefs in Prag | Foto: Ondřej Deml,  ČTK

„Meine Regierung wird der Ukraine nicht militärisch helfen, wenn es um Waffen, Verteidigungstechnik oder Munition aus den Beständen des Staates und der Armee geht. Kommerziellen Tätigkeiten in dieser Richtung werden wir aber keine Hindernisse in den Weg stellen.“

Fico sprach zudem von gemeinsamen Projekten mit der Ukraine beim Wiederaufbau und in humanitärer Hinsicht. Auch der ungarische Premierminister Viktor Orban meinte, sein Land werde helfen, und begründete dies mit der historischen Erfahrung. Man wolle nicht wieder eine gemeinsame Grenze mit Russland. Die habe es schon einmal gegeben, und das mit einem schlechten Ende, so Orban.

Demonstranten mit Transparenten gegen Robert Fico und Viktor Orbán | Foto: Zuzana Jarolímková,  iROZHLAS.cz

Zudem drängen Ungarn und die Slowakei auf ein sofortiges Ende des Krieges. Petr Fiala hält diesen Ansatz jedoch für gefährlich.

„Ich glaube nicht an eine pazifistische Lösung und dass mit einem Einknicken gegenüber dem Aggressor ein dauerhafter Frieden erreicht werden kann. Stattdessen glaube ich daran, dass man für den Frieden kämpfen und Entschlossenheit sowie Stärke zeigen muss“, so der tschechische Premier.

Petr Fiala und Donald Tusk | Foto: Zuzana Jarolímková,  iROZHLAS.cz

Trotz des tiefen Grabens wollen die Visegrád-Staaten aber ihre Zusammenarbeit weiterführen. Dies ist ein weiteres zentrales Ergebnis des Treffens. Denn man sei sich bei vielen Themen der Europa-Politik einig, sagten alle vier Regierungschefs. Selbst der polnische Ministerpräsident Donald Tusk, der mit großer Skepsis nach Prag gereist war, meinte nach den Gesprächen:

„Für Polen ist es besser – und auch für Tschechien, Ungarn und die Slowakei –, wenn die Visgrád-Vier möglichst solidarisch sind. Heute ist das vielleicht schwieriger als früher. Aber ich sähe es gerne, wenn wir alle daran arbeiten, dass wir uns wenigstens bei einem Teil der Fragen verständigen können. Nach dem heutigen Treffen bin ich vorsichtig optimistisch.“

Es war aber Robert Fico, der am deutlichsten für das Fortbestehen der Visegrád-Gruppe argumentierte. Er verwies darauf, dass sie schließlich rund 60 Millionen Menschen in der EU repräsentiere und daher auch von großen Staaten wie Deutschland und Frankreich nicht so einfach übergangen werden könne.

In diesem Sinne verständigten sich die vier Ministerpräsidenten bei den Themen Agrarpolitik und Migration, aber auch in der Frage einer möglichen Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip bei zentralen Entscheidungen im Europäischen Rat.

„Wir teilen die Ansicht, dass das Recht auf ein Veto erhalten bleiben muss und die grundlegenden EU-Verträge nicht verändert werden sollen“, sagte Robert Fico.

Es scheint also, dass die Visegrád-Gruppe zumindest in den kommenden Monaten weiter aktiv sein wird.

Autor: Till Janzer | Quellen: Český rozhlas , Česká televize , ČTK
schlüsselwort:
abspielen