Mezzosopranistin Dagmar Pecková: „Ohne Deutschland wäre ich heute nicht da, wo ich bin.“
Die tschechische Mezzosopranistin Dagmar Pecková blickt schon heute auf eine äußerst erfolgreiche Karriere auf zahlreichen Konzert- und Opernbühnen der Welt zurück. In welcher Rolle tritt sie nach über 20 Jahren wieder im Nationaltheater in Prag auf? Was bedeutet Deutschland für ihre Karriere und ihr Privatleben? Und warum organisiert sie das Festival „Zlatá Pecka“?
Frau Pecková, Sie sind kurz vor Ende des Jahres auf die Bühne des Prager Nationaltheaters zurückgekehrt. Sie spielen und singen im Einakter „Die Sieben Todsünden“ von Kurt Weill. Weill ist für Sie ein großes Thema. Vor einigen Jahren haben Sie bereits die Cabaret-Revue „Wanted“ mit seinen Melodien in Prag aufgeführt. Was bedeutet es für Sie, gerade mit seiner Musik auf die Bühne des Nationaltheaters zurückzukehren?
„‚Musica non grata‘ ist ein tolles Projekt: Es bringt weniger bekannte Opern auf tschechische Bühnen, die eigentlich hierher gehören.“
„Ich wirke im Projekt ‚Musica non grata‘ mit. An einem Abend werden zwei deutsche Einakter-Opern aufgeführt, und zwar ‚Die sieben Todsünden‘ vom Autorenduo Weill/Brecht und Schönbergs ‚Erwartung‘. Es war immer mein großer Traum, ‚Die sieben Todsünden‘ zu spielen, und dieser ist nun in Erfüllung gegangen. ‚Musica non grata‘ ist ein tolles Projekt: Der Opernchef Hansen bringt weniger bekannte Opern auf tschechische Bühnen, die eigentlich hierher gehören. Zwischen den beiden Weltkriegen gab es hierzulande eine sehr starke jüdisch-deutsche Kultur. Es ist an der Zeit, sie wieder zu erwecken, weil ich glaube, dass die Tschechen dazugehören. Wir waren immer ein Teil dieser westlichen Kultur. Man hat versucht, dies nach der Auflösung der K.-u.-k.-Monarchie zu ändern. Hitler hat zusätzlich viel zerstört, und dann haben die Kommunisten es zu Ende geführt. Deshalb ist es gut, diese Musik wieder hierher zu holen. Es ist schön, ‚Carmen‘ zu spielen, und es ist schön, ‚Die verkaufte Braut‘ zu spielen. Aber in der Welt existiert noch so viel fantastische Musik, die man unbedingt kennenlernen muss.“
Sie haben gesagt, die Rolle der Anna in „Die sieben Todsünden“ war Ihr Traum. Warum?
„Ich bin einfach ein großer Fan des Weill- und Brecht-Theaters. 1992 habe ich mit Ruth Berghaus an der Stuttgarter Staatsoper gearbeitet, zusammen haben wir die Oper von Weill und Brecht ‚Aufstieg und Fall der Stadt Mahagony‘ aufgeführt. Ruth Berghaus war die vierte Ehefrau von Paul Dessau, und der war sehr lange direkter Mitarbeiter von Bertold Brecht. Diese Frau hat mir wahnsinnig geholfen, das ganze Repertoire von Weill und Brecht zu verstehen. Sie hat mir viel erzählt über die Zeit und den Stil, wie man die Stücke aufführen und singen soll und was dabei wichtig ist. Ich habe verstanden, dass ich andere Sängerinnen nicht nur kopieren soll. Berghaus sagte mir, ich habe eine Partitur, ich habe Texte und eine eigene Seele und solle für mich selbst auf die Bühne gehen. Weill ist ein Autor, bei dem man sehr viele Wege gehen kann, und alle sind richtig. Die Opernsängerinnen Anna Silja oder Anne Sophie von Otter etwa sind für mich große Vorbilder. Dies ist eher mein Stil als der von Lotte Lenya oder Utte Lemper.“
„Ich bin einfach ein großer Fan des Weill- und Brecht-Theaters.“
Sie haben Ihren Auftritt in Stuttgart 1992 erwähnt. Ihre Karriere in Deutschland hat aber eigentlich schon früher begonnen, nämlich in den 1980er Jahren. Was bedeutet für Sie die deutsche Opernwelt? Können Sie sich an diese Anfänge erinnern?
„Selbstverständlich. Ich wurde hierzulande abgestempelt, weil ich Musical und Operette gesungen habe. Ich war 22 Jahre alt und war die Elisa Doolittle von Prag. Das war ein bombastischer Erfolg. Aber ich wollte mehr, ich wollte immer Opern singen und habe mich am tschechischen Nationaltheater beworben. Der damalige Chef Zdeněk Košler hat mir nach meiner Vorstellung gesagt, dass ich überhaupt kein Talent habe und zurück zur Operette gehen solle. Ich war ganz unglücklich und wusste nicht, was ich machen soll. Ein damaliger Kollege war im Opernstudio Dresden und hat mir gesagt, ich solle dort vorsingen. Das war 1985. Ich habe also vorgesungen und wurde sofort aufgenommen. Sofort bekam ich Bühnenrollen und habe eine raketenhafte Karriere gemacht.“
„In Dresden bekam ich sofort Bühnenrollen und habe eine raketenhafte Karriere gemacht.“
Nach zwei Jahren an der Semperoper in Dresden wechselten Sie an die Staatsoper Berlin. Ein Ersatzengagement bedeutete damals einen wichtigen Meilenstein in Ihrer Karriere…
„Ich kann mich an ein Konzert ‚Vivat Verdi‘ 1988 in Dresden erinnern. Die berühmte Agnes Baltsa war krank und nicht gekommen. Man überlegte, wer Eboli singen sollte und kam auf die ‚Kleine‘ aus dem Opernstudio. Ich bin also für Agnes Baltsa eingesprungen. Das Konzert wurde von Eurovision gesendet. Ein Architekt in Zürich hat es gesehen, weil er sich eigentlich das Dresdner Opernhaus nach dessen Eröffnung anschauen wollte. Bei meinem Auftritt weckte er seine schlafende Frau, die bei der Balmer-Dixon-Agentur in Zürich als Managerin arbeitete. Sie hat mich gesehen und war ganz baff. Aber erst ein Jahr später hat sie mich angesprochen, als ich in Italien gesungen habe. Da hat unsere Zusammenarbeit angefangen. Meine neue Managerin hat mich innerhalb von zweieinhalb Jahren nach Covent Garden gebracht, an alle drei Bühnen der Pariser Oper, in Deutschland hatte ich plötzlich überall offene Türen, in Italien, in Amerika… Es lief ganz wunderbar. Ich habe einen großen Dank an Deutschland auszusprechen, dass mich dieses Volk und die dortigen Theaterleute ins Herz geschlossen haben. Ohne Deutschland wäre ich heute nicht da, wo ich bin.“
„Meine Idee bei der Festivalgründung war, dass meine Heimatstadt Chrudim, die übrigens wunderschön ist, lebt.“
Ich möchte noch einen Bereich erwähnen, in dem Sie nun tätig sind. Sie haben vor einigen Jahren in Ihrer Heimatstadt Chrudim in Ostböhmen ein Festival gegründet. Was ist das für ein Festival?
„Das Festival heißt ‚Goldene Pecka‘. Pecka heißt zwar auf Tschechisch Obststein, aber der Name hat selbstverständlich mit mir als Pecková zu tun. Das Festival ist nicht nur klassischem Gesang gewidmet, sondern auch der Schauspielkunst sowie der Föderung von jungen Talenten. Ich leite das Projekt ‚Pěvissimo‘. Das sind dreitägige Kurse für Opernsänger bis 30 Jahre, die sich dann auch mit einem Konzert zeigen können. Unter dem Titel ‚Talentissimo’ gibt es weitere Kurse für Kinder bis 15 Jahre – die größten Talente auf verschiedenen Instrumenten, die man in Tschechien hören kann. Das Festival dauert zehn Tage, jeden Tag findet eine Veranstaltung statt. Ich habe gerade eine Auszeichnung vom ostböhmischen Kreishauptmann bekommen, was mich sehr gefreut hat. Ich organisiere dies alles, damit die Leute diese Region und meine Heimatstadt – die übrigens wunderschön ist – kennenlernen. Ich möchte, dass die Stadt Chrudim lebt, und zwar ein bisschen anders als bis jetzt. Das war meine Idee bei der Festivalgründung, das ist meine Aufgabe.“
„Alles, was ich mit meiner Stimme erreichen konnte, habe ich erreicht.“
Sie haben in Deutschland Karriere gemacht, später haben Sie dort auch eine Familie gegründet. Wie teilen Sie heute Ihr Leben zwischen Tschechien und Deutschland ein?
„Die Kinder sind inzwischen groß. Mein Sohn wird 25, er wohnt schon allein. Meine Tochter ist gerade nach Weimar gezogen und studiert Architektur am Bauhaus. Mein Mann ist schon in die Rente gegangen, er war Orchesterposaunist in Baden-Baden und in Stuttgart. Also habe ich jetzt alle Möglichkeiten, eine große Karriere zu starten… Das ist selbstverständlich als Witz gemeint. Ich bin 60 und versuche, meine Zeit nicht nur zwischen Singen und meinen Gesangsprojekten aufzuteilen. Außerdem bin ich nun auch Schauspielerin. Auf Deutsch habe ich es erst gar nicht versucht, das ist zu schwer. Aber auf tschechischen Bühnen trete ich auf. Vor einem Jahr hatte ich Premiere in Mladá Boleslav / Jungbunzlau, und zwar mit ‚Masterclass‘ von Terence McNelly. Das Stück handelt von Maria Callas, die auf der Bühne Studenten unterrichtet. In dieser Figur singe ich auch ein paar Takte. Aber vor allem spreche ich zwei Stunden beinahe allein auf der Bühne. Die Leute amüsieren sich. Es ist ein großer Erfolg, und das macht mir Spaß. Ich sehe, dass ich meine Talente weiterentwickeln und die Oper und den klassischen Gesang mal zur Seite schieben kann, wenn meine Stimme nicht mehr so funktioniert wie früher. Also und ich kann mich woanders realisieren. Das ist vielleicht nicht mehr die Weltkarriere. Aber alles, was ich mit meiner Stimme erreichen konnte, habe ich erreicht. Jetzt mache ich einfach etwas, was auch Spaß macht, allerdings in einem etwa anderen Rahmen. Aber selbstverständlich liebe ich meine Kinder und meinen Mann. Wir treffen uns zu Weihnachten wieder zu Hause und machen uns eine schöne Zeit. Ich finde es wunderbar, wenn nach fast 22 Jahren Ehe eine Freundschaft entstanden ist und man sich gegenseitig etwa gönnt, was man gern hat.“