Milan Kundera von seiner kommunistischen Vergangenheit eingeholt

Milan Kundera (Foto: ČTK)

Er ist der wahrscheinlich berühmteste lebende Schriftsteller mit tschechischen Wurzeln. Seit fast 25 Jahren hat er sich nicht mehr gegenüber den Medien geäußert. Nun hat er sein Schweigen gebrochen: Milan Kundera reagierte auf die Veröffentlichung des Dokuments, demzufolge er vor fast 60 Jahren einen Antikommunisten bei der Sicherheitspolizei denunziert hat.

Milan Kundera  (Foto: ČTK)
Das Institut für das Studium totalitärer Regimes (ÚSTR) und das renommierte Wochenmagazin „Respekt“ haben am Montag eine Geschichte veröffentlicht, die sich vor 58 Jahren abgespielt hat. Der 21-jährige Kundera studierte damals Regie an der Prager Filmakademie. Miroslav Dvořáček war ein Jahr älter. Er kam im März 1950 nach Prag, um seine Aufgabe als Agent des westlichen Geheimdienstes zu erfüllen. Er sollte einen wichtigen Mitarbeiter des Betriebs Chemapol kontaktieren. Beim Besuch in Prag begegnete Dvořáček zufälligerweise seiner alten Bekannten Iva Militká. Er vereinbarte mit ihr, dass er im Studentenwohnheim übernachten wird. Die Studentin erwähnte den erwarteten Gast ihrem damaligen Freund und späteren Mann gegenüber. Und dieser erzählte alles danach seinem Freund Milan Kundera. In den Archiven wurde ein Protokoll der Sicherheitspolizei gefunden, demzufolge es eben Kundera war, der Dvořáček bei der Polizei angezeigt hatte. Dvořáček drohte zunächst die Todesstrafe, schließlich wurde er zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt. Insgesamt 14 Jahre verbrachte er tatsächlich in kommunistischer Haft. Seit 1968 lebt er in Schweden. Wahrscheinlich hat er bislang seine Bekannte Militká verdächtigt, dass sie ihn damals denunziert hatte.

Miroslav Dvořáček  (Foto: ABS Archiv)
Milan Kundera, der seit 1975 in Paris lebt, bezeichnete das veröffentlichte Dokument am Montag in einem Telefongespräch mit der Nachrichtenagentur ČTK als Lüge:

„Ich bin völlig überrascht durch etwas, das ich nicht erwartet habe und wovon ich gestern noch nichts gewusst habe. Und was nicht passiert ist. Ich habe diesen Menschen (Dvořáček - Anm. d. Red.) doch nie gesehen. Ich habe ihn gar nicht gekannt. Das ist das Einzige, woran ich mich erinnere. Wie es dazu kam, dass mein Name dort auftaucht, ist ein Rätsel, das ich nicht erklären kann.“

Kundera nannte die Veröffentlichung des Dokuments durch das Institut und die Medien ein „Attentat auf einen Schriftsteller“. Ein solches sei knapp vor dem Beginn der Frankfurter Buchmesse besonders wirkungsvoll, so Kundera.

Die Mitarbeiter des Instituts für das Studium totalitärer Regimes stießen bei der Bearbeitung der Geschichte von Miroslav Dvořáček auf das Dokument mit Kunderas Namen. Historiker Vojtěch Ripka erklärte im Tschechischen Fernsehen, er habe keinen Grund anzunehmen, dass das Dokument nicht echt sei:

„Uns tut es leid, dass sich Herr Kundera zu diesem Fall so knapp geäußert hat und nicht auf das Wesentliche eingegangen ist: ob er damals bei der Polizei war, ob er Herrn Dlask, den Freund von Militká, gekannt hat. Eines kann man nicht bestreiten: Es ist klar, dass er Herrn Dvořáček nicht gekannt hat.“

Die Mitarbeiter des Instituts zweifeln nicht daran, dass die Anzeige bei der Polizei die Verhaftung von Miroslav Dvořáček zur Folge hatte.

Ivan Klíma
„Die Meldung von Herrn Kundera ist Bestandteil der Untersuchungsakte und führte eindeutig zur Verurteilung des Mannes. Ich möchte sicher nicht darüber spekulieren, wie es sonst hätte passieren können. Kurz und gut, Herr Kundera kam zur Polizei und erstattete die Meldung, aufgrund derer Herr Dvořáček festgenommen wurde“, so Ripka.

In tschechischen Medien wird in diesem Zusammenhang über eventuelle Motive spekuliert, die den damals noch passionierten Kommunisten Kundera zu seiner Tat bewegt haben könnten. Es wird zudem nach eventuellen Parallelen zu dieser Geschichte in Kunderas Werk gesucht. Auf die Bewertung von Kunderas literarischer Arbeit dürfte sich die Information aus den Polizeiakten jedoch nicht auswirken, darüber waren sich alle von den Medien angesprochenen Literaturkritiker und Schriftsteller einig. So auch der Schriftsteller Ivan Klíma:

„Das Leben des Autors zu kennen, kann manchmal zum besseren Verständnis des Werks beitragen. Aber sonst meine ich, dass das Werk unabhängig ist. Mein Kollege Ludvík Vaculík sagte immer, dass das Werk eines guten Schriftstellers immer besser als der Autor selbst ist.“