Milena Oda schreibt auf Deutsch: „Der ganze Körper ist in Bewegung, wenn ich schreibe“

Milena Oda

Prag ist berühmt für jene Schriftsteller, die bis zur zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts auf Deutsch schrieben. Das Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren will diese Tradition pflegen. In der Gegenwart sind tschechische Schriftsteller, die auf Deutsch schreiben, aber eher spärlich gesät. Milena Oda ist eine Ausnahme: Ihr Debütroman „Nennen Sie mich Diener“ wurde im vergangenen Jahr veröffentlicht. Im Interview mit Radio Prag erklärt sie, wie und warum sie auf Deutsch schreibt.

Milena Oda
Frau Oda, Sie sind Schriftstellerin - eine Tschechin, die auf Deutsch schreibt. Was hat Sie dazu gebracht, ausgerechnet in der Sprache des größten Nachbarn zu schreiben?

„Wenn ein kleiner Nachbar die Sprache des größeren Nachbarn spricht, hat das auch Vorteile. Man kann mit dem großen Nachbarn sprechen, während der große Nachbar nicht auf Tschechisch sprechen kann. Mein Großvater hat mir immer gesagt: Du musst mit den Nachbarn sprechen. Wir müssen unsere Vergangenheit gemeinsam besprechen. Er war Professor für Deutsch und Tschechisch und er hat mich und meine Mutter dazu gebracht, Deutsch zu lernen. Ich habe es autodidaktisch gelernt, weil es damals nur Russisch-Unterricht gab. Sprachschulen gab es zwar, aber in unserem kleinen Dorf erst später. Es war eine gewisse Entwicklung, während der ich Deutsch immer als etwas Positives und nicht als etwas Negatives gesehen habe.“

Das Sprechen in einer Fremdsprache ist ja relativ schnell erlernbar. Das Schreiben in einer Fremdsprache ist aber doch sehr schwierig. Haben Sie da keine Probleme, die eigenen Gedanken in einer anderen Sprache festzuhalten?

„Beim Schreiben habe ich solche Probleme nicht, ich entwickle meine eigene kleine Welt schon auf Deutsch. Ich denke bereits in dieser Sprache, ich schreibe ja auch schon seit zehn Jahren auf Deutsch. Ich merke dabei, wie ich mich entwickelt habe, es war vor zehn Jahren anders als jetzt und auch vor fünf Jahren. Ich glaube, die Sprache wächst in mir und wird zur Muttersprache – aber trotzdem ist es eine andere Sprache, denn ich habe andere Emotionen, wenn ich Deutsch spreche, als wenn ich Tschechisch spreche. Deutsch hat für mich ganz andere Konnotationen als Tschechisch. Es sind für mich zwei Welten, aber auf Deutsch zu schreiben bedeutet für mich mittlerweile etwas Selbstverständliches. Wenn ich eine Idee oder einen Gedanken habe, dann schreibe ich ihn direkt auf Deutsch auf. Diese Sprache ist etwas, das ich als ganz selbstverständlich wahrnehme. Ich schreibe auch lieber Deutsch, als zu sprechen.“

Gab es ein besonderes Ereignis oder einen Gedanken, der dazu geführt hat, dass Sie gesagt haben: Ich schreibe auf Deutsch?

„Es gab mehrere Impulse. Einer war, dass ich es spannend finde, beim Schreiben diese gewisse Herausforderung zu spüren. Übertrieben gesagt, fand ich Tschechisch bereits langweilig. Mir fehlte der Reiz, und den habe ich beim Schreiben auf Deutsch bekommen. Das hängt damit zusammen, dass ich diesen Reiz auch in meinen Gedanken und in meinem Herz gespürt habe, also fast der ganze Körper ist in Bewegung, wenn ich auf Deutsch schreibe.“

Würden Sie denn noch mal auf Tschechisch schreiben, oder haben Sie diesen Wunsch nicht mehr?

„Ich veröffentliche ganz regelmäßig in der Literaturzeitung `Literarní noviny´. Dort veröffentliche ich kurze Essays, gerade erst habe ich ein Essay über Identität geschrieben. Und ich schreibe auch Gedichte auf Tschechisch, aber Prosa eben nicht - das ist eine Welt für sich. Da müsste ich ganz neu denken und fühlen. Auf Tschechisch zu schreiben würde für mich vor allem bedeuten, wieder eine ganz neue Welt zu öffnen. Mir reicht es derzeit, Essays und Gedichte auf Tschechisch zu schreiben.“

Sie sind ja auch Übersetzerin. Würden Sie Ihre eigenen Bücher aus dem Deutschen ins Tschechische übersetzen?

„Nein, leider nicht. Ich habe es einmal gemacht, mit meinem Theaterstück `Mehr als Meer`, auf Tschechisch `Pěkné vyhlídky`, ´Schöne Aussichten`. Dabei habe ich gemerkt, wie anstrengend das ist. Ich spreche ja ständig von Gedanken, Emotionen und von einer eigenen Welt. Jede Sprache hat eine eigene Welt, die tut sich dann auf, wenn ich in dieser Sprache schreibe. Bei der Übersetzung habe ich dann gemerkt, wie ich beim Schreiben auf Tschechisch ganz woanders hingehe. Neue Gedanken, neue Impulse entstehen um die Figur herum, und das hat mich zum Wahnsinn geführt. Würde ich ein komplett neues Theaterstück schreiben, dann wäre dies auch auf Tschechisch möglich.“

Foto: Verlag Schumachergebler
Ihr Debütroman heißt `Nennen Sie mich Diener´. Wie würden Sie Ihren literarischen Stil beschreiben?

„Mein literarischer Stil entsteht dadurch, dass ich den Text systematisch aufbaue. Da Deutsch nicht meine Muttersprache ist, ich aber zugleich sicher in der Sprache bin, erlaube ich mir neue Wörter und neue Assoziationen. Ich habe mehr Mut auf Deutsch, ich habe keine Angst, wie vor dem Tschechischen. Da werde ich ständig durch das Ursprüngliche kontrolliert, das bereits in mir verankert ist. Erst die Lektorin sagt mir dann: `Hey Milena, das geht so nicht!`“

Hat man als Fremdsprachiger, also als jemand, der in einer Fremdsprache schreibt, bei den Kritikern eher einen Vor- oder einen Nachteil?

Illustrationsfoto
„So viele Kritiker haben mich noch nicht besprochen. Aber ich habe es beim `Bachmann-Preis´ erlebt, für den ich 2007 nominiert war. Die Kritik war schon sehr heftig, weil das natürlich sehr öffentlich war. Eine Jurorin hat gefragt: Wie können wir einen Text bewerten, der nicht von einer deutschen Muttersprachlerin geschrieben wurde? Die Anspielungen auf grammatische Fehler waren schon sehr heftig. Gerade beim Bachmann-Preis habe ich die Anspielungen auch als böswillig empfunden. Es hat mich gekränkt und krank gemacht. Mit großer Liebe gebe ich mich der Sprache hin, und Abneigung und sogar Bösartigkeit erlebe ich als Feedback.“

Sie sagen, Sie sind von den Deutschen kritisiert worden, dass Sie auf Deutsch schreiben. Gab es denn von tschechischer Seite auch mal Kritik, dass Sie nicht auf Tschechisch schreiben?

New York
„Die Zeit von 2001 bis 2003, als ich begonnen habe, auf Deutsch zu schreiben, war sehr seltsam. In Tschechien wurde ich nicht verstanden und teilweise sogar missachtet, weil ich diese komische Sprache ausgewählt habe, diese Sprache des Zweiten Weltkriegs. Solche Resonanzen waren damals noch sehr stark. In Deutschland hat man mich dann kritisiert, dass ich diese schöne tschechische Sprache, meine eigene Sprache, für die deutsche aufgebe.“

Sie gehen jetzt nach New York, nach Amerika, für drei Monate. Bleiben Sie beim Deutschen, werden Sie weiter auf Deutsch schreiben oder werden Sie nun einen Wechsel ins Englische machen?

„Ich mag Englisch sehr, ich liebe es sogar. Es ist natürlich eine Sprache, die jeder spricht, jeder natürlich in Anführungszeichen. Wer weiß, ich will es nicht ausschließen. Ich habe bereits auf Englisch geschrieben, und viele meiner Gedichte auf Englisch auf Videos aufgenommen. Ich finde, es gehört zu mir.“