Minderheiten in der Tschechischen Republik (1)
"Die Frage der nationalen Minderheiten ist nicht nur für Böhmen, sondern für fast alle Staaten von entscheidender Wichtigkeit, denn fast alle Staaten sind national gemischt. ...In Hinsicht auf seine zentrale Lage wird der tschechoslowakische Staat immer ein Interesse daran haben, allen Deutschen und den restlichen kleineren Minoritäten die vollen Rechte zu sichern. Das verlangt der gesunde Verstand." - Worte des ersten tschechoslowakischen Staatspräsidenten T.G. Masaryk aus seinem 1917 erschienenen Buch "Das neue Europa". Und damit sind wir auch bereits mitten im Thema unserer heutigen Sendung, die sich mit der heutigen Situation der Minderheiten in der Tschechischen Republik beschäftigt und den Auftakt für eine kleine Serie zu diesem Thema bildet. In dieser Sendung wollen wir uns zunächst allgemein mit der Rolle der Minderheiten, ihrer zahlenmäßigen Vertretung und dem Zusammenleben mit der tschechischen Mehrheitsgesellschaft beschäftigen. In den folgenden Ausgaben des Themenkaleidoskops stellen wir Ihnen dann einzelne nationale Minderheiten und ihre heutige Situation in der Tschechischen Republik gesondert vor.
In dem eben zitierten Ausspruch von T.G. Masaryk klang es bereits an: Der Charakter der nach dem 1. Weltkrieg entstandenen "National"-Staaten in Mittel- und Osteuropa, darunter der 1. Tschechoslowakischen Republik, war in entscheidendem Maße von ethnischen, sprachlichen und religiösen Minderheiten geprägt. Gemäß der Volkszählung von 1921 waren in der Tschechoslowakei von den knapp 13,5 Mio. Einwohnern nur 50% Tschechen, 15% Slowaken, 23% Deutsche, 5,5% Ungarn und 3,5% Karpathorussen. Eine Situation, die sich zunehmend zum Problem entwickelte und mit der heutigen Zusammensetzung der Bevölkerung in der Tschechischen Republik nicht annähernd vergleichbar ist. Jan Jarab, Regierungsbeauftragter für Menschenrechte:
"Schon vor dem Jahr 1933 war es sehr politisiert, mit tschechischen, deutschen, slowakischen politischen Parteien. Und es war damals sehr kompliziert, eine gemeinsame Identität zu schaffen. Und der Versuch der Tschechen, eine tschechische Identität für alle zu schaffen, ist gescheitert. Heute haben wir ein anderes Extrem: Nachdem wir fast alle unsere Deutschen, Juden, Slowaken, Ungarn verloren haben, befinden wir uns fast in einer ethnisch homogenen Gesellschaft mit sehr kleinen Minderheiten - was eigentlich auch nicht ganz gesund ist."
Nach der letzten Volkszählung im Jahr 2001 definieren sich 90 Prozent der Bevölkerung als Tschechen. Die zahlenmäßig größte nationale Minderheit stellen die Slowaken mit 184.000, das sind 1,8% der Gesamtbevölkerung. An zweiter Stelle folgt die polnische Minderheit, zu der sich rund 51.000 Menschen bekannten - oder 0,5% der Bevölkerung. Zur Deutschen Minderheit zählen sich 38000 oder 0,4 Prozent der Bewohner Tschechiens, als Roma bezeichneten sich 12000 Menschen (0,1 Prozent).
Diese Zahlen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen. Denn die Erfassung der nationalen Minderheiten erfolgte aufgrund ihres eigenen Bekenntnisses, und offensichtlich bekannten sich zahlreiche Roma aus Furcht vor Diskriminierung zur tschechischen Nationalität. Die Schätzungen über die tatsächliche Zahl der Roma, die heute in der Tschechischen Republik leben, bewegen sich zwischen 100.000 und 250.000, also zwischen 1% und 4% der Gesamtbevölkerung.
"In der Tschechischen Republik finden wir eine ganz hohe kulturelle Intoleranz - dieselbe kulturelle Intoleranz und dieselbe Präferenz für sog. Sekundärtugenden, die wir in ganz Mitteleuropa finden. Man sieht es als wichtiger an, dass die anderen tüchtig, fleißig, diszipliniert sind. Das findet man viel wichtiger als andere Qualitäten verschiedener Kulturen. Also man kann akzeptiert werden, aber nur wenn man sich bemüht, in jeder Beziehung ein Tscheche zu sein. Das ist vielleicht ein wenig historisch begründet, durch diesen mitteleuropäischen Kontext, aber auch dadurch, dass wir 50 Jahre lang von der Welt isoliert waren. Es ist ein großes Problem, ganz bestimmt."
Jan Jarab, Menschenrechtsbeauftragter der tschechischen Regierung über das aktuelle Verhältnis der Tschechen zu ihren Minderheiten:
"Das größte Problem sehe ich heute in der Beziehung der Tschechen zu den Roma und bei der älteren Generation auch zu den Deutschen - aber nur bei der älteren Generation. Meiner Meinung nach hat sich die Beziehung der tschechischen Bevölkerung zu den Deutschen v.a. in den letzten 13 Jahren sehr geändert, und das sieht man bei den jungen Menschen auch."
Mit der Situation der Minderheiten befasst sich auf Regierungsebene der "Rat der nationalen Minderheiten", in den die einzelnen Minderheiten je nach ihrer zahlenmäßigen Größe bis zu drei Vertretern entsenden. Der Rat ist es nach den Worten seines Sekretärs, Andrej Sulitka, u.a.:
"Wir müssen berücksichtigen, dass die Mehrheitsgesellschaft in Tschechien am Syndrom der Xenophobie leidet. Unsere Bemühung besteht daher darin, die Minderheiten hinsichtlich ihrer kulturellen Bereicherung für die gesamten Gesellschaft angemessen zu präsentieren."
Die Kommunikation zwischen den Organisationen der nationalen Minderheiten und der tschechischen Regierung funktioniert nach Meinung des Regierungsbeauftragten für Menschenrechte gut, die Probleme liegen seiner Meinung nach eher an anderer Stelle:
"Was viel komplizierter ist, ist die Beziehung zu den lokalen Behörden. Ich bin sicher, dass man auf der zentralen Ebene in den letzten 14 Jahren etwas gelernt hat. Aber ich bin nicht so sicher, dass das auf der lokalen Ebene auch der Fall ist. Z.B. gibt es in den Gebieten des ehemaligen Sudetenlandes nicht nur anti-deutsche Ressentiments, sondern auch solche gegen Roma. Es ist dort viel schwieriger als auf der zentralen Ebene."
Als drängendste Aufgabe für die nächste Zukunft betrachtet Jan Jarab die Initiierung sozialer Programme für die Roma-Minderheit auf regionaler Ebene. Und längerfristig sieht er auch eine generelle Auseinandersetzung mit der Definition von Minderheiten auf die Tschechen zukommen:
"Ich bin sicher, dass wir in der Zukunft auch den Immigranten-Gruppen die Anerkennung als nationale Minderheiten gewähren müssen. Das machen wir bislang nicht, wir halten an der historischen Definition von Minderheiten fest; aber meiner Meinung nach wird sich dies in der Europäischen Union ändern müssen."