Minderheiten in der Tschechischen Republik (3): Ukrainische Minderheit in Tschechien

In der letzten Ausgabe von "Forum Gesellschaft" hat Silja Schultheis Ihnen die polnische Minderheit in der Tschechischen Republik vorgestellt. Wie angekündigt, setzten wir unsere Serie über nationale Minderheiten in dieser Woche fort. In den kommenden Minuten werden Sie diesmal etwas über die ukrainische Minderheit in Tschechien erfahren:

Bei der Volkszählung im Jahr 1991 betrug die offizielle Zahl der dauerhaft in Tschechien lebenden Ukrainer 8221. Zehn Jahre später stellten Ukrainer die zweitgrößte Gruppe von Asylbewerbern dar. Die tatsächliche Zahl der Ukrainer, die sich auf tschechischem Boden aufhalten, wird aber um ein Vielfaches höher geschätzt. Mit der Samtenen Revolution im Jahre 1989 wurde die Tschechische Republik für viele zum attraktiven Ziel. In der Hoffnung ihren Lebensstandard zu verbessern, ließen sie in ihrer eigentlichen Heimat alles stehen und liegen und zogen los, um ihr materielles Glück weiter westlich, sprich in Tschechien zu suchen. Die sogenannte 4. Migrationswelle begann. In der tschechischen Gesellschaft nahmen sie schnell die Rolle der billigen Arbeitskräfte ein, die für ein paar Kronen jede Art von Arbeit annahmen. Was für viele Deutsche früher die Türken, aber auch die Polen und andere Osteuropäer verkörperten, wird in Tschechien häufig mit Menschen aus der Ukraine verbunden. Oft werden sie als Hilfsarbeiter auf Baustellen, in Fabriken oder als Putzfrauen eingesetzt. Häufig halten sie sich ohne erforderliche Aufenthaltsgenehmigungen in der Tschechischen Republik auf und arbeiten schwarz, was selbstredend etliche Probleme mit sich bringt. Diese 4. Welle hat das Bild von Ukrainern in der Tschechischen Republik deutlich geprägt. In den Hintergrund geraten ist die Kenntnis darum, dass auch vor 1989 bereits ukrainische Emigranten im Lande waren. Frau Lenka Knapova ist stellvertretende Vorsitzende der "Ukrainischen Initiative", die ihren Sitz in Prag hat. Sie gibt uns einen historischen Überblick:

"Die größte Welle war die der 20er Jahre als viele Ukrainer vor den Bolschewiken flüchteten. Die Tschechische - bzw. damals ja noch Tschechoslowakische Republik- wurde für viele dieser politischen Flüchtlinge zum Zufluchtsort. Damals kamen vor allem sehr junge Leute und es waren Tausende an der Zahl. Der damalige tschechoslowakische Präsident T. G. Masaryk räumte den Ukrainern zu jener Zeit eine ganze Reihe an Privilegien ein. So entstanden beispielsweise mehrere ukrainische Hochschulen und Gymnasien. Das kulturelle Leben der Immigranten war damals einzigartig. Immigrationsprozesse aus der Ukraine hierher haben aber schon früher begonnen. Schon zur Zeit Österreich-Ungarns, als die heute ukrainische Stadt Halic beispielsweise noch zu diesem Imperium gehörte, gab es diese natürlichen Migrationsbewegungen, damals innerhalb eines Staates. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Rote Armee in die Tschechoslowakei einrückte, setzten viele ihren Weg weiter nach Westen fort, da die Tschechoslowakei nicht mehr sicher genug für sie war. Geblieben sind nur einige wenige. Nach 1948 wurden dann alle ukrainischen Hochschulen und ukrainischen Einrichtungen verboten. Weiterhin wurde Ukrainern versagt, sich zu versammeln. Mit der Begründung, dass sie bourgoise Nationalisten seien und demnach keine "gute" Nation. Heute ist die Situation eine ganz andere. Die Ukrainer, die heute nach Tschechien kommen, haben rein wirtschaftliche Gründe. Und sie benötigen etwas ganz anderes als die, die schon seit mehreren Generationen hier leben."

Welche Erfahrungen hat Frau Knapova mit denjenigen Ukrainern, die heute nach Tschechien kommen, um hier eine zeitlang zu leben?

"Wie es aussieht, wenn eine ukrainische Familie heute nach Tschechien kommt? Nun, das Szenario ist in den meisten Fällen gleich: Es kommt zunächst nur ein Familienmitglied, das sich Arbeit sucht und versucht sich einzufinden. Erst wenn das gelungen ist, kommt der Rest der Familie nach. Meist helfen sich diese Leute untereinander. Sie nehmen in der Mehrzahl der Fälle keinen Kontakt mit unserer Organisation oder der Botschaft auf, sondern versuchen selbst zurecht zu kommen. Das liegt vor allem daran, dass viele illegal im Land sind und ohne Papiere arbeiten. Wer würde in einer derartigen Situation schon Hilfe von offizieller Seite annehmen."

Was genau tut die Organisation, deren Vize-Vorsitzende Frau Knapova ist?

"Unsere Vereinigung ist vor rund 10 Jahren entstanden. Erst nach der Samtenen Revolution, denn in der Zeit vorher war es den aus der Ukraine stammenden Tschechen nicht möglich, sich zusammenzuschließen. Die Vereinigung sorgt für kulturelle Veranstaltungen, bereitet Ausstellungen vor, veranstaltet Seminare, Konzerte, aber auch Kurse für Kinder, damit sie die Möglichkeit haben, die ukrainische Sprache zu erlernen, etwas über die Geschichte, die Realien und die Traditionen in der Ukraine zu erfahren. In diesem Jahr haben wir zum ersten Mal Aktivitäten für Kinder von Emigranten der sogenannten neuen Welle im Programm, die ihnen ermöglichen sollen, sich mit der tschechischen Geschichte und den hiesigen Traditionen vertraut zu machen, damit sie mit beiden Kulturen ganz unbefangen und natürlich umzugehen lernen. Außerdem bereiten wir für diese Kinder Projekte vor, die ihre Integration fördern soll. Die Kinder singen beispielsweise im Chor ukrainische Lieder. Mit diesem Chor werden sie in mehreren tschechischen Schulen auftreten, werden dort ihr Können präsentieren und tschechischen Kindern versuchen, diese Lieder beizubringen, damit die die Sprache hören usw."

Vor kurzem erschien in der tschechischen Presse eine Nachricht, in der es hieß, dass ein paar ukrainischen Jugendlichen der Einlass in eine Prager Diskothek verwehrt wurde. Ist der Vorwurf der Diskriminierung gerechtfertigt?

"Das ist eine dieser schwer zu beantwortenden Fragen. Diskriminierung, ... Diese Leute kommen hierher als billige Arbeitskräfte. Überall auf der Welt werden Menschen in solchen Situationen diskriminiert. Das heißt: Ein Ingenieur aus der Ukraine hat unter Umständen nicht dieselben Arbeitsbedingungen wie ein tschechischer Ingenieur. Öfter ist es so, dass die Leute gar nicht erst in ihrem Beruf arbeiten können, wenn sie hierher kommen. Stattdessen gehen sie oft putzen oder arbeiten als Hilfskräfte auf dem Bau. Ja, es ist allseits bekannt, dass Leute aus der Ukraine für weniger Geld arbeiten, aber es ist schon besser geworden. Noch vor sechs Jahren war die Situation weitaus dramatischer. Damals wurden die Leute wirklich ausgebeutet. Eine öffentliche Diskriminierung gar von Seiten des Staates gibt es nicht. Es gibt keinen Unterschied zwischen der Art und Weise wie sich der Staat z.B. der deutschen Minderheit gegenüber und gegenüber uns verhält."

Gibt es Bereiche, die Frau Knapova für problematisch hält?

"Worin ich das Problem sehe, sagen wir von Seiten des Staates, ist der Umgang mit den "neuen Ukrainern". Tatsächlich hat die Polizei in den vergangenen Jahren die Augen davor verschlossen, wie die Leute hier behandelt wurden und es als das persönliche Problem der Leute abgetan. Ich selbst habe mit Leuten gesprochen, die hierher kamen und schon am Busbahnhof von undurchsichtigen kriminellen Gestalten in Empfang genommen wurden. Man hat ihnen offenbar angesehen, woher sie kamen. Und die Leute hatten natürlich große Angst." Das werde aber langsam auch besser, denn die Zahl der Neuankömmlinge gehe deutlich zurück, sagte Frau Knapova.