Mit einem Urknall zu Wirtschaftswachstum?

Herzlich willkommen bei einer weiteren Ausgabe unserer Magazinsendung mit Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft, am Mikrofon begrüssen Sie Silja Schultheis und Rudi Hermann. Auf englisch heisst es big bang, auf deutsch Urknall und auf tschechisch Velky tresk. Und was dahinter steckt, ist die neueste Initiative des ebenso umtriebigen wie umstrittenen tschechischen Industrieministers Miroslav Gregr. Um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, möchte Gregr nämlich in den nächsten zwei Jahren die erkleckliche Summe von 265 Milliarden Kronen über ein staatliches Förderungs- und Auftragsprogramm in die Wirtschaft pumpen. Und dies just in einem Moment, da Tschechien erhebliche Probleme mit der Ausgeglichenheit seiner öffentlichen Finanzen bekundet. Was es mit dem Urknall auf sich hat und was die Fachwelt davon denkt, ist Thema für die nächsten Minuten, zu denen wir guten Empfang wünschen.

Die Tschechische Republik, so meinen der tschechische Regierungschef Milos Zeman und sein Industrieminister Miroslav Gregr, die treibenden Kräfte hinter dem sogenannten Big bang-Projekt, soll für den Beitritt zur Europäischen Union wirtschaftlich fit gemacht werden. Zwar hat die Wirtschaft aus der Rezession gefunden, die sie von 1997 bis 1999 geplagt hatte, und im Jahr 2000 wieder positive Wachstumszahlen verzeichnet. Aber diese könnten nach der Ansicht Zemans und Gregrs noch höher sein, wenn der Staat etwas nachhelfen würde. Mit der Förderung von 13 ausgewählten Regionen soll das in den nächsten Jahren auf 3 bis 4 % veranschlagte Wirtschaftswachstum noch um ein bis zwei Prozentpunkte beschleunigt werden, in wirtschaftlich schwachen Regionen soll gleichzeitig die Arbeitslosigkeit eingedämmt und die Kaufkraft der Bevölkerung gesteigert werden. Das alles ist aber nicht billig: Die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, den Wohnungsbau und die Belebung darniederliegender Industrien soll nach dem Plan von Industrieminister Gregr in den nächsten zwei Jahren Aufwendungen von 265 Milliarden Kronen, etwa 15 Milliarden D-Mark, erfordern; nämlich rund 100 Milliarden Kronen für dieses Jahr und 165 für das nächste.

Dies allerdings ist eine enorme Geldsumme, und es stellt sich die Frage, woher der Staat sie nehmen soll. Denn es ist kein Geheimnis, dass die sozialdemokratische Regierung auch ohne ein ambitiöses Programm solchen Ausmasses Schwierigkeiten hat, in den öffentlichen Finanzen auch nur annäherungsweise eine Balance zu halten. Finanzminister Mertlik malte in den letzten Woche düstere Perspektiven und prognostizierte, dass die Rechnung des Staatshaushalts und der ausserbudgetären Fonds für das vergangenen Jahr mit einem Defizit in der Höhe von 9.5 % des Brutto-Inlandproduktes des Landes abschliessen wird. Möchte die Tschechische Republik der Euro-Zone beitreten, so muss sie diesen Wert nach den sogenannten Maastricht-Kriterien auf 3 % senken. Diese Frage ist zwar nicht in unmittelbarer Zukunft aktuell und betrifft auch den eigentlichen Beitritt zur EU nicht direkt, doch sollte sich die Regierung einen Schritt in die andere Richtung gut überlegen. Denn genau das würde das Big Bang-Programm bedeuten: Mit den Schulden, die für die Investitionsoffensiv noch hinzukommen, könnte das Defizit der öffentlichen Finanzen dieses Jahr nach den Berechnungen unabhängiger Experten schon 14 % erreichen. Wie willkommen Tschechien mit solchen Defizitzahlen in der Europäischen Union sein wird, für die man sich ja fit machen will, muss dahingestellt bleiben.

Ministerpräsident Zeman und die Regierungsspitze stehen dennoch hinter dem Programm des Industrieministers. Die investierten Mittel würden in den Zielregionen die unternehmerischen Aktivitäten steigern und dadurch einen Multiplikationseffekt erzielen. Ausserdem, so sagte Industrieminister Gregr, könne mit der Amortisation einiter Investitionen gerechnet werden. An die Adresse der Kritiker meinte Ministerpräsident Milos Zeman, die von früheren Regierungen betriebene Wirtschaftspolitik habe die - in Anführungszeichen - Erfolge erzielt, das Land in eine Rezession zu stürzen, habe den Arbeitnehmern schrumpfende Reallöhne beschert, dafür wachsende Probleme mit Inflation und Arbeitslosigkeit. Finanzieren will die Regierung das anspruchsvolle Entwicklungsprogramm aus mehreren Quellen. Zur Hälfte etwa sollen die Mittel aus dem Staatshaushalt sowie den ausserbudgetären Fonds für Wohnen, Verkehr und Umwelt kommen. Ferner sollen Unterstützungsfonds der Europäischen Union angezapft werden, die jährlich je rund 6 Milliarden zum Programm beitragen könnten. Ebenso ist ein langfristiger Kredit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung EBRD über etwa 10 Milliarden im Gespräch. Der Rest soll, abgesehen von der Möglichkeit von Krediten zu Marktkonditionen, über die Privatisierung beschafft werden, und zwar entweder durch die Beschleunigung der Entstaatlichung der noch zu privatisierenden Unternehmen oder durch die Ausgabe von Obligationen, die durch die zu erwartenden Privatisierungseinkünfte gedeckt wären.

Ausserhalb der sozialdemokratischen Partei stiess das Vorhaben Zemans und Gregrs praktisch nur auf Kritik, und zwar sowohl in politischen Kreisen wie auch in der Fachwelt. Die Reaktion der Demokratischen Bürgerpartei, auf deren stille Unterstützung die Sozialdemokraten mit ihrer Minderheitsregierung angewiesen sind, signalisierte Missfallen. Der bürgerliche Chef des Haushaltsausschusses der Abgeordnetenkammer des Parlaments, Vlastimil Tlusty, meinte, das Programm sei mit seiner Partei nicht konsultiert worden. Wirtschaftswachstum mit Verschuldung zu finanzieren, erachte er aber als unzulässig. Ins gleiche Horn stiess der liberale Parlamentsabgeordnete und frühere Finanzminister Ivan Pilip, der daruf hinwies, dass Schulden, die diese Regierung noch anhäufe, dann die nächste belasten würden. Finanzanalytiker privater Gesellschaften wählten noch eine prägnantere Sprache. So wurde Pavel Sobisek, Ökonom bei der Bank Austria Creditanstalt, von einer Zeitung mit der Aussage zitiert, das von Gregr skizzierte Projekt könne ohne Übertreibung als Megalomanie bezeichnet werden, und Evzen Kocenda vom Wirtschaftsinstitut CERGE meinte, es sei nicht die Aufgabe des Staates, zu entscheiden, wohin Geld gepumpt werden solle. Der Staat solle sich um die Privatisierung kümmern und die Arbeit von Staatsverwaltung und Gerichten verbessern.

Skepsis herrscht ferner bei den Banken, aber auch dem staatlichen Fonds zur Verwaltung des nationalen Eigentums, darüber vor, ob die Möglichkeiten der Finanzierung des Projekts realistisch eingeschätzt werden. Die Banken zeigten sich zwar dem Gedanken, die tschechische Industrie zu finanzieren, nicht grundsätzlich abgeneigt, wohl aber, Finanzierungen ohne ausreichende Abschätzung des Risikopotentials vornehmen zu müssen. Die Banken sind in dieser Hinsicht gebrannte Kinder: Schon einmal, zu Beginn der tschechischen Wirtschaftstransformation, gab es einen politischen Auftrag zur Finanzierung eines künftigen Aufschwungs. An den Folgen dieses Denkens leiden die Banken noch heute. Der staatliche Besitztumsfonds wiederum zweifelt daran, dass die Privatisierung der noch in staatlicher Hand verbliebenen Unternehmen, darunter vor allem der Energiebetriebe, tatsächlich die von der Regierung budgetierten hohen Einnahmen bringen wird. Ministerpräsident Zeman spricht von einem Finanzpotenzial von 500 Milliarden Kronen, und allein 133 Milliarden seien noch dieses Jahr und noch ohne die Einkünfte aus den Energieprivatisierungen zu erwarten. Dies scheint den Analytikern des nationalen Besitztumsfonds laut Angaben der Wirtschaftszeitung Hospodarkse novina allerdings zu hoch gegriffen. Die Volatilität solcher Einschätzungen sei erheblich und liege bei etwa plus minus 30 Prozent. Und eine wesentliche Beschleunigung der Privatisierung sei nur zum Preis deutlich verminderter Transparenz zu bewerkstelligen.

Autoren: Silja Schultheis , Rudi Hermann
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