Mit oder ohne Beine – alle zusammen treiben Sport
Wenn behinderte Menschen Sport treiben wollen, müssen sie sich in Tschechien üblicherweise eine Turnhalle mieten und sich der dortigen Ordnung anpassen. In der südböhmischen Stadt České Budějovice / Budweis gibt es aber ein Sportzentrum, das sowohl Leuten mit als auch ohne Behinderung dient - es feiert gerade sein Jubiläum.
Das Budweiser integrierte Sportzentrum wurde vor 15 Jahren vom ehemaligen tschechoslowakischen Ringer Jiří Smékal gegründet. Nach dem Ende seiner aktiven Sportkarriere erlitt er einen schweren Unfall und entging mit knapper Not einer lebenslänglichen Behinderung. Grund genug für ihn, Kntakte und Erfahrungen zu nutzen und eine Einrichtung für Behinderte aufzubauen. Zusammen mit seiner Ehefrau machte er sich an den Ausbau einer Turnhalle. Im Laufe der Zeit wurde die Bandbreite der Aktivitäten immer größer, bis ein Sportzentrum mit Spitzenausrüstung entstand, das sich auch im europäischen Vergleich messen lassen kann. In dem Sportzentrum wird großen Wert auf die Begegnung von Gesunden und Behinderten gelegt, erklärt Jana Smékalová:
„Der Anstoß dazu kam von den Behinderten selbst. Als sie von unseren Plänen erfuhren, äußerten sie den Wunsch, in diesem Zentrum nicht alleine zu bleiben. Sicher spielte dabei auch eine Rolle, dass die jungen Männer sich mit jungen Frauen treffen wollten und umgekehrt. Es gab aber auch andere interessante Momente. So gehört zu unseren Besuchern beispielsweise ein Mann, dem beide Beine fehlen und der im Rollstuhl sitzt. Einmal traf ihn ein fünfjähriger Junge, der bei uns am Sport für Kinder teilnimmt, und rief erschrocken: ´Mama, der Mann hat keine Beine!´ Das nächste Mal war der Rollstuhlfahrer da, als die Kinder Basketball spielten. Er schloss sich ihrem Spiel an und befreundete sich mit den Jungs. Seitdem kann er immer spontan mitmachen. Und das ist gerade unser Ziel.“
Das Zentrum hat vor kurzem einen Wettkampf für den tüchtigsten Schüler und die tüchtigste Schülerin organisiert. An der Veranstaltung nahmen Kinder sowohl mit als auch ohne Behinderung teil. Damit die die Bewertung verschiedener Kategorien gerecht war, bekamen alle Teilnehmer ein Zertifikat und die besten eine Dauerkarte für das Sportzentrum. Mit Kindern geht die Integration übrigens am einfachsten, meint Jiří Smékal.
„Unserer Erfahrung nach können die Blinde und Gehörlose trotz ihrer Behinderung gut tanzen. Wir haben dann einen Tanzkurs für Kinder gestartet, bei dem jedes Paar aus einem Gesunden und aus einem Blinden oder Gehörlosen zusammengestellt wurde. Für die Kinder ohne Behinderung war es natürlich schwierig, sie mussten ihren Partner sehr aufmerksam führen. Letztlich zeigte sich, dass die Behinderten eben doch ganz gut tanzen lernten. Beim Abschlussball haben wir lateinamerikanische Tänze aufgeführt. Dabei konnte man nicht erkennen, wer der Gesunde und wer der Behinderte war.“
Es sei jedoch nicht nützlich, um jeden Preis gemeinsam Sport treiben zu lassen, so Smékal. Für gesunde Kinder ab vier Jahren gibt es allgemeine Sportstunden in drei Alterskategorien. Erwachsene können entweder selbst im Fitnessbereich trainieren oder sich ein persönliches Trainingprogramm erstellen lassen. Für Behinderte gibt es spezielle Sportstunden je nach Art ihrer Handicaps. Das Zentrum kann sich leider keine bezahlten Angestellten leisten. Außer der Familie Smékal arbeiten deshalb alle Mitarbeiter ehrenamtlich. Zum Glück sind es aber genug: von Praktikanten aus Budweiser Mittel- und Hochschulen bis zu ehemaligen tschechoslowakischen Olympia-Teilnehmern und Profisportlern. Fast jeden Tag ist auch ein Sehbehinderter behilflich:
„Mein Name ist Josef Camfrla. Ich habe früher Kraftdreikampf betrieben, aber wegen der Rückenschmerzen musste ich aufhören. Mittlerweile mache ich nur noch Bankdrücken, das ist eigentlich das Gewichtheben der Sehbehinderten. Man legt sich auf die Bank, der Trainer legt einem die Hantel auf die Brust und man drückt sie dann hinauf. Letztes Jahr fand hier in Budweis die Weltmeisterschaft in dieser Disziplin statt, der Sieger Martin Biháry trainiert auch bei uns im Zentrum. Diesen Sport zu betreiben macht mir Spaß, ich sehe die Arbeit hier als Vergnügen an. Dem Trainer stehe ich zur Verfügung, wenn ich Zeit habe. Gerade eben habe ich zum Beispiel zwei älteren Damen erklärt, wie man die Fitnessgeräte richtig nutzt.“
Zu den regelmäßigen Besuchern des Zentrums gehören unter anderen zwei untrennbare Freunde, beide heißen Ondra und beide sind blind. Einer von ihnen erzählt:
„Wir kommen seit der ersten Klasse hierher. Am Anfang war es allerdings schwer. Die Zahl der Kinder ging eher zurück und irgendwann gab es niemanden mehr, der uns hierher begleiten konnte. Der Trainer hat dann das Rote Kreuz dazu gebracht, uns regelmäßig mit dem Auto von der Schule abzuholen und direkt zum Turnen zu bringen. Am meisten Spaß macht uns hier Leichtathletik, besonders Kugelstoßen, und Radfahren - das kann aber auch wechseln. Letztes Jahr habe ich den zweiten Platz beim Laufen gewonnen. Ich weiß aber noch nicht, wie lange ich weiter Sport machen werde. Ich spiele auch Klavier und meine Mutti will, dass ich mich mehr um die Musik kümmere.“
Der Aufbau des Budweiser integrierten Sportzentrums ist nicht einfach. 15 Jahre unermüdlicher Arbeit waren es bisher, sagt Jiří Smékal, man müsse viel Werbung machen und Geld auftreiben. Zudem sei die Lage außerhalb Prags leider ein großer Nachteil: Die Sponsoren müssten zunächst davon überzeugt werden, dass es sich wirklich um eine einzigartige Sache von internationaler Bedeutung handelt. Und als ob dies nicht reichen würde, kommen auch Neid und Tratsch dazu:
„Wenn jemand etwas Ähnliches wie ich versuchen will, muss er streng darauf achten, keinen Fehler zu machen. Alles muss wie ´Gottes Wort´ klar sein. Enttäuscht man auch nur ein bisschen irgendwo, prasselt es sofort auf einen nieder. Eine Sportlerin beschuldigte uns zum Beispiel, dass wir ihr eine Kugel gestohlen hätten. So ein Unsinn! Die Presse schrieb aber darüber. Ein anderes Mal betraf die Kritik das Sledge-Eishockey. Das Interesse daran war schwach, nur fünf Leute meldeten sich, und ich musste deshalb diesen Sport aus dem Programm nehmen. In der Zeitung wurde dann geschrieben, ich wäre nicht fähig, das Geld für Rollstuhlfahrer zu besorgen! Aber ehrlich gesagt, wäre es nicht ökonomisch, ein teures Eisstadion nur für fünf Leute zu mieten.“
Trotz aller Schwierigkeiten hat Jiří Smékal aber die Bewunderung vieler Leute errungen – und nicht nur das: Eine ganze Menge offizieller Auszeichnungen kommen noch dazu. Es sind unter anderem die „Auszeichnung für die hervorragende Repräsentation der Tschechischen Republik“ vom tschechischen Paralympischen Komitee oder der Titel „Trainer des Jahres“ vom Verband der sehbehinderten Sportler. Derzeit bereitet er zwei seiner Schützlinge auf die Paralympischen Spiele vor, die im September in Peking stattfinden: Einer von ihnen ist der schon erwähnte Martin Biháry im Bankdrücken und der zweite ist Karel Liška in Ballwurf. Dieser Junge hat eine sehr schwere Behinderung. Er ist an Beinen und Armen gelähmt und dazu noch taub. Ihm würde er den Erfolg an den Paralympischen Spielen wirklich am herzlichsten wünschen, schließt Jiří Smékal.
Fotos:www.handicapbudweis.com