Moderne Wohnung in klassischem Gewand: Adolf-Loos-Interieur in Pilsen

Foto: Martina Schneibergová

Adolf Loos gilt als Wegbereiter der modernen Architektur. Der namhafte österreichische Architekt hatte vor allem in den 1920er und Anfang der 1930er Jahren viele Aufträge im westböhmischen Plzeň / Pilsen. Er beteiligte sich dort an der Gestaltung von einigen Familienresidenzen und Wohnungen. Von der ursprünglichen Ausstattung der Räumlichkeiten ist jedoch nur ein Teil erhalten geblieben. Zwei der Wohnungen, die Loos entwarf, wurden nach einer gründlichen Instandsetzung kürzlich für die Öffentlichkeit geöffnet. Darunter ist die Wohnung des Ehepaars Vilém und Gertruda Kraus.

Adolf Loos
Adolf Loos bekam im Jahr 1907 seinen ersten Auftrag in Pilsen. Aus der westböhmischen Stadt stammte auch seine letzte Frau, die Fotografin Claire Beck. Mit unterschiedlich langen Pausen war Loos in Pilsen bis zu seinem Tod im Jahre 1933 tätig. Der Architekt fand dort kultivierte Auftraggeber, die gleichzeitig Kunden der bekannten Baufirma Müller & Kapsa waren. Für die Firma war es wiederum eine Ehre, mit einem so renommierten Architekten zusammenzuarbeiten. Nach Loos´ Entwurf wurde das sogenannte „Brummel-Haus“ in der Husova-Straße 58 umgebaut. Zudem wurden insgesamt 13 Wohnungen nach den Entwürfen von Adolf Loos neu gestaltet. Einige davon befinden sich in der Südvorstadt von Pilsen. An der Hauptverkehrsader Klatovská steht die ehemalige Familienresidenz von Jana und Oskar Semler. Für die Gestaltung der dortigen großen Wohnung sorgte Loos zusammen mit seinem Schüler Heinrich Kulka. Die Residenz befindet sich heute im Besitz der Westböhmischen Galerie. Diese hat vor, dort ein Dokumentationszentrum für die Architektur des Kreises Pilsen vom 19. bis zum 21. Jahrhundert einzurichten. Nach der Instandsetzung der wertvollen Architektur soll die Residenz für die Öffentlichkeit zugänglich werden.

Bendova-Straße 10  (Foto: Martina Schneibergová)
Unweit der Semler-Residenz, in der Klatovská-Straße 140, wurde erst vor einigen Jahren ein von Loos gestaltetes Interieur wieder entdeckt. Die Wohnung gehörte ursprünglich dem Unternehmer Leo Brummel. Von der Originalausstattung ist jedoch nur ein Teil erhalten geblieben.

Die anderen von Loos gestalteten Wohnungen befinden sich im Pilsner Stadtzentrum. Zugänglich sind die Wohnung des Ehepaars Vogel in der Klatovská-Straße 12 und die Wohnung von Vilém und Gertruda Kraus. Die Experten halten die Wohnung von Familie Kraus in der Bendova-Straße 10 für eines der schönsten Interieurs, das Architekt Adolf Loos in Pilsen gestaltet hat. Das Haus steht an der Ecke der Bendova zur Straße Kardinála Berana. Von außen ist zu erkennen, wo sich die Wohnung befindet. Denn die Fensterrahmen des Appartements sind im Unterschied zu den übrigen weißen Hausfenstern grün getüncht. Zudem springt auf der Seite, in der heutigen Straße Kardinála Berana, ein Risalit in der Form einer Nische aus der Fassade hervor. Anna Šubrtová führt die Besucher durch Pilsen und auch zu diesem Haus.

„Dieser Gebäudeteil entstand erst Anfang der 1930er Jahre. Er wurde aber so gebaut, dass er die im historisierenden Stil gestaltete Hausfassade respektierte.“

Enfilade aus Spiegelwänden

Wohnung für das Ehepaar Vilém und Gertruda Kraus  (Foto: Martina Schneibergová)
Adolf Loos gestaltete die Wohnung für das Ehepaar Vilém und Gertruda Kraus. Kraus war Chemieingenieur und arbeitete in der Firma seines Schwiegervaters Theodor Taussig.

„Herr Kraus und seine Frau entschieden sich, in diesem Haus eine moderne Wohnung einzurichten. Zuvor gab es hier zwei kleinere Wohnungen, sie wurden dann miteinander verbunden. Als sie Loos mit dem Entwurf beauftragten, müssen sie schon einige seiner Arbeiten in Pilsen sowie die Villa Müller in Prag gekannt haben. Denn sie verlangten von Loos, einige der architektonischen Elemente auch hier wieder einzusetzen. Sie wollten beispielsweise eine Mahagonidecke im Speisesaal haben. Eine derartige Decke kannten sie aus der Prager Villa Müller. Loos überzeugte Herrn und Frau Kraus aber davon, dass der Speisesaal für eine Tropenholzdecke zu klein sei und dass es in dem Fall besser sei, die Räume möglichst zu öffnen und miteinander zu verbinden. Die Mahagonidecke gibt es demzufolge nicht nur im kleinen Speisesaal. Besonders beachtenswert sind die beiden Spiegelwände, die einander gegenüberstehen. Sie machen den Eindruck einer Enfilade, die oft in den Barockschlössern zu sehen ist. Die Räume sind dort aneinandergereiht und die Türöffnungen liegen exakt gegenüber. Hier wird dieser Eindruck durch die gegenüber stehenden Spiegelwände erreicht.“

Foto: Martina Schneibergová
Für die Gestaltung der großen Räume wurde Marmor benutzt. Im Schlafzimmer wurde getäfelt, und die Schränke sind aus Ahornholz. Erst vor kurzem ist die Wohnung instandgesetzt worden. Die Architekten bemühten sich zu restaurieren, was erhalten geblieben ist. Was fehlte, wurde so ergänzt, dass es sichtbar nicht zur Originalausstattung gehört, sagt die Expertin:

„Darum sind die Bänke im Salon mit Samt in einer auffallend hellblauen Farbe bezogen. Es ist interessant, dass in einem der Räume Originaltapeten entdeckt wurden, die blau waren. Zu dem Fund kam es aber erst, nachdem die hellblauen Bänke entworfen wurden. Zuvor waren die Architekten davon überzeugt, dass es in der Wohnung nichts in Hellblau gab.“

Foto: Martina Schneibergová
Vilém Kraus gelang es, 1939 vor den Nazis nach England zu fliehen. Er suchte dort nach einer Wohnung für seine Frau und die zwei Kinder. Währenddessen wurden aber seine Frau und die Kinder von den Nazis verschleppt: zuerst in ein Sammellager und dann ins KZ. Niemand von ihnen überlebte.

Kraus´ Wohnung in Pilsen ließ die Stadt vor kurzem restaurieren, seit Herbst vergangenen Jahres ist sie für die Öffentlichkeit geöffnet.

Für im Voraus angemeldete Gruppen ist es möglich, eine Führung in Deutsch oder Englisch durch die von Adolf Loos gestalteten Räumlichkeiten zu bestellen. Reservieren kann man die Besichtigung bei der Tourismus-Zentrale Plzeň-TURISMUS unter der e-mail [email protected].

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