Motorsport-Legende Alfred Neubauer und seine Wurzeln in Mähren

Velká cena Francie, 1954

In diesen Tagen, in denen die Silberpfeile von Mercedes wieder im Gespräch sind, ist es sicher nicht falsch an Alfred Neubauer zu erinnern. Weiß beispielsweise Michael Schumacher, über dessen Comeback bei Mercedes gesprochen wird, etwas über die Wurzeln des legendären Mercedes-Rennsportchefs Neubauer? Der Schöpfer der Silberpfeile, Alfred Neubauer, stammt schließlich aus dem heutigen Tschechien, genauer gesagt aus Mähren.

Alfred Neubauer
Die wohl wichtigste Konstruktion von Alfred Neubauer ist der Silberpfeil. Der Name steht heute für alle Mercedes-Rennwagen. Doch wo ist Alfred Neubauer, dieses Motorsport-Genie, eigentlich genau geboren? Im Internet wird häufig Ostrava / Mährisch-Ostrau genannt. Das stimmt aber nicht. Sein Geburtsort war Nový Jičín / Neutitschein, rund 25 Kilometer südwestlich von Ostrau. Der berühmte Sohn der Stadt ist aber dort über die Jahre hinweg in Vergessenheit geraten:

Silberpfeile
„Wir haben vor etwa zwei Jahren von einem Sammler die Information erhalten, dass angeblich ein Alfred Neubauer ursprünglich aus Nový Jičín stammt und sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Annalen des Motorsports verewigt haben soll“, so Radek Polách, stellvertretender Leiter des Heimatmuseums von Nový Jičín.

Polách und seine Kollegen waren wie elektrisiert:

„Dieser Information sind wir dann nachgegangen und haben sie im Landesarchiv in Opava überprüft. Dort wurde uns zu unserer Verwunderung mitgeteilt, dass Alfred Karl Neubauer am 22. März 1891 auch wirklich in Nový Jičín geboren wurde.“

Posthum war also Neubauer wieder an seine Wiege gelangt. Neubauers Herkunft legt indes seine spätere Entwicklung zur Motorsportlegende nicht gerade nahe. Wie es doch so kommen konnte, erklärt Polách so:

„Er wurde in eine eher ärmere Familie geboren, eine Schreinerfamilie. Über die Schreinerei entsteht aber die Verbindung zum Autofahren. Ende des 19. Jahrhunderts war die Neutitscheiner Hutfabrik Hückel weltweit bekannt. Neubauers Vater lieferte seine Produkte an die Hutfabrik. Und Alfred hat dort als Junge erstmals Autos kennen gelernt. Die Familie Hückel war nämlich sehr wohlhabend und kaufte sich die ersten Autos, die in Europa hergestellt wurden. Zudem lieferte der Vater auch an die Auto-Fabrik von Schustala in Kopřivnice.“

Kopřivnice hieß damals auf Deutsch Nesselsdorf, heute sind dort die Tatra-Werke beheimatet.

Alfred Neubauer als junger Mann
Neubauer absolvierte später die Kadettenschule in Wien. Im Ersten Weltkrieg diente er in der Armee Österreich-Ungarns. Die Heeresleitung stempelte ihn wegen seines Desinteresses an Militärtaktik schon als hoffungslosen Fall ab, dann erinnerte man sich aber an seine Begeisterung für Motoren. Bei der Firma Austro-Daimler sollte er nun mit einem gewissen Ferdinand Porsche Militär-Zugmaschinen konstruieren. So geriet Neubauer in den Kreis der Autokonstrukteure, wurde dort zunächst Rennfahrer und begann ab 1923 bei Mercedes in Untertürkheim selbst Rennwagen zu entwickeln. Der größte Erfolg wurden vor dem Zweiten Weltkrieg die Silberpfeile. Nach neueren Erkenntnissen schimmerte allerdings braune Färbung durch: So benutzten Nazi-Größen die Erfolge der Silberpfeile für ihre Propaganda, und die Motorsportler profitierten von den guten Beziehungen zu den Nazis.

Le Mans 1955
Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte Neubauer auch in der neu entstandenen Formel 1 an die Vorkriegserfolge anknüpfen. Seine Karriere wurde 1955 abrupt gestoppt: Beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans kam es zur Katastrophe. Ein Silberpfeil fuhr in die Zuschauer und mehr als 80 Menschen kamen ums Leben. Mercedes zog sich aus dem Rennsport zurück.

Zu dieser Zeit wollte man in der nun bereits kommunistischen Tschechoslowakei von früheren deutschen Bewohnern wie Neubauer nichts mehr wissen. Allerdings: Darf man überhaupt Deutsche sagen? Im Falle Neubauers eher nicht, findet Radek Polách:

„Im Jahr 1891 wurde die nationale Zugehörigkeit noch nicht so ernst genommen. Das beginnt erst ab ungefähr 1900 und dann mit der Entstehung der Tschechoslowakischen Republik nach dem Ersten Weltkrieg. In Neubauers Geburtsjahr galten alle als Bürger von Nový Jičín. Alle sprachen sowohl Deutsch als auch Tschechisch, beides waren Amtssprachen. Im Falle von Alfred Neubauer ist die Unterscheidung aber auch aus einem anderen Grund etwas komplizierter. Er hat die Staatsbürgerschaften ziemlich gewechselt: Zuerst war er Bürger der Donaumonarchie, dann der Tschechoslowakei, danach des Deutschen Reiches und ab 1945 war er dann deutscher Bundesbürger. Genau festzulegen, dass er Deutscher oder Tscheche war, das kann man meiner Meinung nach in Neubauers Fall nicht.“

Auch pflegte Alfred Neubauer selbst nach dem Zweiten Weltkrieg und der Vertreibung der Sudetendeutschen weiter Kontakt zu mindestens einem Menschen aus der Tschechoslowakei: der Rennfahrerin Eliška Junková. Sie war neun Jahre jünger als er, begann ihre Rennkarriere aber praktisch zeitgleich. Während der 20er Jahre galt sie als schnellste Frau der Welt. Beide lagen auf derselben Wellenlänge:

„Wir haben für das Museum eine Fotografie aus den 70er Jahren bekommen können. Selbst damals haben sich beide regelmäßig gegenseitig besucht. Eliška Junková, die für die Konkurrenz von Bugatti fuhr, war also eine gute Freundin von Alfred Neubauer“, so Polách.

Alfred Neubauer starb 1980 in der Nähe von Stuttgart. Hinterlassen hat der gebürtige Mähre einige Neuerungen im Rennsport. Dazu gehört die Teamtaktik, bei der alle anderen Fahrer für die Nummer eins arbeiten. Und er erfand ein System mit Fahnen und Tafeln, um den Rennpiloten während des Rennens taktische Anweisungen zu geben. Ausgerechnet die Urheberschaft des größten Erfolgs, die Urheberschaft für die Silberpfeile, ist indes umstritten. Neubauer hatte in seinen Erinnerungen geschrieben, dass der Geistesblitz dazu in einer Juni-Nacht im Jahr 1934 auf dem Nürburgring kam. Um das Höchstgewicht für das Rennen am nächsten Tag nicht zu überschreiten, wurde einfach der weiße Lack von den Mercedes-Rennwagen abgekratzt. Doch ist seit einiger Zeit belegt, dass die Flitzer der Auto-Union, also der Konkurrenz, schon eine Woche vorher bei einem Rennen auf der Avus silbern glänzten.

Trotzdem ist Alfred Neubauer eine Motorsport-Legende. Nur muss diese Legende den Menschen an seinem Geburtsort Nový Jičín erst einmal wieder näher gebracht werden. Museumsleiter Polách:

„Wir haben im vergangenen Jahr einen ersten Schnuppervortrag über den wieder entdeckten Sohn unserer Stadt gemacht, da viele der hiesigen Bewohner überhaupt nicht wissen, wer Alfred Neubauer ist. Wir haben ihn und sein Schicksal vorgestellt und ihnen auch gesagt, dass Neubauer bis zu seinem Lebensende Tschechisch geredet hat. Und im Juni dieses Jahres soll im Schloss Žerotín in Nový Jičín eine große Ausstellung über ihn eröffnet werden mit dem Untertitel ´Der Mann der tausend Tricks´.“

Zudem will die Stadt in Nordmähren ihren beinahe verloren gegangenen Sohn beim alljährlichen Stadtfest propagieren, das im September stattfindet. Ein örtlicher Politiker sagte vor kurzem, als er von der wahren Herkunft Alfred Neubauers erfuhr, dass das sicher auch ein Anziehungsfaktor für deutsche Touristen werden könnte. Man baut also in Nový Jičín auf Alfred Neubauer.

Fotos von Alfred Neubauer: Museum Nový Jičín

Autor: Till Janzer
schlüsselwort:
abspielen