Auf den Kopf geschaut: Hutsammlung von Nový Jičín

Dauerausstellung von Kopfbedeckungen im Museum in Nový Jičín (Foto: Archiv des Museums)

Der Hut heißt auf Tschechisch „klobouk“. Das Wort, so vermutet man, dürfte seinen Ursprung im türkischen „kalabak“ haben. Die Geschichte dieser und weiterer Kopfbedeckungen zeigt das Museum der nordmährischen Hutmacherstadt Nový Jičín / Neutitschein.

Dauerausstellung von Kopfbedeckungen im Museum in Nový Jičín  (Foto: Archiv des Museums)
Nový Jičín galt früher als Zentrum der historischen Region Kuhländchen. Deswegen wurde das Ende des 19. Jahrhunderts gegründete städtische Museum 1905 in Museum des Kuhländchens umbenannt. Angesiedelt ist es im Renaissanceschloss des einst mächtigen mährischen Adelsgeschlechts Žerotin / Zierotin. Seit 1945 heißt es offiziell „Museum Novojíčínska“ und verwaltet mittlerweile 13 Schlösser und weitere historische Objekte der Region.

Zu dem Museum in Nový Jičín gehört aber auch eine Dauerausstellung von Kopfbedeckungen aus verschiedenen Zeiten und Materialien sowie aus unterschiedlichen Ecken der Welt. Der gesamte Fundus von Hüten, Hauben, Mützen oder Helmen umfasst ungefähr 2000 Exemplare. Gezeigt werden rund 600 davon. Der Schwerpunkt der Dauerausstellung liegt allerdings auf der traditionellen Huterzeugung, diese hat neben der Tuchmacherei bedeutend zum wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt und ihrer Umgebung beigetragen. In diesem Jahr wird in Nový Jičín an das 220. Jubiläum der wohl wichtigsten Firmengründungen in diesem Handwerk erinnert. Es waren die Unternehmen der beiden Brüder Hückel. Ihre Vorfahren hatten sich hierzulande aber schon wesentlich früher niedergelassen. Lenka Juráčková ist Mitarbeiterin des Museums:

Foto: Archiv des Museums in Nový Jičín
„Die Wurzeln der hiesigen Hutmacherkunst liegen im 17. Jahrhundert – allerdings nicht in Nový Jičín, sondern im nahen Fulnek. Dort ließ sich 1647 der Hutmacher Gottfried Hückel aus Würzburg nieder. Zwei seiner Urenkel zogen dann nach Nový Jičín. 1799 wurde hier der damals 20-jährige Johann Nepomuk Hückel als Mitglied der Hutmacherzunft aufgenommen. Zugleich eröffnete er auch seine Werkstatt. Bald folgte ihm sein jüngerer Bruder Augustin Hückel. Auch er gründete ein eigenes Hutmachergeschäft in der Stadt. Beide Werkstätten wurden 1848 von Augustins Sohn, Johann Albert Hückel, zu einer Manufaktur zusammengeschlossen. Die Fertigung der handgearbeiteten Hüte beruhte weiterhin auf alten überlieferten Herstellungstechniken.“

Hutmacher-Familie Hückel

Foto: Archiv des Museums in Nový Jičín
Im Grunde waren dies mittelalterliche Verfahren. Die Anfänge dieses Handwerks in Nový Jičín reichen zwar weit zurück ins Mittelalter. Doch die erste urkundliche Erwähnung eines Hutmachers in Nový Jičín stammt von 1506. Und für lange Zeit betrieben dort wohl auch nur wenige dieses Handwerk. Die ältesten Informationen über die Satzung einer Hutmacherzunft finden sich erst 1630 in den Stadtbüchern. Die Zahl der Meister lag damals bei 13. Als sehr wichtig erwiesen sich die einheitlichen Zunftordnungen, die von Kaiserin Maria Theresia eingeführt wurden. Diese galten dann auch in Mähren.

In der Hückelschen Manufaktur behinderten alte Herstellungsmethoden bald aber eine Produktionssteigerung. Dabei nahm die Nachfrage nach Hüten in vielerlei Ausführungen ständig zu. Die Wende trat dann mit Johann und Augustin ein, den Söhnen des Manufakturinhabers. Ihre Vornamen sollten sich noch mehrmals in nachfolgenden Generationen der Familie Hückel wiederholen.

„Johann Albert Hückel schickte seine Söhne ins Ausland, um dort neue Erkenntnisse zu gewinnen. Mehrere Jahre lang gingen sie in Hutfabriken in Deutschland und Frankreich in die Lehre. Und das lohnte sich. Nach ihrer Rückkehr im Jahr 1865 wurden die Arbeitsvorgänge in Hückels Manufaktur mechanisiert. Als Erste in ihrer Branche in der damaligen Habsburger Monarchie setzten sie dampfgetriebene Maschinen ein. Dadurch wurde die Fertigung wesentlich beschleunigt. Aber auch diese Neuerung war mit der Zeit schon wieder überholt. Die wachsende Nachfrage erforderte eine Erweiterung der Produktionsstätten. Johann Albert Hückel entschied sich, neue Grundstücke in der Vorstadt zu kaufen und neue Betriebsgebäude zu bauen. Sie wurden dann mit den modernsten Maschinen jener Zeit ausgestattet. Bald fanden dort über 1000 Menschen Arbeit“, so Juráčková.

Foto: Archiv des Museums in Nový Jičín
1868 beschloss der Chef und Besitzer, die Unternehmensleitung seinen drei Söhnen August, Johann und Carl zu übertragen. Damit entstand am 1. Januar 1886 die Hutfabrik Johann Hückel´s Söhne. Die Exporte stiegen, und kontinuierlich wurden weltweit neue Absatzgebiete erschlossen. Die Hüte aus Nový Jičín wurden wiederholt auf Weltausstellungen ausgezeichnet. In den 1890er Jahren verlieh Hof in Wien der Hutfabrik den Titel „kaiserlicher und königlicher Lieferant“. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts produzierte die Firma 1800 Hüte pro Tag.

Die Dauerausstellung des Museums zeigt auch Abbildungen des Fabrikareals aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Und die bescheidenen Anfänge des Hutmachermetiers sind durch die Installation einer alten Werkstatt veranschaulicht. Mit ihr soll den Besuchern gezeigt werden, wie früher per Hand Hüte gefertigt wurden. Lenka Juráčková:

„Als Ausgangsmaterial wurden Tierhaare verwendet. Unter anderem von Kaninchen, Hasen, Bibern, Lamas und natürlich auch von Schafen. Sie wurden auf spezielle Weise gereinigt, aufgelockert und nachfolgend zu einer flaumigen Haarschicht verdichtet. Diese wurde nachfolgend mittels Feuchtigkeit, Wärme und Druck in Filz umgewandelt. Durch weitere Schritte entstand daraus dann der sogenannte ‚šišák‘. Wegen seiner Form erinnert er an einen Zapfen, tschechisch ‚šiška‘. Auf Deutsch heißt das kegelförmige Zwischenprodukt „Hutstumpen“. Bei seiner Weiterverarbeitung fielen weitere Arbeitsprozesse an. So wurde der Hutstumpen über eine Holzform gestülpt, in heißem Wasser gebadet, dann getrocknet, appretiert, geglättet, gebürstet und zum Schluss gefärbt. Beim letzten Produktionsschritt kann man mit Fug und Recht von einer Art Alchemie sprechen. Man arbeitete mit Naturstoffen wie zum Beispiel Harz, Gallapfel und Blauholz.“

Vom Fell zur Kopfbedeckung

Foto: Jitka Mládková
Zu Ende des 19. Jahrhunderts verarbeitete die Firma jährlich 1,5 Millionen Stück handelsüblicher Felle. Aber nicht nur diese Zahl zeigt, wie gut betucht die Hückels gewesen sein müssen:

„Die Familie verfügte über genug Kapital, um sich auch private Immobilien mit exklusivem Komfort leisten zu können. In den Jahren 1880 bis1882 ließen sich Augustin und Johann Hückel jeweils eine Villa nach dem Entwurf des renommierten Wiener Architekten Otto Thienemann bauen. Das einmalige Konzept lag darin, dass spiegelbildlich zwei identische Häuser entstanden. Diese wurden jeweils von einem Eckturm dominiert, in dem die Brüder ihre Wohnung hatten. Das prägende Merkmal im Innern der Gebäude war eine Doppeltreppe mit dekorativem Metallgeländer. Die Räumlichkeiten im Stil der Neorenaissance hatten Stuckatur- und Kassettendecken aus Holz. Ausgeschmückt wurden sie von dem 1858 in Nový Jičín geborenen Maler Eduard Veith. Einige seiner Gemälde aus den Hückelschen Villen sind in unserem Museum zu sehen“, sagte die Museumsmitarbeiterin.

Foto: Jitka Mládková
Nach dem Ersten Weltkrieg konnte die Hutfertigung in Nový Jičín an die früheren Erfolge anknüpfen. Damals beschäftigte die Firma über 4000 Menschen. Dann kam aber der Zweite Weltkrieg, und danach änderte sich vieles von Grund auf. Die Familie musste wie die Mehrheit der deutschsprachigen Bevölkerung die Stadt verlassen. Die Hutfabriken wurden verstaatlicht, 1945 entstand der sogenannte „volkseigene“ Betrieb Tonak. Der Name war eine Abkürzung von „Továrna na klobouky“, auf Deutsch „Fabrik für Hüte“. Nach der politischen Wende von 1989 in der Tschechoslowakei verwandelte sich diese in die Aktiengesellschaft „Tonak a.s.“. Wie früher exportiert sie auch heute wieder die Mehrheit ihrer Produktion ins Ausland. Auch deswegen wird die Firma dieses Jahr ihr 220. Gründungsjubiläum feiern.

In jüngster Zeit wird sich auch die Stadt ihrer industriellen Vergangenheit bewusst. 2016 hat sie beide Hückelsche Villen gekauft, die aber heruntergekommen sind und dringend restauriert werden müssen. Sie gelten als Kulturdenkmäler. Mittlerweile wurde eine architektonische Studie für die Sanierung ausgearbeitet. Die Gesamtkosten sollen sich auf 200 Millionen Kronen (7,85 Millionen Euro) belaufen. Aktuell sucht die Stadt nach Finanzierungsquellen.

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