Mozart und Salieri: Gemeinsame Komposition in Prag wiederentdeckt

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Die Komposition „Per la ricuperata salute di Ophelia“ ist ein Gemeinschaftswerk von Wolfgang Amadeus Mozart und Antonio Salieri. Ihre Existenz war bekannt, doch galt sie über 200 Jahre lang als verschollen. Nun ist sie in den Sammlungen des Tschechischen Musik-Museums in Prag aufgetaucht.

Lukáš Vendl  (Foto: ČTK)
Zum ersten Mal nach mehr als 230 Jahren ist in Prag in dieser Woche eine etwa vierminütige Gemeinschaftskomposition von Wolfgang Amadeus Mozart, Antonio Salieri und einem dritten, bislang unbekannten Komponisten namens Cornetti erklungen. Der Cembalist Lukáš Vendl spielte die Kantate „Per la ricuperata salute di Ophelia“ im Tschechischen Musik-Museum. Dort wurde die Komposition, die als verloren galt, kürzlich wiederentdeckt und präsentiert. Ausfindig gemacht in Prag hat sie der deutsche Musiker und Musikwissenschaftler Timo Jouko Herrmann:

„Es handelt sich um eine Lied-Kantate, die zur Genesung einer Sängerin der Wiener Hofoper entstanden ist.“

„Es handelt sich um eine Lied-Kantate, die zur Genesung einer Sängerin der Wiener Hofoper entstanden ist. Sie wurde von Mozart, Salieri und Cornetti auf einen Text von Lorenzo da Ponte komponiert. Man wusste von der Existenz des Werkes bisher nur durch eine Zeitungsannonce aus dem September 1785.“

Ulrich Leisinger ist Direktor der Forschungsabteilung der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg. Er war bei der Präsentation der Komposition in Prag dabei:

Ulrich Leisinger  (Foto: YouTube Kanal des Carus Verlags)
„Es geht um ein 30-strophiges Gedicht von Lorenzo da Ponte, den wir als den Textdichter vor allem von Don Giovanni kennen. Geschrieben hat er es anlässlich der Genesung von Nancy Storace. Sie hatte bei einer Opernaufführung eine Stimmkrise erlitten und konnte erst vier Monate später wieder auf die Bühne kommen. Und in diesem Lied wird sozusagen die Freude über die Gesundung der Sängerin ausgesprochen, und verschiedene Freunde der Sängerin haben dazu beigetragen, eine Komposition hierzu schreiben.“

Der einzige Beweis über die Existenz der Komposition waren Annoncen, die 1785 in den Wiener Blättchen und in der Realzeitung erschienen:

„Ungewöhnlich ist, dass nicht nur der Text gedruckt wurde, sondern dass auch ein Auszug der Musik an den Druck mitangehängt ist.“

„Es gab im Jahre 1785 eine Zeitungsanzeige, in der wir lesen konnten, dass aus Anlass des Wiederauftretens von Nancy Storace als Sängerin dieses Freudenlied von den drei berühmten Kapellmeistern Salieri, Mozart und Cornetti in Musik gesetzt war. Es stand auch ein Preis dabei, so dass wir schon gewusst haben, dass es sich um kein großes Stück gehandelt hat. Bis heute war aber kein einziges Exemplar davon bekannt. Und was vielleicht ganz besonders ungewöhnlich ist, dass nicht nur der Text gedruckt wurde – das gibt es ja sehr häufig, dass Gelegenheitsgedichte aus dem 18. Jahrhundert gedruckt wurden –, sondern dass auch ein Auszug der Musik an den Druck mitangehängt ist.“

Timo Jouko Herrmann  (Foto: ČTK)
Obwohl Timo Jouko Herrmann von der Existenz der Kantate wusste, hat er nicht absichtlich nach diesem Werk gesucht. Er ist bei seiner Forschungsarbeit zufällig darauf gestoßen:

„Es war ein reiner Zufall. Ich habe für einen guten Freund vom Gewandhausorchester Leipzig ein Werk von Cartelieri gesucht. Das ist ein Schüler Salieris, der viel in Böhmen gearbeitet und gelebt hat, und da lag es nah, im Online-Katalog des Musik-Museums zu schauen. Ich habe auch viel von Cartelieri gefunden, aber eine alte Gewohnheit – ich habe über Salieri meine Doktorarbeit geschrieben – hat mich dazu gebracht, auch nach Salieri zu schauen. Dann kam dieser Titel des Werkes, und ich konnte es kaum glauben, dass es hier im Katalog steht. Dann habe ich sofort Kontakt zu den Mitarbeitern des Museums aufgenommen.“

Komposition „Per la ricuperata salute di Ophelia“  (Foto: ČTK)
Die Grundlage für die Entdeckung des Forschers hat eine Mitarbeiterin des Tschechischen Musik-Museums geleistet. Ulrich Leisinger erklärt die Hintergründe des bedeutenden Funds:

„Die Aufgabe der Bibliothekare ist es, die Dinge vollkommen unvoreingenommen und neutral zu katalogisieren. Die Bibliothekarin hat aus dem Druck, in dem die Namen wirklich nur abgekürzt sind, durch Recherchen herausgefunden, wer der Textdichter und wer die Komponisten sind. Weil sie aber nur nach dem Text gesucht hat, hat sie nicht daran gedacht, auch zu überprüfen, ob die Komposition bekannt war. Sonst hätte die Bibliothek dass vielleicht auch selber melden können. Das Besondere ist, dass Herr Herrmann sich für Salieri interessiert, und im Online-Katalog der Bibliothek dieses Libretto gefunden hat: Es gibt vielleicht zwanzig, vielleicht fünfzig Leute auf der Welt, die erkannt hätten, was die besondere Bedeutung ist, dass nämlich hier ein Druck vorliegt, den es nicht überall, sondern von dem es nur ein einziges Exemplar gibt. Das ist Glück und Können zusammen.“

„Ich war der Glückliche, einfach, weil ich sehr schnell wusste, das ist das Stück, das Salieri und Mozart zusammen geschrieben haben.“

Der Musikwissenschaftler Herrmann dazu:

„Ich war der Glückliche, einfach, weil ich sehr schnell wusste, Moment mal, das ist das Stück, das Salieri und Mozart zusammen geschrieben haben. Weil es mir von Anfang an, seit ich mich mit Salieri beschäftige, präsent ist, und ich immer dachte, es wäre toll, wenn das mal wieder auftaucht, weil es zeigt, dass diese beiden Musiker doch zusammengearbeitet haben.“

Der Wert des wiederentdeckten Stücks liege unter anderem darin, dass damit bewiesen wird, dass Mozart und Salieri keine Feinde und Rivalen waren, sagen die Experten. Sie widerlegen damit die Darstellung der beiden Komponisten in dem bekannten Theaterstück von Peter Schaffer und in dem Oscar-prämierten Film „Amadeus“. Timo Jouko Herrmann:

„Man muss davon ausgehen, dass dieses Werk innerhalb einer knappen Woche entstanden ist. Da Ponte hat mit beiden zusammengearbeitet. Er hatte kurz davor mit Salieri eine Opernproduktion gemacht, ‚Il Ricco d'un giorno‘, er hat parallel zur Entstehungszeit mit Mozart am Figaro gearbeitet, am Textbuch, und Mozart hat eventuell auch schon begonnen, dieses Textbuch zu vertonen. Das heißt, sie waren in sehr engem Kontakt, und die Musikwelt Wiens kannte sich. Mozart und Salieri hatten im Jahr der Entstehung sehr viele Berührungspunkte: Salieri hat in einer Akademie der Tonkünstler-Sozietät eine Kantate Mozarts aufführen lassen, und im Dezember desselben Jahres sind sie zusammen aufgetreten: Salieri hat dirigiert, Mozart hat ein eigenes Klavierkonzert gespielt. Sie standen also in einem sehr kollegialen Verhältnis.“

Antonio Salieri
Wenn man die drei Vertonungen vergleiche, komme man zum Schluss, dass Cornetti der schwächste sei, sagt Herrmann:

„Ich denke, das stützt unsere These, dass es eventuell ein Amateurmusiker war, oder ein Mäzen der Sängerin. Aber bei Mozart und Salieri muss man sagen, dass beide sehr hochwertige, schöne Kompositionen gebracht haben. Mozart vielleicht harmonisch noch interessanter als Salieri. Salieri ist vielleicht melodischer etwas glücklicher. Also ich würde jetzt keinem den Vorzug geben wollen.“

Das Werk kam in den 1950er Jahren in die Bestände des tschechischen Nationalmuseums. Die Institution übernahm damals das verstaatlichte Archivgut der Familie Chotek aus dem Schloss Kačina. Wer aber die Druck-Blätter nach Böhmen gebracht hat, ist nicht bekannt.

Tschechische Musik-Museum  (Foto: © City of Prague)
„Es ist nur sicher, zumindest bis heute ist es das einzig existierende Exemplar, das man noch auffinden kann. Obwohl es ja gedruckt war, war es vermutlich eine tagesaktuelle Sache. Die Storace ist nach zwei Jahren aus Wien zurück nach England gegangen, und in Wien hat sie keiner mehr gekannt. Insofern war es nicht mehr interessant. Da verschwinden diese Dinge in Archiven, oder die Menschen damals haben das weggeworfen. Man weiß es nicht genau, wie die Wege sind.“

Und welche Bedeutung hat die Wiederentdeckung der Kantate im Kontext der Mozart-Funde? Dazu abschließend Ulrich Leisinger:

„Wir wissen von mindestens 30 oder 40 Kompositionen von Mozart, die verloren sind. Aber in den letzten 100 Jahren sind nicht mehr als fünf oder sechs aufgetaucht. Dabei handelte es sich nur zweimal um gedruckte Kompositionen von Mozart. Der letzte Fall, der damit vergleichbar ist, stammt aus dem Jahr 1906.“

„Der letzte Fall, der damit vergleichbar ist, stammt aus dem Jahr 1906.“

Die Musikwissenschaftler machen sich nun an die Arbeit und erstellen eine Edition des Werkes. Das Tschechische Musik-Museum plant, die Fundstücke aus dem 18. Jahrhundert möglichst bald für die Öffentlichkeit auszustellen.