Mumien in Brünn (I) - die Kapuzinergruft

kapucini2.jpg

Die Vergänglichkeit des Fleisches - sie ist Grenze und Grundgesetz des Lebens, eine ewige Herausforderung für den Menschen, sie zu überwinden und der Absolutheit des Todes ein Schnippchen zu schlagen. Die Versuche sind Legion, vom wächsernen Lenin bis zurück zu den balsamierten Pharaonen des alten Ägypten. Mumien aber gibt es nicht nur in Moskau und Memphis. Begeleiten Sie uns auf einer Reise zu den Mumien von Brünn.

Brünn, Freitagmorgen. Gut zweieinhalb Stunden habe ich gebraucht mit dem Zug aus Prag bis hier in die mährische Metropole. Über der Stadt liegt ein strahlend blauer Himmel. Vor dem Bahnhof eilen die Menschen vorbei, die Straßenbahnen sind vollbesetzt, Autos fahren Stoßstange an Stoßstange. Jeder scheint es eilig zu haben – ein ganz normaler Arbeitsmorgen eben. Kaum zu glauben, dass nur ein paar Schritte entfernt auf mich jetzt eine ganz andere Welt wartet – eine Welt, in der Zeit keine Rolle mehr spielt.

Wirklich ist es kaum eine Minute Fußweg vom belebten Bahnhof zum stillen Kapuzinerplatz Der wird von dem Kapuzinerkloster dominiert und seiner schlichten, fast uniformiert wirkenden Kirche, die auch in der Architektur ein Zeugnis ablegt vom Armutsgelübde, das die Kapuziner abgelegt haben. Gleich daneben liegt der Eingang zur Kapuzinergruft. Und hier erwartet mich Frater Pavel, Vorsteher der hiesigen Ordensgemeinschaft, zu einer Führung durch die Unterwelt des Klosters.

„Über eine enge Treppe betreten wir nur die Räume der Krypta – weiß ausgemalt, gewölbt, mit einem schummrigen, aber nicht ganz dunklen Licht.“

„Wir befinden uns jetzt hier in der Krypta des Kapuzinerklosters. Die Kirche steht hier schon 350 Jahre. Für ihren Bau mussten damals zehn Bürgerhäuser abgerissen werden. Die Keller der Häuser wurden genutzt, um unter der Kirche eine ausgedehnte Krypta anzulegen. Die hatte jedes Kapuzinerkloster, das ist also keine Besonderheit. Eine Besonderheit ist, dass man hier ein außergewöhnliches System von Lüftungskanälen angelegt hat. Deshalb gibt es hier immer einen leichten Luftzug, und der hat für die Mumifizierung der Toten gesorgt, die hier begraben worden sind.“

Die Mumifizierung ist kein Zufall. Barockbaumeister Moritz Grimm kannte die geologischen Besonderheiten des Bauplatzes mit seinem durchlässigen Untergrund genau. Mit seinem Lüftungssystem wusste er sie sich geschickt zu Nutze zu machen. Auch Grimm ist übrigens mit seiner Familie in der Kapuzinergruft bestattet. Aber nicht alle Leichen blieben erhalten. Von den 150 hier beigesetzten Kapuzinermönchen sind heute noch 24 zu sehen. Insgesamt haben sich rund 50 Mumien in der Gruft erhalten. Sie stammen aus den Jahren 1658 bis 1784, als Kaiser Josef II. die Kirchenbestattungen verbieten ließ.

„Auf manchen Gesichtern lässt sich noch etwas von der ursprünglichen Physiognomie des Menschen ablesen. Ansonsten sind noch die ausgetrockneten Überreste des Gewebes zu finden, Reste der Totenkleider – hier haben wir eine Marschall, bei dem sind die Militärstiefel mit den Sporen noch gut zuerkennen.

Rechts und links stehen in einer langen Reihe die Särge – rostige Schilder zeigen, wer hier bestattet ist. ´Jiří Barnabas Orelli, Kaminkehrermeister, gestorben 1757´, können wir da lesen, oder ´Martin Löw, Brünner Bürger, gestorben 1773´. Die Särge sind aus dunklem Holz, aus einfachen Brettern gezimmert. Auf den Bohlen haben sich noch Reste einer volkstümlichen barocken Bemalung erhalten – ein Kruzifix, Blumen, Ornamente, nachgedunkelt und verblichen. Die Deckel liegen neben den Särgen, die nur mit einer Glasplatte abgedeckt sind und einen Blick ins Innere erlauben. Ein paar handvoll Sägespäne sind da zu sehen und die Schemen derer, die dort bestattet sind. Grau, lederartig, in sich zusammengefallen. Hier kann man noch die Stiefel erkennen, dort einen Rosenkranz, dort ein Kruzifix. Manchmal ist der Schädel von den Schultern geknickt und liegt in den Spänen, manchmal ist der Kopf noch wie lebendig erhalten und nur grau und wie versteinert – die Augen eingefallen, das Antlitz wie schlafend. Man weiß nicht – soll man erschreckt sein soll man fasziniert sein? Gelbe Zähne grinsen aus dem Sarg – manchmal ein Lächeln, manchmal eine verzerrte Fratze. Und doch – wenn man an der ganzen Reihe dieser Särge vorbeigeht, dann bleibt zum Schluss das friedliche Antlitz des Todes, der ja der große Bruder des Schlafes ist.

„´Sic Transit Gloria Mundi´ – ´So vergeht der Ruhm der Welt´, heißt es hier auf der Aufschrift, auf die der Todesengel zeigt. Auch Adelige haben sich oft bei den Kapuzinern bestatten lassen, weil sie gern in der Nähe von betenden Mönchen ruhen wollten. Hier sehen wir noch einen originalen, mit Malereien geschmückten Barocksarg, in dem Adelige beigesetzt wurden.“

Eine von ihnen ist die Gräfin Zinzendorf, gestorben 1719. An sie knüpft sich eine schauerliche Geschichte, wie sie bei einem solchen Ort wohl nicht fehlen darf. Der österreichische Publizist Ernst Trost hat sie in einer Brünner Reportage aus den sechziger Jahren wiedergegeben:

„Man starrt die Leiche an und fühlt sich als Zeuge einer schrecklichen Tragödie. Die Haltung der anderen Mumien in der Gruft drückt das Endgültige des Todes aus. Dieses Mädchen aber verkrampft seine magren Hände in die Schenkel, seine Beine sind ein wenig angezogen, der Körper ist gekrümmt. Unruhe, Entsetzen, Angst, Verzweiflung – all das bekennt diese Mumie mit einem einzigen stummen Aufschrei für die Ewigkeit. Jetzt ist ihr Sarg geöffnet. Damals war er geschlossen und das Mädchen erwachte. Vielleicht schon hier in der Gruft, wo es für jedes Klopfen und Schreien zu spät war, während oben die Mutter die Kränze zählte und die Blumen mit ihren Tränen netzte.“

„Man muss sich den Leichnam der Grafin Isabella von Zinzendorf nur anschauen, dann sieht man auf den ersten Blick, dass der Körper seltsam verdreht ist. Da ist es natürlich nicht weit bis zu der Legende, dass die Gräfin nur scheintot war und im Grab erwacht ist, wie das ja gelegentlich auch geschehen sein soll. Die Leiche ist dann aber später untersucht worden, und die Experten gehen davon aus, dass die Gräfin an einem epileptischen Anfall gestorben ist. Aber fast jeder, der hierher kommt, fragt nach der Legende, weil eben der erste Blick so eine Frage aufdrängt.“

Wir durchschreiten einen engen Torbogen und kommen an das Ende des Ganges. Er mündet in zwei vergitterte Räume, und durch die Gitter schaut man auf eine lange Reihe von Leichnamen, die hier ganz ohne Sarg liegen.

„Jetzt stehen wir in der eigentlichen Kapuzinergruft, in der ausschließlich die Brüder beigesetzt sind, und das in der für diesen Orden typischen Weise. Die Kapuziner gehören zu den Bettelorden, und so gab es für alle Brüder auch nur einen einzigen Sarg. In dem wurde der verstorbene Bruder hierher in die Gruft getragen, und hier hat man ihn dann auf die nackte Erde gelegt, mit nichts als zwei Ziegelsteinen unter dem Kopf. So ist er hier bestattet worden.“

„Hier bei den Brüdern kann man noch die Reste des Mönchgewandes sehen – das Habit, die Kapuzen, das Cingulum, also der gürtelartige Strick um die Taille, Reste von Rosenkränzen. Ein Bruder hat ein hölzernes Kreuz im Arm. Das haben Jubilare am 50. Jahrestag des Ordensgelübdes bekommen, und es diente zugleich als Krückstock, auf den sich der alte Bruder stützen konnte.“

Heute ist die Brünner Kapuzinergruft Grab und Museum zugleich, für die einen ein Ort der Einkehr, ein Memento mori, für andere ein schauriges Panoptikum der letzen Dinge. Ein wenig stören ihn die Besucherströme in der Krypta, räumt Bruder Pavel ein.

„Aber ich sage den Leuten immer: Wir sind ein Bettelorden. Wir Brüder arbeiten selbstverständlich mit den eigenen Händen für unser Brot, aber wir gehen auch betteln, damit wir unser Brot mit den Armen teilen können. Und die Brüder hier in der Gruft, die sammeln sogar noch nach dem Tode bei den Touristen milde Gaben für uns, mit denen wir hier die Gebäude instand halten können. Ich sage immer: die toten Brüder betteln für uns Lebende.“