Nachdenkliche Worte zur kommunistischen Verfolgung und Schelte für Günther Grass: Nobelpreisträgerin Herta Müller in Prag

Herta Müller (Foto: Goethe-Institut Prag)

Die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller war diese Woche in Prag. Als Ehrengast eröffnete sie die Verleihung der Buchpreise Magnesia Litera und nutzte die Gelegenheit, auf Einladung des Goethe-Instituts Prag und des Verlags Mladá Fronta in der Stadtbibliothek Prag aus ihrem Werk „Die Atemschaukel“ zu lesen. Radio Prag hat ihren Besuch in der tschechischen Hauptstadt begleitet.

Herta Müller  (Foto: Goethe-Institut Prag)
Der große Vortragssaal der Prager Stadtbibliothek war voll und vor der Tür warteten noch weitere Menschen. Sie alle wollten eine Nobelpreisträgerin aus Deutschland sehen – und hören. Der Leiter des Goetheinstituts in Prag, Heinrich Blömeke, eröffnete den Abend:

„Herta Müller ist für die literarisch Bewanderten in Prag keine Unbekannte. Sie war 1992, vor 20 Jahren das erste Mal öffentlich hier in Prag. 1997 und 2002 folgten weitere Aufenthalte und ich bin sicher, dass sie auch im privaten Kontext zu Besuch war. Herzlich willkommen, einen besonderen Dank an Herta Müller, ich wünschen ihnen eine anregende Begegnung.“

Herta Müllers „Atemschaukel“
Herta Müller las aus ihrem preisgekrönten Buch „Die Atemschaukel“. Ihr bekanntestes Werk beschreibt das Leben in einem kommunistischen Arbeitslager, das auf den Erfahrungen ihres Freundes, des Schriftstellers Oskar Pastior beruht. Sie selbst war in Rumänien und auch nach ihrer Auswanderung nach Deutschland immer im Visier des rumänischen Geheimdienstes gewesen - der berüchtigten Securitate, die sie sogar mit dem Tod bedroht hat. Selbst Müllers Freund Pastior wurde von der Geheimpolizei gezwungen, sie zu bespitzeln. Die Schriftstellerin differenziert aber deutlich bei der Bewertung ihrer Überwachung:

„Wir haben 7000 Akten in der Behörde in Rumänien gelesen. Dabei haben wir aus den zehn Jahren, in denen er dabei war, vier Berichte von Pastior gefunden. Die sind harmlos und sind zu entschuldigen. Pastior hatte also keine kriminelle Energie.“

Oskar Pastior
Gerade diese Verfolgung und die Atmosphäre im kommunistischen Regime haben Herta Müller zum Schreiben gebracht. Dies sei für sie der einzige Weg gewesen, die Erlebnisse zu verarbeiten. Leicht ist es ihr aber nie gefallen, wie sie erklärt:

„Das Schreiben hat natürlich eine Faszination. Aber es ist auch eine schrecklich schwere Arbeit. Wenn man anfängt zu schreiben, muss man erst die Realität demontieren, sie auseinandernehmen. Die Sprache ist ein anderes Metier als das Leben, und das Leben wartet - Gott sei Dank - nicht darauf, dass es aufgeschrieben wird.“

Müller betonte auch, dass es ihr unheimlich wichtig ist und immer gewesen sei, auch politisch auf dem Laufenden zu sein. Sie lese daher regelmäßig Zeitungen und höre sehr viel Radio, um den Staat und die Demokratie verstehen und nutzen zu können. Sie äußerte sich auch eindeutig, als ein Journalist sie auf die umstrittenen Äußerungen ihres Schriftsteller- und Nobelpreisträger-Kollegen Günther Grass ansprach. Dieser hatte in Deutschland, Italien und Amerika in führenden Tageszeitungen ein Gedicht veröffentlicht, in dem er die israelische Atompolitik kritisierte und Israel vorwarf, mit einem möglichen Erstschlag gegen den Iran den Weltfrieden zu gefährden. Herta Müller:

Günther Grass
„Ich finde, Herr Grass müsste sich zurückhalten. Er ist ja nicht ganz neutral. Wenn man einmal in der SS-Uniform gekämpft hat, dann ist man nicht mehr in der Lage, neutral zu urteilen. Ich halte es auch für größenwahnsinnig, dass er dieses so genannte Gedicht an drei internationale Zeitungen verteilt. Außerdem ist es kein Gedicht. Wenn er ehrlicher wäre, hätte er einen Artikel geschrieben. Da steht kein einziger literarischer Satz drin.“

Auch bei der weiteren Diskussion nahm die Schriftstellerin kein Blatt vor den Mund. Scharfsinnig und vehement verurteilte sie die kommunistische Diktatur und berichtete emotional von den Erfahrungen der eigenen Verfolgung durch das Regime. Trotzdem blickte sie aber in Prag auch immer hinter die Fassade und erlaubte weder den Zuhörern noch sich selbst einfache und pauschale Urteile.