Nachlese zur ersten Runde der tschechischen Senatswahlen
Seien Sie gegrüßt, verehrte Hörerinnen und Hörer bei einer neuen Ausgabe von "Im Spiegel der Medien", der Mediensendung von Radio Prag. Für Sie am Mikrophon sind heute Dagmar Keberlova und Robert Schuster.
Dass das Jahr 2002 schon zu Jahresbeginn mit Recht als ein "Superwahljahr" bezeichnet wurde, bekommen viele Tschechen erst in diesen Tagen und Wochen so richtig mit. Nach den Wahlen zum Abgeordnetenhaus vom Juni, waren letztes Wochenende die Wähler in Teilen Tschechiens aufgefordert, an der erste Runde der Nachwahlen zum Senat teilzunehmen. Dieses Wochenende finden nun neben der entscheidenden zweiten Runde noch landesweite Kommunalwahlen statt. Das alles bot natürlich ausreichend Stoff für die heimischen Medien, die die Ergebnisse des ersten Durchgangs ausgiebig kommentierten. Im Mittelpunkt stand dabei vor allem die äußerst niedrige Wahlbeteiligung, die mit etwas mehr als 24 Prozent einen neuen Tiefststand erreichte. Die Haltung vieler Wähler hätte sich wohl am besten, mit einer Abwandlung des bekannten Brecht-Zitates charakterisieren lassen: "Stell Dir vor, es sind Wahlen und keiner geht hin."
Im Grunde genommen war aber die Ursache dafür nicht allzu überraschend, denn die hängt mit der allgemeinen Unbeliebtheit der zweiten Parlamentskammer unter den Wählern zusammen, die den Senat mehrheitlich am liebsten wieder abgeschafft sehen würden. Werden also die verantwortlichen Politiker, wenn sich die Aufregung in einigen Wochen gelegt hat, wieder einfach zur Tagesordnung übergehen können? Das fragten wir vor der Sendung den Kommentator der tschechischen Redaktion der britischen BBC, Daniel Kaiser:
In der bisherigen politischen Praxis Tschechiens sei jedoch, laut Daniel Kaiser, das Votum der Senatoren letztlich fast immer von den Abgeordneten überstimmt worden. Ebenso gab es seiner Meinung nach bisher keine Gelegenheit, dass der Senat - wie von den Autoren der Verfassung ursprünglich vorgesehen - als eine Art Sicherung gegen allzu radikalen Vorschläge der Abgeordneten aufgetreten wäre.
Auch andere Journalisten schlugen in der vergangenen Woche mit ihren Kommentaren in die gleiche Kerbe. Jan Keller kam dabei zu einem recht sarkastischen Schluss, wie Sie dem folgenden Auszug aus der Zeitung Pravo entnehmen können:
"Die geringe Beteiligung hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass in einigen Teilen des Landes vergangenes Wochenende schönes Wetter war, in anderen es wiederum in Strömen regnete, was in beiden Fällen nicht gerade an die Urnen lockte. Wir müssen halt zur Kenntnis nehmen, dass der Senat, der mit dem Ziel gegründet wurde, die parlamentarische Demokratie in Tschechien abzusichern, nur bei Temperaturen zwischen 20 und 23 Grad Celsius, blauem Himmel mit Schäfchenwolken und einem lauen Wind funktioniert. Das ist nicht gerade eine aufmunternde Feststellung."
Während sich alle Kommentatoren in Bezug auf die geringe Wahlbeteiligung und deren möglichen Folgen irgendwie einig waren, kamen aber in der bei Wahlen entscheidenden Frage, wer denn als Gewinner, bzw. Verlierer bezeichnet werden kann, in der vergangenen Woche durchaus unterschiedliche Standpunkte zum Vorschein. So meinte etwa Martin Komarek in der auflagenstarken Mlada fronta Dnes, dass es eigentlich nur einen Gewinner gebe, nämlich die oppositionelle Demokratische Bürgerpartei ODS von Vaclav Klaus. Ihr gelang es, in 19 der insgesamt 27 Senatswahlkreise ihre Kandidaten in die zweite Runde zu bringen. Komarek zieht daraus folgenden Schluss:
"Den Sieg kann den Bürgerlichen Demokraten niemand mehr nehmen. Eigentlich geht es jetzt nur noch darum, ob es sich dabei um einen eindeutigen oder gar einen Erdrutschsieg handeln wird. Alle anderen sind die Verlierer des vergangenen Wahlwochenendes."
Daniel Kaiser von der BBC meint dagegen, dass man das Ergebnis nicht nur aus der Sicht der traditionellen Parteien deuten sollte und findet vor allem den Erfolg von einigen Partei unabhängigen Kandidaten bemerkenswert, die entgegen allen Erwartungen den Einzug in die zweite Runde schafften, wie er im folgenden meint:
Auf einen weiteren interessanten Aspekt der ersten Runde der diesjährigen tschechischen Senatswahlen wies Bohumil Pecinka in der Wochenzeitschrift Reflex hin. Er konzentrierte sich in seinem Kommentar auf die Frage, welche Persönlichkeiten sich eigentlich hinter jenen bislang unbekannten Namen verbergen würden, die sich in einigen Wahlkreisen ziemlich eindeutig gegen die allseits bekannten Amtsinhaber durchsetzen konnten und kam zu folgenden Schluss:
"Erfolgreich waren diesmal vor allem in ihrem Wahlkreis fest verankerte Bürgermeister, Feuerwehrhauptleute, oft auch Ärzte. Ihr starkes, weil aus einer Direktwahl hervorgegangenes Mandat, werden nun diese Senatoren dazu nutzen, staatliche Gelder oder private Investoren für Projekte in ihren Wahlreisen aufzutreiben, oder dort als eine Art Schlichter oder Schiedsrichter bei Konflikten auftreten. Es ist also anzunehmen, dass bei den neugewählten Senatoren ihr starker regionaler Bezug nicht verloren gehen wird und das auch Auswirkungen auf die Arbeit des Senats in seiner Gesamtheit haben wird."
Im Vorfeld der Senatswahlen wurde nicht nur von den Medien, sondern auch von einigen Parteien darauf hingewiesen, dass die Bürger auch die Gelegenheit nutzen sollten, durch ihr Abstimmungsverhalten indirekt die Wahl des künftigen tschechischen Präsidenten zu beeinflussen. Hat dieses Wahlmotiv überhaupt eine Rolle gespielt,? fragten wir Daniel Kaiser von der Prager Redaktion der BBC:
Zu den markantesten Ergebnissen des ersten Durchgangs gehört zweifelsohne der Wahlerfolg des Chefs des größten tschechischen privaten Fernsehkanals, TV NOVA, Vladimir Zelezny. Ihm ist es sogar als einzigem Senatskandidaten gelungen, bereits im ersten Durchgang mehr als 50 Prozent der Stimmen auf sich zu vereinen. Zelezny ging zwar formal als Partei unabhängiger Bewerber ins Rennen, konnte jedoch auf die stille Unterstützung von Seiten der rechtsliberalen ODS setzen, die ihren offiziellen Kandidaten vorher aus dem Rennen nahm. Während des Wahlkampfs im ländlich geprägten südmährischen Wahlkreis Znojmo/Znaim zog der Kandidat Zelezny alle Register und bot den dortigen Wählern eine Materialschlacht sondergleichen, welche die Bewerber der übrigen Parteien zu Statisten werden ließ. Kann man also annehmen, dass dieses Beispiel, wo also ein parteipolitisch unabhängiger und finanzstarker Kandidat, der keine Mittel scheut und auf Anhieb Erfolg feiert, nun in Tschechien Schule machen kann? Daniel Kaiser von der BBC meint dazu abschließend:
Lieber Hörerinnen und Hörer, damit sind wir wieder einmal am Ende unseres heutigen Medienspiegels angelangt. Vom Prager Mikrophon verabschieden und auf ein Wiederhören freuen sich Dagmar Keberlova und Robert Schuster.