Momentaufnahme oder Weichenstellung? Senatswahlen und Kommunalwahlen sind entschieden

Les sénatoriales, photo: CTK

Das Jahr 2002 kann man in der Tschechischen Republik getrost als Superwahljahr bezeichnen. Erst im Juni gab es hierzulande Parlamentswahlen, und nun, Ende Oktober und Anfang November, fanden Senats- und gleichzeitig auch Kommunalwahlen statt. Politisch spannende Zeiten also für das Land. Doch wenden wir uns nun den jüngsten Urnengängen zu, also den Wahlen zum Senat und in die Gemeindevertretungen. Über deren Hergang, deren Ergebnisse und deren Bedeutung hören Sie mehr im folgenden Schauplatz von Gerald Schubert.

Vor zwei Wochen fand die erste Runde der diesjährigen Senatswahlen statt, in der ein Drittel der Mandate des parlamentarischen Oberhauses, also genau 27 Sitze neu vergeben wurden. Eine Woche später musste dann in all jenen Wahlkreisen, in denen nicht schon in der ersten Runde einer der Kandidaten die absolute Mehrheit erlangte, eine Stichwahl über den neu zu entsendenden Senator entscheiden. Und gleichzeitig mit dieser wurden im ganzen Land Kommunalwahlen abgehalten.

Werfen wir einen kurzen Blick auf die Ergebnisse: Von den 27 neu vergebenen Senatssitzen fallen 9 auf Kandidaten der rechtsliberalen Demokratischen Bürgerpartei ODS und 7 auf die Sozialdemokraten. Weiters ziehen ein Christdemokrat, ein Unionist, ein Kommunist und 8 unabhängige Kandidaten in den Senat ein. Vor allem letzteres gilt als großer Erfolg. Man spricht bereits von einer Repersonalisierung der Politik, von der Übertragung der Verantwortung auf konkrete, verdienstvolle Personen, und weg von den großen Parteien. So wurde etwa im Bezirk Brno / Brünn der Rektor der dortigen Masaryk-Universität, Jiri Zlatuska in den Senat gewählt, oder im ersten Prager Stadtbezirk Martin Mejstrik, einer der Studentenführer der sogenannten "Samtenen Revolution" des Jahres 1989. Und die Kommunalwahlen: Sie brachten ebenfalls in erster Linie einen Sieg der unabhängigen Kandidaten.

Doch abseits der Zahlen und Namen: Wer sind nun die wirklichen Sieger dieser Wahlen, und welche Bedeutung haben jene für die unmittelbare politische Zukunft der Tschechischen Republik? Darüber habe ich mit Robert Schuster, er ist Politikwissenschaftler am tschechischen "Institut für Internationale Beziehungen" und Mitarbeiter von Radio Prag, das folgende Gespräch geführt:

"Nach den Kommunalwahlen und Senatswahlen, die am vergangenen Wochenende geschlagen wurden, haben sich ja gleich mehrere Parteien zum Sieger erklärt. Wie beurteilen Sie den Ausgang der Wahlen? Welche Partei kann von sich tatsächlich behaupten, diese Wahlen gewonnen zu haben?"

"Es gibt hier ein ziemlich interessantes Phänomen. Schon nach der ersten Runde der Senatswahlen vom vorvergangenen Wochenende wusste man eigentlich nicht so recht, in welche Richtung die Tendenz geht. Da hat ja einerseits die ODS stark zulegen können, ebenso waren auch die Sozialdemokraten, also die stärkste Regierungspartei, erfolgreich. Auf der anderen Seite aber kamen sehr viele unabhängige Kandidaten in die zweite und entscheidende Runde. Man war also gespannt, wie das letztlich ausfallen wird. Es hat sich gezeigt, dass die zweite Runde diese Entwicklung dann noch verstärkt hat. Das heißt: Heute können sich sowohl die beiden Großparteien, also die rechtsliberale ODS und die Sozialdemokraten, als Sieger bezeichnen, ebenso aber auch die unabhängigen Kandidaten. Wobei der Triumph der parteiungebundenen Kandidaten natürlich durch das herausragende Ergebnis bei den Kommunalwahlen noch verstärkt wurde, wo diese um die 70 Prozent der Stimmen und Mandate auf sich vereinen konnten."

"Die Tschechische Republik steht mindestens vor zwei größeren Weichenstellungen. Ich spreche konkret die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen an, weil ja das Mandat von Vaclav Havel im Januar abläuft, und dann gibt es auch noch den EU-Beitritt auszuhandeln. Wie beurteilen Sie die Auswirkungen vor allem der Senatswahlen auf diese zwei großen Brocken, die der tschechischen Politik in den nächsten Wochen und Monaten bevorstehen?"

"Ich beginne vielleicht mit der zweiten Frage, also dem Themenkomplex EU-Erweiterung, EU-Volksabstimmung, Abschluss der Beitrittsverhandlungen. Ich denke, da wird diese Wahl keine direkten Auswirkungen haben, denn die Regierung steht eigentlich kurz vor dem Abschluss dieser Beitrittsverhandlungen, die bisher relativ gut über die Bühne gingen. Es gibt auch keine großen innenpolitischen Streitereien darüber, ob die Regierung bei der einen oder anderen Frage etwas mehr Härte hätte zeigen sollen, weniger nachgeben hätte sollen usw. Also ich denke, hier besteht relativer Konsens. Was die EU-Volksabstimmung angeht, die ja spätestens im Juni stattfinden soll, da wird es darauf ankommen, ob es der Mitte-Links-Regierung, bestehend aus Sozialdemokraten, Christdemokraten und der liberalen Freiheitsunion, gelingen wird, die stärkste Oppositionspartei des Landes irgendwie mit ins Boot zu holen, irgendwie mit einzubinden. Das ist die rechtsliberale ODS, die ja immer wieder in den vergangenen Wochen und Monaten versucht hat, sich euroskeptisch zu geben. Falls dies der Regierung gelingen wird, dann ist, denke ich, ein positives Ergebnis dieser Volksabstimmung bezüglich eines EU-Beitritts Tschechiens nicht gefährdet. Was die Präsidentschaftswahl betrifft, so kann man sagen, dass sich die Gewichtung zwischen den einzelnen Kandidaten, die es bislang gibt, eindeutig in Richtung jener Kandidaten entwickelt, die allgemein als der kleinste gemeinsame Nenner bezeichnet werden. Das sind also Persönlichkeiten wie zum Beispiel Otakar Motejl (Ombudsmann, Anm.) oder Petr Pithart (Senatsvorsitzender, Anm.). Also Politiker, die eigentlich nirgendwo anecken, die vielleicht auch keine so klaren Konturen haben, und die schon seit vielen Jahren über einen relativ hohen Beliebtheitsgrad verfügen. Ich denke, das sind die Kandidaten, die letztlich das Rennen unter sich ausmachen werden. Also die Chancen von so klar ausgeprägten Persönlichkeiten wie Vaclav Klaus oder auch eventuell Milos Zeman, falls er sich doch dazu entschließen sollte, anzutreten, sind eigentlich trotz des guten Abschneidens der beiden Parteien, das heißt sowohl der Sozialdemokraten als auch der ODS, etwas gesunken."

Letzteres liegt mit Sicherheit an der doch einigermaßen angespannten politischen Situation in Tschechien. Denn die knappe Regierungsmehrheit im Abgeordnetenhaus von 101:99 Stimmen eröffnet natürlich eine taktische Spielwiese, auf der jede Menge Raum bleibt für strategische Planspiele und parteipolitische Machtdemonstrationen. Robert Schuster hat es angesprochen: Die beiden Expremiers, die die Geschicke des Landes in den neunziger Jahren entscheidend geprägt haben, also der Sozialdemokrat Milos Zeman und der ODS-Vorsitzende Vaclav Klaus, sind charakterlich stark ausgeprägte Persönlichkeiten, die eher polarisieren als integrativ wirken, und daher nicht unbedingt die idealen Voraussetzungen für das Präsidentenamt mitbringen. Zu jenem charakterlichen Element kommt aber eben noch ein anderer Aspekt: Bei den prekären Mehrheitsverhältnissen im Parlament, dessen beide Kammern ja das Staatsoberhaupt wählen werden, wird wohl keine der beiden Großparteien einen Kandidaten der jeweils anderen Partei unterstützen.

Vladimir Zelezny
Greifen wir noch zwei weitere Schwerpunkte heraus, die im Zusammenhang mit den Senatswahlen innenpolitisch aufhorchen ließen: Da ist zum einen die Tatsache, dass nur ein einziger Kandidat bereits in Runde eins die absolute Stimmenmehrheit errang und direkt in den Senat einzog: Es handelt sich dabei um Vladimir Zelezny, den Direktor des reichweiten Privatfernsehsenders TV-Nova, der im Wahlkreis Znojmo / Znaim als unabhängiger Kandidat antrat. Zelezny galt aber stets als sehr umstrittener Kandidat, denn er wird gleich in mehreren Fällen strafrechtlich verfolgt, und zwar vor allem im Zusammenhang mit Gläubigerschädigung. Die Bedeutung seiner nunmehrigen parlamentarischen Immunität, die gegenwärtig den größten Anstoß erregt, wollte Zelezny allerdings nicht kommentieren: Das sei eine Fragen für Juristen, und die interessiere ihn am allerwenigsten, so Zelezny.

Und noch einen interessanten Aspekt brachten die Senatswahlen ans Licht: Nämlich eine zaghafte Annäherung zwischen der sozialdemokratischen CSSD und der kommunistischen KSCM. Für die Stichwahl nämlich kam es in etlichen Regionen zu Wahlempfehlungen für den verbleibenden Kandidaten der jeweils anderen Partei. Dies freilich nur dort, wo man in der zweiten Runde nicht ohnehin gegeneinander antrat. Premier Spidla, der ebenfalls für ein "linkes" Votum plädiert hatte, was in manchem konkreten Fall eben nur "kommunistisch" heißen konnte, hat später relativiert: Eine "historische Wende", wie sie die Kommunisten herbeizureden suchten, also eine Zusammenarbeit von CSSD und KSCM auf breiterer Ebene, sei nicht in Sicht. Ob es sich hier tatsächlich nur um ein regional beschränktes Strohfeuer oder um einen klassischen politischen Versuchsballon gehandelt hat, das wird in Tschechien neben den Präsidentschaftswahlen und dem EU-Referendum zu den interessantesten politischen Themen des Jahres 2003 gehören.