Neue Gesichter für Europa? Bei den ersten tschechischen Europawahlen kandidieren viele junge Kandidaten.

Foto: Europäische Kommission

Die heutige Ausgabe unserer regelmäßigen Sendereihe "Schauplatz" steht ganz im Zeichen der ersten tschechischen Europawahlen. Dazu hat sich Robert Schuster mit zwei jungen Europakandidaten über ihre bisherigen Erfahrungen im laufenden Wahlkampf sowie über die Bedeutung dieses Wahlgangs unterhalten.

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In knapp einer Woche werden in Tschechien die historisch ersten Wahlen zum Europaparlament stattfinden. Die Art und Weise, wie die insgesamt 31 kandidierenden Gruppierungen auf sich aufmerksam machen und potentielle Wähler ansprechen wollen, unterscheidet sich im wesentlichen nicht von der Wahlwerbung vor den nationalen Parlamentswahlen. Viele Tschechen scheinen sich zudem an die großen Plakate mit den Spitzenkandidaten, die seit Wochen die Straßen säumen, entweder gewöhnt zu haben, oder sie nehmen sie, genau so wie etwa die Werbespots in Rundfunk und Fernsehen, nicht mehr zur Kenntnis.

Dennoch ist aber bei diesem ersten Europa-Wahlgang eine Begleiterscheinung ganz neu und anders, jedenfalls im Vergleich zu den bisherigen nationalen Wahlen. Viele der Wahl werbenden Gruppierungen setzten nämlich bewusst auf junge Kandidaten. Und diese erscheinen auf den Listen nicht wie üblich auf den unteren und somit wenig wählbaren Plätzen, sondern sind oft unter den ersten Fünf platziert. Sie haben somit reale Chancen, auch tatsächlich den Sprung nach Strassburg zu schaffen.

Radio Prag will nun im Folgenden zwei dieser jungen Kandidaten aus zwei unterschiedlichen Parteien zu Wort kommen lassen. Zum einen ist das die 31-jährige frühere Rundfunkjournalistin Jana Ulbrychova, die als Listen-Zweite der Grünen kandidiert, und zum anderen der 24-jährige Soziologe David Macek, der als parlamentarischer Mitarbeiter von Verkehrsminister Milan Simonovsky tätig ist und für die Christdemokraten ins Rennen geht.

Sowohl für Jana Ulbrychova als auch für David Macek handelt es sich um den ersten Versuch, ein politisches Mandat zu erlangen, der auf Grund ihrer Positionierung auf den Parteilisten Aussicht auf Erfolg hat. Somit scheinen nicht nur diese beiden Bewerber, sondern auch die jungen Kandidaten auf den übrigen Parteilisten den immer wieder bemängelten Umstand zu widerlegen, wonach die Bereitschaft von jungen Menschen, sich politisch zu engagieren und gegebenenfalls auch Verantwortung im Rahmen eines Mandats zu übernehmen, gering sei.

Jana Ulbrychova von den Grünen hat folgende Erklärung für den relativ niedrigen Altersdurchschnitt der Bewerber für die 24 tschechischen Sitze im Europaparlament:

"Ich bin davon überzeugt, dass sich gegenwärtig eine Generation politisch zu engagieren beginnt, die ein anderes Politikverständnis hat und wegen Inhalten, nicht aber wegen der Erlangung von Macht oder politischen Einflusses aktiv wird. Die meisten jungen Kandidaten haben die Hälfte ihres bisherigen Lebens im kommunistischen Regime verbracht. In den vergangenen Jahren haben sich viele auch anderweitig im Rahmen der Zivilgesellschaft engagiert, etwa bei verschiedenen Bürgerinitiativen. Mein Ziel ist es, diese Erfahrungen in die Politik einzubringen, und ich bin überzeugt davon, dass dieses Land eine neue Politikergeneration braucht, welche besser die Anliegen der Zivilgesellschaft und deren Ziele vertreten würde."

Eine ähnliche Sicht der Dinge findet man auch beim christdemokratischen Europakandidaten David Macek. Dennoch war seine Ausgangslage im Vergleich zu der von Frau Ulbrychova ein wenig spezifisch.

Während nämlich die tschechischen Grünen eine relativ junge Partei sind - und zwar nicht nur, was die Parteigeschichte angeht, sondern insbesondere das durchschnittliche Alter der Parteimitglieder und Anhänger, so sind die Christdemokraten eine traditionsreiche Partei, in der - rein statistisch gesehen - die meisten Mitglieder zwischen 55 und 65 Jahre alt sind. Gerade in Parteien mit einer derartigen Altersstruktur ist es für junge Nachwuchspolitiker nicht leicht, sich durchzusetzen, wie sich David Macek zurückerinnert:

"Ich muss ehrlich gestehen, dass ich vor einem Jahr gewisse Bedenken hatte, als ich mich entschied, für das Europaparlament zu kandidieren. Ich hatte bestimmte Zweifel, weil es gerade in meiner Partei üblich ist, dass man in der Politik von Grund auf beginnt, das heißt erst allmählich von der lokalen Politik, über die regionale bis in die so genannte große Politik wechselt. Mir aber fehlt diese Erfahrung und so wusste ich nicht, wie unsere Mitglieder dazu stehen würden. Aber das Echo von der Basis war überraschend gut, so dass ich auf dem Parteitag an vierter Stelle nominiert wurde."

Zu den Fragen, die beide Kandidaten von den Besuchern ihrer Wahlveranstaltungen am meisten gestellt bekommen, gehört jene nach dem tatsächlichen Einfluss der künftigen tschechischen EU-Parlamentarier in der mehr als 730 Köpfe zählenden Versammlung. Sowohl Jana Ulbrychova als auch David Macek orten hinter diesen und ähnlichen Fragen einen immer noch geringen Informationsstand, und zwar nicht nur über die Aufgaben und Möglichkeiten des Straßburger Parlaments, sondern generell auch der übrigen europäischen Institutionen.

Auch aus diesem Grund würden viele potentielle Wähler dazu neigen, die Bedeutung der Europawahlen zu unterschätzen. Sie meinen deshalb, es sei gar nicht notwendig, an den Wahlen teilzunehmen, wie David Macek seine bisherigen Erfahrungen aus dem Wahlkampf und dem Zusammentreffen mit seinen Mitbürgern beschreibt:

"Es stimmt, dass viele Bürger, die das erste Mal von der Existenz eines Europaparlaments gehört haben und dann merken, dass Tschechien dort mit lediglich 24 Mandataren vertreten sein wird, mit den Worten reagieren, dass es keinen Sinn mache, überhaupt zu den Wahlen zu gehen. Ich versuche dann immer dagegen zu argumentieren, dass es im Europaparlament wichtig ist, Verbündete auch aus anderen Ländern zu haben, und es auf die Größe der Fraktionen ankommt. Zudem ist es ja in Strassburg bisher immer so zugegangen, dass fast 90 Prozent aller wichtigen Entscheidungen von den größten Fraktionen beschlossen und getragen werden. Gerade in den ersten Monaten nach den Europawahlen wird es darauf ankommen, dass sich die neu gewählten Abgeordneten in die einzelnen Gruppen gut eingliedern. Das wird am besten denjenigen Mandataren gelingen, die nicht gleich von Beginn an einen konfrontativen Stil an den Tag legen werden."

Auch die Kandidatin der Grünen, Jana Ulbrychova, muss ihren Worten zufolge im direkten Kontakt mit potentiellen Wählern oft die Arbeitsweise des Europäischen Parlaments erklären und insbesondere die Unterschiede zu den Kompetenzen des tschechischen Parlaments hervorheben.

Vielleicht schätzt sie gerade deshalb den Stellenwert der historisch ersten Europawahlen in den Augen ihrer tschechischen Mitbürger nüchtern ein. Denn schließlich haben auch in den meisten alten EU-Mitgliedsstaaten die Europawahlen oft den Charakter von Testwahlen, die auch dazu dienen können, den amtierenden Regierungen einen Denkzettel zu verpassen, wie sie im folgenden ausführt:

"Die Wähler neigen dazu, bei den Wahlen ins Europaparlament ein wenig zu experimentieren, weil ein Mitglied des Europaparlaments im Vergleich zu einem nationalen Parlamentarier ganz andere Aufgaben hat. In erster Linie entscheidet er nicht über die Höhe der Steuern in seinem Heimatland, aber er kann maßgeblich die Lebensqualität in Europa mit beeinflussen, d.h. über Richtlinien zum Umweltschutz oder über die Förderung von Kultur entscheiden. Auch deshalb wurden im Vorfeld dieser Wahlen so relativ viele neue und unverbrauchte Kandidaten aufgestellt, und zwar auch mit dem Kalkül, die Wähler würden experimentieren und sich bei ihrer Wahlabsicht anders verhalten, als bei Wahlen zum tschechischen Abgeordnetenhaus."

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Einig sind sich sowohl die Kandidatin der Grünen Jana Ulrychova wie auch ihr christdemokratischer Kollege David Macek in ihrer Erwartung, die unterschiedliche Arbeitsweise im EU-Parlament und die insgesamt stärkere Sachorientiertheit bei der Behandlung konkreter politischer Fragen, könnten rückwirkend auch auf die tschechische politische Landschaft Einfluss haben. Hören Sie dazu die Meinung von David Macek:

"Ich denke, dass das schon einen positiven Einfluss auf die tschechische politische Landschaft haben könnte, und vielleicht könnte das auch einen allmählichen Generationswechsel in der tschechischen Politik herbeiführen und frischen Wind in die Politik der böhmischen und mährischen Landesteile bringen."

Ähnlich ist auch die Sichtweise von Jana Ulbrychova, die neben ihrer journalistischen Tätigkeit früher auch sehr stark in verschiedenen Nichtregierungsorganisationen aktiv gewesen ist.

Der von diesen Vereinigungen oft verfolgte Ansatz, Probleme komplex zu sehen und zu behandeln, wäre, wie die Europakandidatin der Grünen Jana Ulbrychova abschließend erläutert, auch für die tschechische Politik erstrebenswert:

"Ich glaube, dass wir schon beginnen sollten, die Politik unter anderen Blickwinkeln zu betrachten. Denn nur so kann auch die Lage hierzulande geändert werden. Ich denke, dass wir noch überrascht sein werden, wie stark der sachbezogene Stil der europäischen Politik auch die heimische politische Landschaft bereichern wird. Obwohl ich natürlich noch nicht vorherzusagen wage, welche Gestalt das im Konkreten annehmen könnte."