Tschechien hat gewählt: Bürgerdemokraten gewinnen die Europawahlen
Achteinhalb Millionen Tschechinnen und Tschechen waren am Freitag und am Samstag aufgerufen, die 22 tschechischen Abgeordneten zum Europäischen Parlament zu wählen. Das Ergebnis steht allerdings erst seit den frühen Morgenstunden des Montag fest: Mit der Auszählung der Stimmen wurden nämlich erst am Sonntag um 22 Uhr begonnen, nach dem Schließen der letzten Wahllokale in Italien und Polen.
Mit deutlichem Abstand auf die Demokratische Bürgerpartei belegen die Sozialdemokraten (ČSSD) Platz zwei. 22,4 Prozent der Wähler konnten Spitzenkandidat Jiří Havel und Parteichef Jiří Paroubek ansprechen. Im Vergleich zum Jahr 2004 bedeutet dies zwar eine deutliche Steigerung. Damals kam die ČSSD nämlich nur auf 8,8 Prozent. Dennoch wollte im Prager Volkshaus, dem Sitz der Sozialdemokraten, bei der Bekanntgabe der Ergebnisse keine rechte Jubelstimmung aufkommen. Beflügelt durch den Erfolg bei den Regionalwahlen im vergangenen Herbst, wo die ČSSD alle 13 Kreishauptmann-Sessel für sich gewinnen konnte, und den erfolgreichen Sturz der Regierung Topolánek im Frühjahr dieses Jahres hatte man sich wohl insgeheim auch bei den Europawahlen Platz eins erhofft:
„Für unsere Wähler haben die Wahlen zum Europäischen Parlament nur dritte Priorität. Ob uns das gefällt oder nicht, alle Umfragen und soziologischen Untersuchungen zeigen das.“
Geschadet habe seiner Partei auch die niedrige Wahlbeteiligung von nur 28,2 Prozent, meint Sozialdemokratenchef Paroubek. Wäre sie zumindest im Bereich von 35 bis 45 oder Prozent gelegen, hätte man gute Chancen auf Platz eins gehabt.Die Kommunisten, KSČM mussten im Vergleich zu 2004 herbe Stimmenverluste hinnehmen. Sie fielen in der Wählergunst von 20,3 auf 14,2 Prozent. Spitzenkandidat Miloslav Ransdorf zeigt sich dennoch zufrieden über das Ergebnis:
„Das ist ein Fortschritt gegenüber den letzten Wahlen zum tschechischen Parlament. Damals haben wir nicht ganz 13 Prozent bekommen. Wir konnten damit aus dem medialen Schatten treten, in dem wir durch die Missgunst der Journalisten in den letzten Monaten und Jahren gestanden waren.“
Ihre Position im Europäischen Parlament behaupten konnten die Christdemokraten (KDU-ČSL). Die innerparteilichen Turbulenzen rund um den umstrittenen Ex-Parteichef Jiří Čunek und der unfreundliche Abgang von Ex-Finanzminister Miroslav Kalousek haben sich weniger stark auf das Wahlergebnis ausgewirkt als prognostiziert: 7,6 Prozent der Wähler entschieden sich diesmal für die KDU-ČSL unter ihrem neuen Vorsitzenden Cyril Svoboda. Vor fünf Jahren waren es 9,6 Prozent. Trotz der Verluste ist Spitzenkandidat Jan Březina mit dem Ergebnis zufrieden:„Angesichts der derzeitigen Situation innerhalb unserer Partei und des unklaren Kurses, den wir in den vergangenen Jahren gefahren sind, ist dies ein geradezu großartiger Erfolg.“
Keinen Grund zum Jubeln am Ende der langen Wahlnacht hatten hingegen die Grünen. Im Gegensatz zu den Christdemokraten führten die parteiinternen Streitigkeiten der vergangenen Monate zu einem Debakel bei der Europawahl. Mit weniger als 2,1 Prozent der Stimmen flogen die Grünen aus dem Europäischen Parlament. Dementsprechend geknickt war Parteichef Martin Bursík nach der Bekanntgabe der Ergebnisse:
„Die niedrige Wahlbeteiligung, die zersplitterten Stimmen, die mangelnde Disziplin der jungen Wähler. Dazu noch die die innerparteilichen Probleme, die wir allerdings hinter uns haben. Das sind die Gründe für diese Niederlage. Auch wenn ich darin kein Problem für die Wahlen zum tschechischen Abgeordnetenhaus sehe, muss ich mir überlegen, welche Rolle ich in der Zukunft bei den Grünen spielen werde.“Somit sind im neuen Europäischen Parlament nur mehr vier Parteien aus Tschechien vertreten, denn auch von den 29 weiteren Gruppierungen, die sich der Wahl gestellt haben, hat keine den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft.
Über die Auswirkungen des Wahlergebnisses hat Patrick Gschwend mit dem Radio-Prag-Politikexperten Daniel Kortschak gesprochen:
Daniel, du hast die Europawahlen ja für uns beobachtet. Wie schätzt du das Ergebnis ein? Entspricht es den Erwartungen?
„Ja, ich würde sagen, es liegt im Rahmen dessen, was zu erwarten war. Wie schon gesagt, anders als in manchen anderen europäischen Ländern ist in Tschechien der politische Erdrutsch ausgeblieben. Es war klar, dass Platz zwei für die Kommunisten nicht zu halten sein wird und dass es um die Grünen nicht gut steht, hat sich auch schon in den Wochen vor der Wahl abgezeichnet. Mit 2,1 Prozent ist die Niederlage für die Partei von Martin Bursík allerdings überraschend deutlich ausgefallen. Die Christdemokraten hingegen haben ihre parteiinterne Krise scheinbar gerade rechtzeitig überwunden und konnten trotz leichter Verluste ihre zwei Mandate halten.“Also keine allzu großen Überraschungen. Aber wie sieht es mit den beiden großen Parteien aus? Hat nicht alles auf einen Sieg der Sozialdemokraten hingedeutet?
„Nein. Auch das gute Abschneiden der Bürgerdemokraten kam nicht überraschend. Trotz der durch den Sturz seiner Regierung geschwächten Position von Mirek Topolánek. Erstens liegt Tschechien mit einem guten Ergebnis für die Bürgerlichen und einem schlechten Abschneiden der Sozialdemokraten genau im europäischen Trend. Und man darf dabei nicht vergessen, dass die tschechischen Sozialdemokraten im Jahr 2004 bei dem Europawahlen nicht einmal neun Prozent der Stimmen bekommen haben. So gesehen sind die diesmal erreichten 22,4 Prozent eine deutliche Verbesserung. Klar, nach dem Triumph bei den Regionalwahlen im Herbst 2008 und dem erfolgreichen Sturz der Regierung Topolánek hat Sozialdemokraten-Chef Jiří Paroubek wohl mit Platz eins spekuliert. Aber gerade dieses Misstrauensvotum gegen die Regierung mitten in der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft hat nicht nur dem Ansehen Tschechiens in Europa sondern wohl auch dem der Sozialdemokraten geschadet. Das hat nicht zuletzt der Eierhagel bei den sozialdemokratischen Wahlveranstaltungen gezeigt.“
Anfang Oktober sollen nun in Tschechien vorgezogenen Parlamentswahlen stattfinden. Kann man aus dem Ergebnis der Europawahlen denn einen Trend für dieses Votum ableiten?
„Nein. Dazu ist es erstens noch zu früh. Und zweitens finden die Wahlen zum Abgeordnetenhaus unter ganz anderen Voraussetzungen statt. So ist etwa die Wahlbeteiligung traditionell viel höher. Im Jahr 2006 lag sie bei rund 65 Prozent. Noch einmal zur Erinnerung und zum Vergleich: An diesem Europawahl-Wochenende haben nur rund 28 Prozent der Tschechinnen und Tschechen den Weg ins Wahllokal gefunden. In allen Umfragen für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus lagen zwar bisher die Sozialdemokraten deutlich voran, doch der Abstand zu den Bürgerdemokraten wird seit Monaten kleiner. Und diese Wahlmodelle weisen starke Schwankungen auf, je nach Methode und Institut. Also lässt sich derzeit überhaupt nicht abschätzen, wie die Wahlen im Herbst ausgehen könnten.“In einigen Ländern haben ja rechtsnationale und europafeindliche Parteien stark an Stimmen gewonnen. War dieser Trend auch in Tschechien zu beobachten?
„Nein, der befürchtete Rechtsruck ist ausgeblieben. Die rechtsextreme „Dělnická strana“ / Arbeiterpartei kommt auf 1,07 Prozent. Das bedeutet zwar immerhin über 25.000 Wählerstimmen, ist aber doch weit von der Fünf-Prozent-Hürde entfernt, die zum Einzug ins Europäische Parlament nötig ist. Und die EU-kritische Bewegung Libertas, die in zahlreichen europäischen Ländern angetreten ist, ist mit 0,94 Prozent der Stimmen zu keiner relevanten Größe geworden. Einzig das ebenfalls EU-kritische Bündnis „Suverenita“ ist mit 4,26 Prozent der Stimmen in die Nähe der Fünf-Prozent-Hürde gekommen.“
À propos EU-Kritik: Was bedeutet denn das Wahlergebnis für die tschechische Haltung zur weiteren europäischen Integration? Bei den Bürgerdemokraten gibt es ja einen starken Flügel, der den EU-Reformvertrag von Lissabon kritisiert und sich klar gegen einen weiteren Integrationsprozess wendet.
„Ja, und dieser Flügel hat durch das Ergebnis der Europawahl sicher Auftrieb bekommen. Der bürgerdemokratische Spitzenkandidat Jan Zahradil hat erneut bekräftigt, er werde sich mit EU-Skeptikern aus anderen europäischen Ländern um die Bildung einer neuen Fraktion im Europäischen Parlament bemühen. Mit dem Ziel, gegen eine weitere Kompetenzverlagerung nach Brüssel und die Schaffung eines ‚Superstaates’ Europa aufzutreten.“