Neuer Fernsehfilm dokumentiert die Geschichte des deutschsprachigen Theaters in Prag

Das deutschsprachige Theater in Prag und sein gesellschaftlicher Kontext - mit diesem Phänomen, besonders mit der Geschichte des sog. "Neuen Deutschen Theaters", dessen Gebäude heute als Prager Staatsoper bekannt ist, macht ein neuer Dokumentarfilm des öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehens bekannt. Markéta Maurová hat nach der öffentlichen Präsentation des Films in einem Prager Kino einen seiner drei Autoren, den Theaterwissenschaftler Karel Vondrasek, ans Mikrophon gebeten. Dem Dokumentarfilm und dem deutschsprachigen Theater in Prag gilt der heutige Kultursalon.

"In einem Gespräch, als wir festgestellt haben, dass wir im Laufe unseres Studiums und auch später zu wenig über das deutsche Theater in Prag erfahren haben. Und nachdem das Festival des deutschsprachigen Theaters von Pavel Kohout ins Leben gerufen wurde und nachdem wir bestimmte Persönlichkeiten unter anderen Umständen kennen gelernt haben, interessierten wir uns dafür, was eigentlich mit dieser ganzen Geschichte passiert ist. Wir dachten damals, es gäbe zu wenig Material und stellten mit Erstaunen fest, dass es Material für mehr als einen Dokumentarfilm gibt. Wir haben festgestellt, dass die Geschichte sehr spannend und sehr interessant ist, wir haben fast drei Jahre daran gearbeitet, haben uns zu dritt die Aufgaben geteilt und gemerkt, dass es sich lohnt, so etwas zu machen. Denn bislang wurde immer, vielleicht nicht bewusst oder nicht absichtlich, hervorgehoben, dass die Geschichte des tschechischen Theaters nur aus dem tschechischen Theater besteht. Aber es ist wesentlich vielschichtiger und interessanter, wenn man sich die ganze Prager Kultur bzw. die Kultur, die sich im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts auf dem Gebiet Böhmens entwickelte, in vollem Umfang anschaut. Es gab Beziehungen, Konflikte, aber auch Einklang. Es gab teilweise eine große Übereinstimmung in Krisensituationen, wo sich die Kulturen getroffen und gegenseitig geholfen haben. Sie haben sich auch durch diese ständige Konkurrenz sehr viel geholfen. Denn es war ein Konkurrenzkampf, der zu Gunsten beider Kulturen ausgefallen ist."

Sie glauben also, dass es hier Kontakte zwischen diesen beiden Theaterwelten gab, dass es keine getrennten Welten waren?

"Sie waren formal getrennt bzw. sie haben versucht sich voneinander abzugrenzen, aber die Gesellschaft war gemischt, die Kulturen wuchsen nebeneinander, sie konnten diese Zusammenhänge nicht leugnen. Und wie gesagt: egal, von welchen Absichten die Kulturen geleitet wurden, es ist eine Einheit. Man spricht zu Recht von drei Kulturen und es ist nur Ansichtssache, ob man sie als getrennte Kulturen oder als Gesamtheit sieht. Und in diesem Sinne ist das auch ein Beitrag für die weitere Diskussion, was wir da jetzt präsentieren."

Sie haben von einigen Persönlichkeiten gesprochen. Was für interessantes Material stand Ihnen zur Verfügung? Was war am Interessantesten?

"Das Interessanteste war selbstverständlich das, was wir vorher nicht kannten. Wir wussten z.B. dass die Elsbeth Warnholz ihre Erinnerungen an diese Zeit zwischen den Kriegen geschrieben hat, damals für das Theaterinstitut. In der Bibliothek des Theaterinstituts gibt es elf Teile der "Geschichte des deutschen Theaters in Prag" von Hans Demetz. Walter Taub hat sich dazu geäußert. Aber es gab z.B. ein Privatarchiv der damals sehr populären Schauspielerin Macheiner, ihre Tochter lebt in Deutschland. Es gibt Materialien über Fritz Valk, weil seine Familie in England lebt. Man stieß auf viele Sachen, von denen man glaubte, sie existieren nicht mehr. Und das war das Interessanteste."

Welche Zeitspanne haben Sie in dem Film dargestellt? Haben Sie sich bestimmte Grenzen gesetzt?

"Als Ende haben wir ganz bewusst 1938 gewählt, die Zeit nach dem Münchner Abkommen, als das Theater auseinander ging. Aus verschiedenen Gründen, auch aus politischen. Wir wollten uns ursprünglich nur mit der 20jährigen Geschichte der Ersten Tschechoslowakischen Republik beschäftigen, aber dann stellten wir fest, dass es nicht ohne die Vorgeschichte geht. Eine Sache war uns klar: Das, was nach 1938 passierte, ist eine ganz neue Geschichte. Das Publikum war anders, die Theaterbedingungen waren anders. Also, unser Film ist eine Geschichte des deutschen Theaters in Prag zwischen dem Bau des Neuen Deutschen Theaters 1888 und dem Jahr 1938."

Welche Rolle hat das deutsche Theater in Prag im deutschen Kontext, im Vergleich zu den Bühnen in Wien, in Berlin gespielt? War das eine Provinzbühne?

"Auf keinen Fall. Es war eine der bedeutenden deutschen Bühnen und wurde von der deutschen Seite auch als solche betrachtet. Es war eine Kreuzung zwischen Wien und Berlin. Auf der Strecke zwischen diesen beiden Städten gab es ein großes Theater mit vielen interessanten Menschen und es war für deutsche Theaterleute immer sehr interessant, hier zu arbeiten. Deswegen kehrten sie immer hierher zurück: Ernst Deutsch, Max Reinhard und andere haben hier regelmäßig gastiert bzw. über längere Zeit gearbeitet. Oder es war für junge Schauspieler ein Sprungbrett in das große deutsche Theater. Z.B. für diese Elsbeth Warnholz war das ganz klar so. Ihre Lehrerin hat ihr gesagt: "Keine deutsche Provinz, gehe nach Prag, das ist eine gute Ausgangsposition für das große Theater. Also im Kontext der deutschen Theaterkultur war das eine bedeutende Station."

Das betrifft das Schauspiel, was Sie gerade gesagt haben. Wie sah es mit der Oper aus?

"Die Oper war, glaube ich, in bestimmter Hinsicht noch bedeutender als das Schauspiel. Gustav Mahler wirkte hier als Kapellmeister, als Dirigent. Der Theaterdirektor Angelo Neumann hat das so angelegt, dass man hier eine Tradition begründet hat, die sich in europäischem Kontext sehen ließ."