Dramaturgin und Übersetzerin, jüdisch, tschechisch und deutsch: Viktorie Knotková
Viktorie Knotková ist Dramaturgin, schon früh kam sie in Kontakt mit dem Theater. Die Tschechin mit deutschen und jüdischen Wurzeln wurde nämlich stark durch ihre Familie beeinflusst. Heute lebt und arbeitet sie in Brno / Brünn und reist gerne in ihre liebgewonnene deutsche Stadt Bremen, wo sie zuvor sechs Jahre lang am Theater am Goetheplatz beschäftigt war. Zudem ist sie als Übersetzerin tätig.
Das Theaterstück „Grüße und Küsschen an euch alle“ (Tschechisch: Pozdravuju a líbám vás všecki) ist eine der Inszenierungen, die Viktorie Knotková zuletzt betreut hat. Es handelt von einer Liebesbeziehung zwischen einem Kurden und seiner tschechischen Freundin und den daraus entstehenden Freuden, Vorstellungen und Konflikten. Was würde passieren, wenn sie sich dazu entscheiden würden, einander zu heiraten? Und vor allem wie solle geheiratet werden – Tschechisch oder Kurdisch? Aufgeführt wurde das Stück im Brünner Theater „Husa na provázku“ (Gans an der Leine). Das Theater ist seit der Spielzeit 2021/2022 auch ihr Hauptarbeitgeber. Mittlerweile hat sie schon weitere Pläne für die Zukunft:
„Die Spielzeit in Brünn ist nun zu Ende. Ich habe also gerade keine Proben, aber ich bereite eine Fassung für Kamila Polívková vor. Sie ist eine ganz tolle Kostümbildnerin und eine hervorragende Regisseurin, die ich seit vielen Jahren kenne.“
Bereits seit über 15 Jahren hat Knotkova mit dem Theater beruflich zu tun. Ganze sechs Jahre davon war sie im Theater am Goetheplatz in Bremen fest angestellt.
Dass Viktorie Knotková ihre Liebe zur Bühne entdeckte, hat etwas mit ihrer Familie zu tun, aber nicht mit ihren Eltern.
„Ich wollte ganz lange Tierärztin werden, weil meine Eltern Tierärzte sind. Und kurz vor dem Abitur habe ich mich umentschieden, das war auch eigentlich eher Zufall. Ich wollte herausfinden, was Theater ist, weil die Eltern meines Vaters beim Theater waren“, sagt sie.
Allerdings lebten die Eltern des Vaters in Prag. Und so suchte Knotková an ihrem Wohnort Brünn nach einer Möglichkeit:
„Ich dachte, jetzt muss ich herausfinden, was Theater überhaupt ist, und hatte das Glück, dass ich in Brünn in eine Art zu einem speziellen Jugendclub gekommen bin. Dort konnte ich Theater richtig auf professionelle Weise entdecken, das hat mich total gefesselt.“
Aber nicht nur zum Theater ist sie über die Großeltern väterlicherseits gekommen. Sondern diese gaben auch den Anstoß, sich mit der eigenen Identität auseinanderzusetzen. Ihre Großmutter, geboren 1918, stammte aus einer Prager deutschen Familie. Sie war zweisprachig aufgewachsen und hatte den gleichen Vor- und Nachnamen wie ihre Enkelin: Viktorie Knotková. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Pragerin als Deutsche definiert. Es folgte Gewalt von Tschechen, die zuvor ihre Landsleute gewesen waren. Hinzu kam, dass sich die Großmutter lieber mit ihrer Heimatstadt identifizierte als mit einer Nationalität. Dennoch sagt die Dramaturgin Viktorie Knotková:
„Für mich war das so ein Teil der Familiengeschichte, dass Deutschland oder die deutsche Sprache und die Kultur irgendwie zu uns gehört.“
Im Übrigen kam ihr Großvater väterlicherseits, Ivo Knotek, aus einer säkularen jüdischen Familie. Auch dies empfindet sie als einen Teil ihrer Identität.
Die Zeit in Bremen
Doch zurück zum Theater. Noch während des Studiums der Dramaturgie an der Janáček-Akademie für Musik und Darstellende Kunst in Brünn begann Viktorie Knotková am damaligen Prager Kammertheater zu arbeiten. Dieses wurde von Dušan David Pařízek geleitet. Der heute sehr bekannte tschechische Theaterregisseur hatte sich zuvor schon in Deutschland einen Namen gemacht.
„Und so war ich schon während meine Prager Zeit mit Deutschland oder mit dem deutschsprachigen Raum, also über die Kultur verbunden. Und über ihn habe ich auch einen jungen Regisseur, Alexander Riemenschneider, kennengelernt, der hier in Prag inszeniert hat. Wir haben uns gut verstanden, und er hat mir von Bremen erzählt. Er meinte, dass er als Hausregisseur nach Bremen gehe und dass sie noch einen Dramaturgen suchen würden. Alexander Riemenschneider hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, das Team kennenzulernen“, erzählt Knotková.
Und obwohl sie sich eigentlich nicht zu große Hoffnungen für den Job in Bremen machte, klappte es am Ende doch. Und so ging sie 2012 in die Hansestadt:
„In Bremen hat mich erst einmal überrascht, dass alle so freundlich waren, weil ich irgendwie gehört habe, dass die Norddeutschen zurückhaltend sind, ein bisschen kühl und nicht so herzlich. Das habe ich gar nicht so empfunden. Ich fand die Menschen extrem offen, extrem herzlich, extrem freundlich, und deswegen fühlte ich mich dort sehr schnell sehr wohl.“
In Bremen lernte die Brünnerin auch ihre Landsfrau Libuše Černá kennen. Diese war lange Vorsitzende des Bremer Rates für Integration. Und darüber hinaus beschäftigte sich Černá mit allem, was irgendwie in der Stadt mit Integration, Kultur und interkulturellen Beziehungen zu tun hat. Dazu gehörte auch das seit 2007 bestehende Literaturfestival „globale – Festival für grenzüberschreitende Literatur“. Černá hat es gemeinsam mit Lore Kleinert und Elisabeth Arend gegründet. Globale ist eine Plattform für mehrsprachige Autorinnen und Autoren oder solche, die in ihrem Schreiben die Vielfalt des Lebens anerkennen.
„Dann dachten wir, dass wir uns verbünden und haben ein Festival gegründet. Es heißt ‚So macht man Frühling‘. Dort versuchen wir, tschechische Künstler nach Bremen zu bringen, verschiedene Formate anzubieten und auch Verbindungen zu schaffen. Dieses Bündnis haben wir gegründet, so dass wir das nicht nur im Rahmen von einem Festival einmal im Jahr machen können, sondern das ganze Jahr über. Dabei sind wir sehr gut unterstützt worden, auch immer wieder vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds. Wir versuchen einfach, kulturelle Verbindungen zu schaffen und zu pflegen“, schildert Knotková.
Von 2012 bis 2018 war sie fest als Dramaturgin am Theater am Goetheplatz in Bremen angestellt. Unter anderem war sie an der Inszenierung von Franz Kafkas „Das Schloss“ als szenisches Konzert beteiligt.
Jüdische Identität in Deutschland
Als Jüdin in Deutschland sah sie sich auch wieder mit der Identität ihres Großvaters konfrontiert:
„Ich habe als Dramaturgin ein Stück betreut, das ich auch mit ausgewählt hatte. In dem Stück ging es um eine jüdische Familie, und ich war sehr dafür, dass wir das machen. Irgendwie fand ich es wichtig. Während der Vorbereitung der Proben fand ich heraus, dass ich sehr wenig über die Rezeption jüdischer Menschen in Deutschland weiß und dass das Stück höchst problematisch ist. Ich war richtig panisch, weil ich dachte, irgendwie habe ich das Gefühl, wir machen etwas, das fast die Menschen instrumentalisiert oder wo es ganz viele Klischees gibt. Ich habe viele Gefühle, aber mir fehlen die Worte oder die Begründung dafür.“
Dabei wurde der deutsch-jüdische Schriftsteller Max Czollek für sie wichtig. Seine Essays halfen ihr die Situation der jüdischen Minderheit in Deutschland besser zu verstehen.
„Er sagt, wenn man das wirklich sehr verknappt widergibt: Solange in Deutschland Juden leben, ist Deutschland sozusagen wieder gut geworden. Von der deutschen Mehrheitsgesellschaft werde das oft als Beweis benutzt: ‚Wir haben uns mit unserer Vergangenheit auseinandergesetzt, und jetzt ist wieder alles gut. Es leben doch Juden hier. Das ist doch der Beweis.‘ Was natürlich Quatsch ist“, so Knotková.
Mit Czolleks sehr fundiertem, aber auch radikalem Blick könne sie sich sehr gut identifizieren, sagt die Dramaturgin. In einer Hansestadt wie Bremen gefalle ihr in diesem Kontext, dass die Bevölkerung auch historisch schon immer sehr international war und immer noch ist. Sie beobachte auch, dass sich die unterschiedlichen Minderheiten in Deutschland immer mehr zusammenschließen würden, um sich von festgefahrenen gesellschaftlichen Strukturen zu emanzipieren. Und das Theater biete ihr eine perfekte Bühne dafür, diese Themen künstlerisch und kreativ zu bearbeiten.
Nur wenn man sich in seinen gleichen Zielen verbinde, könne man gemeinsam etwas erreichen, und Unterschiede würden als Bereicherung angesehen, betont Knotková. So habe sie es auch persönlich mit ihrer jüdischen Identität erlebt:
„Durch Max habe ich meine jüdische Familiengeschichte oder meine Identität erforschen können, weil er wirklich sehr unterstützend ist und Menschen verbinden kann. Er kann zeigen, welche Diversität schon innerhalb der jüdischen Community besteht – oder besser gesagt, bei Menschen, die sich als Juden und Jüdinnen identifizieren. In meinem Fall zum Beispiel kann ich sozusagen meine jüdische Geschichte über meinen Vater und Großvater lesen, und das betrifft aber viele Menschen in Deutschland. “
Denn in der innerjüdischen Debatte gibt es eine liberale und eine konservative Lesart, wann jemand ein Jude ist und wann nicht. Nach konservativer Lesart ist ein Jude nur derjenige, dessen Mutter Jüdin ist. Dieses Verständnis des Judentums würde Viktorie Knotková absprechen, auch eine Jüdin zu sein. Knotková sagt, dass diese Lesart nicht der Realität entspräche. Sie sagt weiter über ihre Identitätsfindung und Max Czollek:
„Er war und ist immer noch für mich ein wichtiger Partner, bei dem ich mich auch wirklich wohlfühlen kann in Deutschland. Weil man merkt, dass die Diversität eine Realität ist und wir uns nicht angleichen müssen. Wir müssen uns nicht assimilieren, wir müssen uns auch nicht integrieren im Sinne von Anpassung. Oder wir müssen ebenso wenig unsere Unterschiede loswerden, sondern können einfach schauen. Es gibt das Grundgesetz. Demnach müssen wir nicht unsere Sprachen oder Gewohnheiten ablegen, sondern dürfen zu ihnen stehen.“
Übersetzen als sinnliche Erfahrung
Viktorie Knotková ist ebenso als Übersetzerin von deutschen Texten ins Tschechische tätig. Was gefällt ihr an dieser Arbeit besonders?
„Ich mag sie, weil sie sehr kreativ ist. Und dass man dadurch auf eine ganz bestimmte Art einen neuen Text verfasst. Es gibt keine Übersetzung, die eins zu eins funktionieren würde. Man muss erstmal so reinspüren, sich hineinversetzen und einfühlen in die Denkweise der Menschen, die den Text geschrieben haben. Ich glaube, das mag ich am liebsten. Man muss wirklich spüren, wie dieser Text wirkt. Es ist eine sehr sinnliche Erfahrung, würde ich sagen. Und dann mag ich es, einfach so nach den richtigen Begriffen oder Worten zu forschen. Das ist also sehr spielerisch.“
Die Übersetzerin hat auch einige Lieblingsautoren, die sie gerne für die Tschechen erlebbar macht:
„Ich habe immer wieder sehr gerne mit Texten von Katharina Schmidt gearbeitet. Die Autorin wurde in Bremen geboren, ist aber als Regisseurin sehr viel hier in Prag und in Tschechien unterwegs. Sie hat an der Damu (Fakultät für Theaterwissenschaften an der Akademie für musische Künste in Prag, Anm. d. Red.) Regie studiert und lange in Prag gelebt. Im Theater Studio Hrdinů hat sie viel gemacht. Schmidt schreibt auch sehr interessante Texte, in denen sie sehr genau mit der Sprache umgeht. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Dann durfte ich ebenso Texte von Elfriede Jelinek übersetzen, und das ist der helle Wahnsinn, weil man das eigentlich nicht übersetzen kann. Wenn man das doch schafft, ist das wirklich eine reine Freude.“
Darüber hinaus ist Knotková mit ihrem guten Freund, dem Theatermacher und Übersetzer Martin Mutschler im Austausch – vor allem, wenn er tschechische Poesie ins Deutsche überträgt. Dank ihm lerne sie beide Kulturen besser und tiefer kennen.
Viktorie Knotková liebt die Sprache – ob als Übersetzerin oder Dramaturgin. Ihre Identität ist komplex: tschechisch, jüdisch, brünnerisch, deutsch. Jetzt bleibt nur noch abzuwarten, womit Viktorie Knotková zukünftig auf sich aufmerksam machen wird.
Auf den Websites www.somachtmanfruehling.de und www.bremer-buendnis.de lässt sich eine Übersicht der Aktivitäten und vergangene wie künftige Projekte der Zusammenarbeit von Libuše Černá und Viktorie Knotková finden. Die Website des Brünner Theaters, an dem die Dramaturgin angestellt ist, erreicht man unter www.provazek.cz.