„Ein wahnsinnig starkes Programm“: 29. Prager Theaterfestival deutscher Sprache beginnt
Mit einer Inszenierung des Habibi Kiosk der Münchner Kammerspiele wird am Samstagabend die 29. Ausgabe des Prager Theaterfestivals deutscher Sprache eröffnet. Auch in diesem Jahr bietet das Festival nicht nur Aufführungen führender Theater aus den deutschsprachigen Ländern, sondern auch ein spannendes Begleitprogramm. Radio Prag International hat vorab mit Petr Štědroň gesprochen. Er ist der Intendant des Prager Theaters Am Geländer (Divadlo Na zábradlí) und der künstlerische Leiter des Festivals.
Herr Štědroň, das Prager Theaterfestival deutscher Sprache steht in jedem Jahr unter einem besonderen Motto. In diesem Jahr lautet es „nichts ist okay“. Wie ist es zu diesem Motto gekommen?
„Dieser traurige Satz zeigt die Lage der heutigen Welt, in der wir leben. Das Theater und seine Mittel sind eine Möglichkeit, eine Lösung für diese Welt zu finden – oder sie wenigstens zu suchen. Ich denke, dass dieses Streben nach einer Lösung oder nach einer Verbesserung der Welt alle Inszenierungen verbindet, die wir zu dieser Ausgabe des Festivals eingeladen haben.“
Es kommen viele Theater aus dem deutschsprachigen Raum, die einen großen Namen haben: Das Berliner Ensemble, die Berliner Schaubühne, das Volkstheater in Wien. Was ist Ihr persönliches Highlight?
„Das darf ich natürlich eigentlich nicht verraten, aber ich mache es trotzdem. Ganz besonders freue ich mich auf die abschließende Produktion beim Festival, ‚ja nichts ist okay‘. Es handelt sich dabei um die letzte Regie von René Pollesch aus der Produktion der Berliner Volksbühne. Pollesch ist im Februar dieses Jahres verstorben. Mit der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz verbindet unser Festival eine langjährige Zusammenarbeit. Wir haben in der Vergangenheit etliche Inszenierungen von Pollesch, Frank Castorf, Christoph Marthaler, Christoph Schlingensief und weiteren Künstlern von dort gezeigt. Das letzte Stück von René Pollesch finde ich wirklich stark.“
Wie haben Sie die Inszenierungen ausgewählt, die hier in Prag gezeigt werden? Worauf haben Sie geachtet?
„Wir arbeiten sehr lange an der Auswahl. Derzeit sind wir schon in der Vorbereitungsphase für 2025 und 2026. Man muss also wirklich lange im Voraus planen. Dieses Jahr ist das Programm wahnsinnig stark. Wir haben etwa das Schauspielhaus Bochum zu Gast, das eine wunderbare Bühne in Deutschland ist. Sie werden mit ‚Macbeth‘ in Regie von Johan Simons vertreten sein. Diese Inszenierung wurde auch zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Aber es wird eben auch das Volkstheater aus Wien zu uns kommen, das in den letzten Jahren sehr stark ist, und die anderen traditionellen Häuser – die Berliner Schaubühne, das Berliner Ensemble und die Volksbühne – die dem Programm gewissermaßen die Krone aufsetzen.“
Werden die Regisseure auch in Prag vor Ort sein und für Publikumsgespräche zur Verfügung stehen?
„Wir bemühen uns immer darum, manchmal klappt das aber aus zeitlichen Gründen nicht. Diesmal haben wir jedoch das Glück, dass Falk Richter nach Prag kommt und zu einem Gespräch bereit ist. Auch Dimitrij Schaad reist an, ein wunderbarer Schauspieler, der 2024 zum Schauspieler des Jahres gekürt wurde. Die Besucher werden ebenso mit Jorinde Dröse diskutieren können, der Regisseurin von ‚#Motherfuckinghood‘. Auch die Schauspielerin des Stückes, Claude de Demo vom Berliner Ensemble, wird zu den Gästen zählen.“
Die Eröffnung am 2. November wird gemeinsam mit den Münchner Kammerspielen veranstaltet, und geplant ist ein „interaktiver Spielplatz“, ein „interactive Playground“. Was kann man sich darunter vorstellen?
„Der Eröffnungspunkt unseres Hauptprogramms ist eine site-specific Performance, die in Zusammenarbeit mit Habibi Kiosk entstanden ist – mittlerweile eigentlich eine eigene Spielstätte der Münchner Kammerspiele. Beteiligt an dem Eröffnungsabend war auch das Prager Goethe-Institut. Es handelt sich um eine Installation, die in einem alten Prager Palais auf der Kleinseite, dem Palais Kaiserstein, aufgebaut wurde. Thematisch geht es um den Prozess der Verwandlung, der Metamorphose. Das hat natürlich auch sehr viel mit Franz Kafka und seinem Prag zu tun.“
Franz Kafka wird ebenfalls Thema im Begleitprogramm sein. Darin gibt es zudem einen weiteren spannenden Programmpunkt: einen Hörspaziergang durch Prag auf den Spuren der Swingmusik in den 1930er und 1940er Jahren. Wie läuft das ab?
„Die Zuschauer beziehungsweise Zuhörer werden Kopfhörer tragen und sich in einer Gruppe durch Prag bewegen. Sie werden dabei stets darauf hingewiesen, welche Rolle der jeweilige Ort oder die Räumlichkeiten während des Zweiten Weltkriegs gespielt haben. Durch den Spaziergang führt der wunderbare Historiker Petr Koura, der sich seit Langem mit dem Protektorat und dem Widerstandskampf während des Zweiten Weltkriegs befasst. Nun bringt er uns die Geschichte der Swing- und Jazzmusik in Prag näher, die von den Mächtigen des Dritten Reiches während des Zweiten Weltkriegs verboten wurde.“
Wird dieser Hörspaziergang auf Deutsch oder auf Tschechisch stattfinden?
„In beiden Sprachen.“
Sie zeigen auch eine Inszenierung von einem tschechischen Theater, dem Divadlo Letí. Wird sie auch übertitelt sein, so wie die anderen Stücke?
„Diesmal leider nicht, weil es urheberrechtliche Probleme bei der Übersetzung dieses Stückes gab. Der Gedanke, auch eine tschechische Aufführung zu zeigen, entstand, weil wir die hiesige Theaterszene motivieren wollten. Wir möchten zeigen, dass ihre Inszenierungen ursprünglich deutscher Texte sehr stark sind und mit den großen deutschsprachigen Häusern mithalten können.“
Sie haben auch einen Open call unter den Theaterhochschulen im deutschsprachigen Raum gestartet. Wie groß war das Interesse, hier in Prag aufzutreten?
„Wir haben den Open call mittlerweile zum dritten Mal gestartet und uns an alle Theaterakademien in Deutschland, Österreich und der Schweiz gewandt. In diesem Jahr haben wir 39 Einreichungen bekommen. Das hat uns wahnsinnig gefreut und uns gezeigt, dass es die Mühe wert ist.“
Das Theaterfestival deutscher Sprache in Prag feiert in diesem Jahr sein 29. Jubiläum. Wie hat sich das Festival im Laufe der Jahre verändert?
„Das ist eine Frage für ein sehr, sehr langes Gespräch. Es hat sich sehr viel gewandelt, nicht nur im Bereich der Finanzierung und in der Struktur des Festivals. Das Festival will heute auch kein einfacher Showcase der Theaterkunst mehr sein. Wir wollen das Publikum mit einbeziehen und Kooperationen zwischen deutschsprachigen und tschechischen Theatern anregen. Wir veranstalten Symposien. Es hat sich vieles getan. Was gleichgeblieben ist, ist die hohe Qualität dessen, was wir zeigen. Und das wird sich hoffentlich auch in Zukunft nicht ändern.“
Das Prager Theaterfestival deutscher Sprache wird am Samstag eröffnet und dauert bis zum 7. Dezember. Das gesamte Programm findet sich online unter www.theater.cz.