Neues Medium Radio
Groß und bunt klebt derzeit die Zahl 85 am Eingang des Prager Funkhauses. 85 Jahre, das ist das Alter des Tschechischen Rundfunks. Zeit der Rückblenden und Prognosen: Fachleute werden gefragt, wie es damals war, als die ersten Sendungen über den Äther gingen. Andere Fachleute sollen sagen, wie es künftig sein wird, in der immer unübersichtlicheren Medienlandschaft. Doch gerade beim Radio ist Pessimismus fehl am Platz.
Wieder einmal werden die bewegten Ereignisse der tschechischen Geschichte lebendig, in denen der Rundfunk eine zentrale Rolle gespielt hat. Etwa der Prager Aufstand gegen die nationalsozialistischen Besatzer im Mai 1945, oder der Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen im August 1968.
Aber auch eine andere Frage wird dieser Tage immer wieder gestellt, manchmal sogar ein bisschen ängstlich: Wie wird es weitergehen mit dem Medium Radio? Hat das Radio noch eine Zukunft?Hintergrund ist das Tempo der technischen Entwicklung. Als ich in den siebziger Jahren aufgewachsen bin, da wurde mit dem Radio Radio gehört, mit dem Fernseher ferngesehen und mit dem Telefon telefoniert. Heute hören wir mit dem Fernseher Radio, sehen mit dem Telefon fern und telefonieren mit dem Computer. Geräte verschmelzen und stellen Programmgestalter vor neue Herausforderungen. Aber muss immer gleich etwas verschwinden, wenn etwas Neues entsteht?
Zugegeben: Vielleicht gerät das Wort Radio ein wenig in die Defensive. Irgendwie scheint es zu sehr an die Vorstellung vom Kästchen neben dem Küchentisch gebunden zu sein. Auf Rundfunk-Konferenzen ist stattdessen immer mehr von Audio die Rede. Und darum geht es ja schließlich: um ein attraktives Angebot, verpackt in Schallwellen.Nicht nur in Prager Straßenbahnen hat bald jeder zweite Fahrgast Kopfhörer im Ohr. Podcasting und Internetradio sind die ständigen Begleiter einer neuen Generation von Hörerinnen und Hörern. Es entstehen neue Plattformen für Information, Musik, Hörspiele, Hörbücher und Hörbilder. Ob man nun Radio oder Audio sagen will, ist eigentlich egal. Wichtig ist, dass wir es vielleicht mit dem interessantesten Comeback in der neueren Mediengeschichte zu tun haben. Da sind Offenheit und Flexibilität gefragt, nicht säuerlicher Kulturpessimismus.
Aber schon klar: Das Unbekannte macht Angst, und die Medienzukunft ist unbekannt. Jules Verne hat bereits im 19. Jahrhundert Details der Mondlandung recht präzise beschrieben. Dass aber hunderte Millionen Menschen live dabei sein würden? So viel Phantasie hatte er dann doch wieder nicht.