„Wolfsblut“ – das älteste Hörspiel im Archiv des Tschechischen Rundfunks
Bis vor kurzem ging man davon aus, dass das älteste im Archiv des Tschechischen Rundfunks erhaltene abendfüllende Hörspiel aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stammte. Das änderte sich jedoch dank einer zufälligen Entdeckung: Die Radiobearbeitung von Jack Londons Roman „Wolfsblut“ aus dem Jahr 1937 wurde gefunden – zwar in einem sehr schlechten Zustand, sie konnte aber dennoch restauriert und digitalisiert werden. Der Rundfunk hat die historische Aufnahme nun anlässlich seines 100. Geburtstags den Hörern zugänglich gemacht.
Im Archiv des Tschechischen Rundfunks befindet sich eine einzigartige Aufnahme eines Hörspiels, das im Dezember 1937 live gesendet wurde. Es handelt sich dabei um eine Bearbeitung des berühmten Romans „Wolfsblut“ (White Fang, auf Tschechisch Bílý tesák) von Jack London. Der Archivar Miloslav Turek hat im Rundfunkarchiv vor 12 Jahren Aluminiumfolien mit der Aufnahme entdeckt:
„Ich habe sie in einer Schachtel gefunden. Aber in einem Zustand, der es nicht ermöglichte, das ganze Stück anzuhören. Leider waren die Schallplatten durch eine schlechte Aufbewahrung verformt, nur kleine Ausschnitte waren zu verstehen. Ich packte die Folien aus, legte sie auf den harten Boden und belastete sie mit den schwersten Kisten, die ich hier im Archiv hatte. Und danach habe ich mich zehn Jahre lang nicht darum gekümmert. Als ich sie wiederfand, war ich sehr überrascht: Denn die Platten wurden wieder flach und man konnte sich nun die gesamte Aufnahme anhören.“
Überraschende Entdeckung
Die ersten Hörspiele wurden einige Jahre nach dem Beginn der regelmäßigen Sendungen des tschechoslowakischen Rundfunks in den 1920er Jahren gesendet. Zunächst handelte es sich um Radio-Versionen von bekannten Theaterstücken, später wurden Sendestücke direkt für den Hörfunk geschrieben. Sie wurden aber live ausgestrahlt und nicht aufgezeichnet, daher sind keine Aufnahmen im Archiv erhalten geblieben. Auch bei „Wolfsblut“ handelt es sich ursprünglich um eine Live-Sendung:
„‚Wolfsblut‘ ist der einzige Mittschnitt eines Hörspiels, das 1937 live gesendet wurde. Es wurde am 4. Dezember um 20.15 Uhr ausgestrahlt. Die Live-Sendung wurde auf insgesamt 14 Seiten Tonfolien aufgezeichnet. Jede Seite umfasste etwa drei Minuten. Wir mussten diese nun überspielen, bearbeiten und zusammenfügen, um das ganze Originalstück zu bekommen.“
Die Tonfolien, auf denen die Sendung aufgenommen wurde, erinnern an klassische Schallplatten. Miloslav Turek beschreibt sie als 30 Zentimeter große runde Aluminiumplatten. Auf diese wurde schwarzer Lack aufgetragen, in den ein Aufnahmemesser eine Rille gezeichnet hat.
„Im Grunde wird die Platte genau so wie eine Schallplatte gespielt und sieht auch so aus. Es gibt einen einzigen Unterschied: eine normale Grammophonplatte wird vom Rand zur Mitte hin abgespielt, die Radioschallplatten dagegen von der Mitte zum Rand hin.“
Dem Experten zufolge enthält das Archiv des Tschechischen Rundfunks noch einige hundert weitere Folien mit einzigartigen Aufnahmen, die bisher nicht bearbeitet sind. Unter diesen gebe es aber zweifelsohne kein vollständiges Hörspiel, so Turek:
„Das ist absolut ausgeschlossen, und so ein Fund kann sich nie mehr wiederholen. Denn beim Umzug des Radio-Archivs nach Prag hat man alle Kisten und alle Ecken durchsucht. Es ist wirklich nichts mehr da. Es ist auch völlig ausgeschlossen, dass damals jemand mit einer Amateurausrüstung zu Hause ein ganzes Hörspiel hätte aufnehmen können.“
So ein Fund kann sich nie mehr wiederholen
Für ihn selbst sei es eine große Überraschung gewesen, als er „Wolfsblut“ entdeckt habe, räumt der Archivar ein:
„Als ich ins Archiv kam, stammten die ältesten Hörspiele, die es hier gab, aus der Nachkriegszeit, etwa aus dem Jahr 1947. Kurz nach meinem Antritt begann ich, den Nachlass des Schauspielers Karel Höger zu bearbeiten. Und darin befand sich seine private Aufnahme von Anfang 1945 – sie muss ihn sehr viel Geld gekostet haben. Es war Jan Nerudas Stück ‚Verkaufte Liebe‘. Dieses Stück war auch vollständig. Damals sagten wir uns, dass man nirgendwo etwas Älteres finden kann. Und dann tauchte ‚Wolfsblut‘ auf.“
Nachdem die Aufnahme neu aufgewickelt, zusammengestellt und bearbeitet wurde, ist sie nun auch digitalisiert und kann auf der Website des Tschechischen Rundfunks angehört werden.
„Es wäre selbstverständlich möglich, ‚Wolfsblut‘ auch in den normalen Radiosendungen auszustrahlen. Allerdings erfüllt das Werk aus künstlerischer und auch aus technischer Sicht nicht mehr die Qualitätskriterien, an die wir gewöhnt sind. Zum hundertjährigen Jubiläum des Tschechischen Rundfunks haben wir das Stück aber auf unsere Website gestellt. Radiofans werden es mit Vergnügen hören. Es ist etwas, was sie bisher noch nie erleben konnten.“