Vom Pfadfinderzelt zum Propagandainstrument: Geschichte des Tschechoslowakischen Rundfunks
Der Tschechische Rundfunk hat Geburtstag: Er ist 90 Jahre alt geworden. Darum senden wir in unserem Kapitel aus der tschechischen Geschichte eine Collage historischer Radioaufnahmen, die wichtige und interessante Momente der Geschichte der Tschechoslowakei wiedergeben.
„Hallo, Hallo, Sie sind Hörer der Station Radiojournal aus Kbely bei Prag. Wir senden auf der Frequenz 1150.“
Emilie Tučková sprach die ersten tschechischen Worte des Tschechoslowakischen Rundfunks am 18. Mai 1923. Zunächst hieß der Rundfunk aber noch Radiojournal und ging aus einem Pfadfinderzelt in der Nähe des Flughafens Kbely bei Prag auf Sendung. Sie fuhr fort:
„Die heutige Sendung wird mit einem Konzert von Professor Karel Sergej Duda mit einem Klavierkonzert von Antonín Dvořák eröffnet.“
Leider sind die ersten Originalaufnahmen nicht erhalten geblieben. Die Sendung von Tučková ist eine Rekonstruktion aus dem Jahr 1968 zum 45. Geburtstag des Rundfunks.
Das heutige Zentralgebäude an der Vinohradská 12, fast direkt hinter dem Nationalmuseum, bezog der Rundfunk erst 1933. In dieser Zeit wurden auch die ersten Aufnahmen archiviert. Hören Sie nun, wie Sprecher Adolf Dobrovolný seine Hörer begrüßte:„Der Abonnent des Rundfunks kann, egal ob er in der Stadt, in einem Dorf oder in der Einsamkeit lebt, in seiner Freizeit von morgens bis in die späten Nachtstunden eine Rundfunkproduktion genießen. Der Rundfunk weckt den Abonnenten, und um ihn zu beleben, sendet der Rundfunk Körperertüchtigungsübungen mit musikalischer Begleitung. Das Mittagskonzert unseres Orchesters kann er direkt hören oder als Übertragung aus Prag, Brünn, Bratislava oder Ostrau, und am Sonntag und Feiertag spielt das Bäderorchester aus Karlsbad. Die Vorbereitung und Ausstrahlung eines wöchentlichen Programms erfordert sorgfältige Pflege und hohe finanzielle Mittel. Den größten Teil des Programms aber macht Musik aller Arten aus: von Solisten über große Ensembles bis hin zu Opernaufführungen.“
Natürlich fanden sich auch in den frühen Jahren des Tschechoslowakischen Rundfunks nicht nur Musiksendungen. Der Sport kam ebenfalls nicht zu kurz, wie eine Übertragung der Eishockeyweltmeisterschaft 1934 aus Mailand beweist. Die Reporterlegende Josef Laufer kommentierte das Spiel zwischen dem Deutschen Reich und der Tschechoslowakei vom 9. Februar:
„Mareček mit einer Granate, aber Leinweber hält ihn. Nun sind die Deutschen im Angriff, Buschbaur kann den Angriff stoppen, aber sie können den Puck nicht in ihren Besitz bringen. Die Deutschen bleiben in unserem Drittel, und wieder folgt ein Schuss, den Štrobel abfangen kann. Und nun der dritte Angriff der Deutschen auf Peka, aber Peka hält. Es läuft die dreizehnte Minute im ersten Drittel.“
Deutschland gewinnt dieses Qualifikationsspiel der Gruppenzweiten mit 1:0 und holt am Ende die Bronzemedaille. Die Tschechoslowakei endet dagegen auf dem fünften Platz. Die Kräfteverhältnisse im Eishockey haben sich dann später deutlich gewandelt.
Schwerpunkt der Berichterstattung war aber auch damals schon die Politik. Nachdem der Gründer der Republik und erste Staatspräsident Tomáš Garrigue Masaryk aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten war, musste ein neuer Präsident gewählt werden. Nach Medienkampagnen und komplizierten Verhandlungen aller im Parlament vertretenen Parteien wurde Außenminister Edvard Beneš vom tschechoslowakischen Parlament zum zweiten Staatspräsidenten der Republik gewählt. Der Rundfunk übertrug seinen Amtseid:
„Herr Präsident, im 18. Jahr der selbstständigen Tschechoslowakei wurden Sie von der Nationalversammlung als unmittelbarer Nachfolger unseres gefeierten und unermüdlichen Dr. Tomáš Garrigue Masaryks zum Präsidenten der Tschechoslowakischen Republik gewählt.“Beneš trat danach ans Mikrofon und versprach bei seiner Ehre und seinem Gewissen, das Wohlergehen der Republik und des Volkes zu achten und die Verfassung sowie die Gesetze zu schützen.
Die Nachrichten werden zu dieser Zeit noch nicht vom Rundfunk selbst produziert, sondern von der Presseagentur ČTK. 1937 müssen die Nachrichtenredakteure der Agentur dann eine traurige Meldung über den Äther verkünden:
„Der erste Präsident der Tschechoslowakischen Republik, der Befreierpräsident Tomáš Garrigue Masaryk, ist heute, am Dienstag, dem 14. September, morgens um 3.29 Uhr im Alter von 87 Jahren, 6 Monaten und 7 Tagen aus dem Leben geschieden.“Ein Jahr später kam der nächste Schlag für das Land: Im Münchener Abkommen wurde verfügt, dass die Tschechoslowakei ihre Grenzgebiete an das Deutsche Reich abtreten muss. Staatspräsident Edvard Beneš legte sein Amt nieder und emigrierte, Emil Hácha wird in der so genannten „Zweiten Republik“ sein Nachfolger. Aber auch die Lebensdauer dieser Republik war begrenzt: Am 15. März 1939 besetzten deutsche Truppen das Land. Emil Hácha hielt am 16. März eine Ansprache über den Rundfunk:
„Tschechische Bürger! Ich hatte mich entschlossen, mit Zustimmung der Regierung, um 20 Uhr um eine Anhörung beim deutschen Reichskanzler Adolf Hitler zu bitten. Ich bin mit besonderer Aufmerksamkeit und allen Ehren für ein Staatsoberhaupt empfangen worden. Nach einem längeren Gespräch mit dem Reichskanzler und einer Klärung der Situation habe ich entschieden, das Schicksal der tschechischen Nation und des Staats mit vollem Vertrauen in die Hände des Führers der deutschen Nation zu geben.“Es folgten fünf Jahre der Besatzung. Der Tschechische Rundfunk wurde in dieser Zeit zunächst von deutschen Zensoren überwacht, später sogar von einem SS-Mann geleitet.
Beim Aufstand 1945 gegen die Besatzer in Prag spielte der Rundfunk dann erneut eine bedeutende Rolle. Mit Hilfe tschechischer Polizisten gelang es einigen Angestellten, das Gebäude auf der Vinohradská einzunehmen und auf Sendung zu gehen:„Wir rufen die tschechische Polizei, die tschechische Gendarmerie und tschechische Soldaten, wir rufen alle Tschechen zur Hilfe des Tschechischen Rundfunks. Die SS tötet hier tschechische Menschen.“
Nach den blutigen Kämpfen in Prag und der endgültigen Befreiung des Landes kehrte Edvard Beneš am 16. Mai 1945 aus seinem Londoner Exil wieder nach Prag zurück. Nach seiner Rückkehr sollte das Land aber zunächst weitere Turbulenzen erleben. Bereits 1948 übernahm die Kommunistische Partei das Ruder und aus der Tschechoslowakei wurde eine Volksrepublik. Die Tschechoslowakei erlebte eine dunkle Periode – es fanden stalinistische Schauprozesse gegen Gegner des Kommunismus, aber auch gegen hohe Vertreter des Regimes statt. Erst zu Beginn der 1960er Jahre entspannte sich die Situation.
Während sich in der Tschechoslowakei langsam aber sicher ein Reformkurs in der kommunistischen Partei seinen Weg bahnte und das Land auf den Prager Frühling zusteuerte, tobte am anderen Ende der Welt ein grausamer Krieg. Die USA unterstützten den Südteil Vietnams gegen den kommunistischen Norden. Der tschechoslowakische Rundfunk hatte im Februar 1965 einen Reporter vor Ort. Sein Beitrag zeigt, dass der Vietnamkrieg auch im Ostblock medialisiert wurde:„Es ist eine Minute nach ein Uhr am Nachmittag, und gerade sind Bombenexplosionen zu hören. Ich glaube, mein Mikrophon hat es nicht aufgezeichnet. Jetzt sind drei amerikanische Düsenjäger zu sehen, die dicht über die Bucht fliegen. Dort sind vielleicht 15 Segelboote, es sind ganz klar nur Fischerboote, kein einziges militärisches Objekt ist darunter. Ich denke, jetzt zeichnet das Mikrofon auch die Geräusche der Düsenflugzeuge auf.“
1968 dann befindet sich die Tschechoslowakei selbst in einem kriegsähnlichen Zustand. Nachdem Alexander Dubček zum Vorsitzenden des ZKs der Kommunistischen gewählt worden war, begann er, Reformen umzusetzen. Dieser Kurs in Richtung eines „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ gefiel der Sowjetunion überhaupt nicht. Sie setzte das Militär in Bewegung. Und wieder einmal stand der Rundfunk im Mittelpunkt der Ereignisse. Das Gebäude in Prag war umkämpft, auf der Straße wurden Barrikaden aus umgestürzten Autos und Straßenbahnen errichtet.
„Liebe Freunde, wir haben noch eine Nachricht einer Gruppe führender Angestellter des Innen- und Außenministeriums. Sie bitten uns um die Wiederholung der Nachricht von der unerlaubten Übertretung unserer Staatsgrenzen gegen den Willen der Partei- und Staatsführung. Das Außenministerium im Palais Czernin ist umzingelt. Wir werden nicht mehr lange senden können, weil auf der Straße sowjetische Infanterie ist, die schon bald das Gebäude besetzen wird. Ich bitte Sie, in meinem und im Namen aller anderen Angestellten des Tschechoslowakischen Rundfunks, maximale Ruhe zu bewahren. Jeder Widerstand gegen eine Übermacht ist unnütz. Unsere einzige Chance liegt darin, Blutvergießen zu verhindern. Denn Blutvergießen hat in der derzeitigen Situation überhaupt keinen Sinn.“
Die Angestellten des Radios schafften es sogar, eine gewisse Zeit über einen mobilen Sender einen Notsendebetrieb aufrecht zu erhalten. Die Mühe aber war vergebens, trotz zivilen Widerstands war die Niederschlagung des Prager Frühlings schnell vollzogen. Bis zum 1. September 1968 starben 71 Tschechoslowaken bei den Protesten gegen den Einmarsch.
Danach begann die Zeit der so genannten Normalisierung. Der zynisch gebrauchte Begriff bezeichnet die Versuche der kommunistischen Partei, die Bevölkerung mit einer Mischung aus Repressionen und einem gehobeneren Lebensstil, also mit Zuckerbrot und Peitsche, unter Kontrolle zu bringen.
Erst 1977 regte sich Widerstand: Eine Reihe von Intellektuellen unterzeichnete die Charta 77. Auch wenn sie im Ausland mehr Aufmerksamkeit erregte als im Inland, war sie doch ein deutliches Zeichen, dass nicht alle Tschechoslowaken sich mit gestiegenem Lebensstandart und vermehrtem Konsum zum Schweigen bringen ließen. Allerdings dauerte es noch bis 1989, bis das System zusammenbrach – Auslöser waren Demonstrationen der Studenten zum Gedenken an ihre Kommilitonen, die 1939 gegen die deutsche Besatzung demonstriert hatten. Die Nachrichten im Rundfunk gaben die Ereignisse vom 17. November 1989 wie folgt wieder:„Nach den letzten Informationen über die Feierlichkeiten zum 50. Jubiläum der Ereignisse vom 17. November 1939 haben einige Leute versucht, die Gelegenheit zu antisozialistischen Provokationen zu nutzen. In Prag gab es Versuche, beim erlaubten Umzug, der in einer erlaubten Gedenkaktion an der Ehrenhalle in Vyšehrad endete, die Feierlichkeiten zu demonstrativen Aufrufen gegen die sozialistische Gesellschaftsordnung, gegen die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei und gegen die Regierung zu nutzen. Das konnte erneut beobachtet werden, als sich viele Leute zusammenfanden, um sich in den Abendstunden in das Prager Zentrum zu begeben. Es kam zur Störung von Ruhe und Ordnung, vor allem im Bereich der Nationalstraße und der Pernstein-Straße.“Es war der Anfang vom Ende des kommunistischen Regimes und die Geburt der demokratischen Tschechoslowakei. Aber auch sie war nur kurz von Bestand – 1993 trennten sich Tschechen und Slowaken friedlich in zwei unabhängige Staaten.