Neujahrsrede des tschechischen Präsidenten Vaclav Havel - Auszüge
Trotz aller Komplikationen, die durch die Krise im Tschechischen Fernsehen verursacht werden, wurde die traditionelle Neujahrsrede des tschechischen Präsidenten Vaclav Havel sowohl über die öffentlich-rechtliche TV-Anstalt als auch über die Wellen des Tschechischen Rundfunks ausgestrahlt. In seiner Rede hat das Staatsoberhaupt insbesondere das intakte "moralische Unterbewusstsein" in der tschechischen Gesellschaft gelobt. Havel unterstrich dies mit folgenden Worten: "Wenn unsere Gesellschaft aus vielen historischen Gründen heraus auch weiterhin noch beträchtlich demoralisiert ist, so bedeutet das ganz sicher nicht, dass wir in einer Gesellschaft ohne Moral leben. Sehr wohl wissen wir alle, was wir tun sollen und was nicht, was sich gehört und was nicht, was gut und was schlecht ist. Jeder Mensch hat ein Gewissen, die Unterschiede bestehen nur darin, wie wer unter uns auf dessen Stimme achtet oder aber wie geschickt er imstande ist sein Gewissen zu belügen."
Für ihre Leistungen dankte Havel vor allem den Mitarbeitern im Gesundheits- und Sozialwesen, den Militär- und Polizeiangehörigen sowie Stiftungen und gemeinnützigen Organisationen. Bei letzteren sprach er von freiwillig und von unten entstandenen Organisationen als eine Form der selbständigen Strukturierung in einer modernen Gesellschaft. Sie bilden "den nicht auf Gewinn orientierten Sektor, ohne den sich eine funktionierende und stabile Demokratie nicht vorstellen lässt," sagte Havel.
Auf die aktuelle Krise im Tschechischen Fernsehen um dessen umstrittenen Generaldirektor Jiri Hodac nahm Vaclav Havel nicht direkt Bezug. Er äußerte sich jedoch über die wichtige Rolle, die unabhängige Medien in einer demokratischen Gesellschaft spielen. Dazu sagte das Staatsoberhaupt: "Ich denke, es wäre nicht gerechtfertigt, an dieser Stelle nicht über die Journalisten zu sprechen. Es befinden sich unter ihnen nämlich nicht nur die, die sich von mächtigen Gruppen benutzen lassen, und auch nicht nur jene, die bei der Jagd nach Sensationen für die Boulevardpresse bereit sind, jedweden zu verunglimpfen, sondern unter ihnen sind auch nicht wenige, die trotz aller Risiken, mit denen ihre Arbeit verbunden ist, frei und unabhängig die Wahrheit herausfinden wollen, einschließlich der Wahrheit über die dunkelsten Angelegenheiten. Diese Leute sind ungeheuer wichtig. Sie helfen uns dabei, eine der fundamentalsten Werte bzw. Sicherheiten zu vermitteln, ohne die es sich in der Tat nicht leben lässt, nämlich die Hoffnung, dass die Wahrheit siegt."
Demgegenüber verurteilte Präsident Havel die Machenschaften von einem "mafiösen" Teil unter den insgesamt zwei Millionen einheimischen Unternehmern. Wörtlich sagte er: "Diese gefährliche Gruppierung der berüchtigsten Untertunneler, von falschen Unternehmern, Mafiosi, Bankenschwindlern oder letzten Endes Verbrechern, die durchweg zu ihrem persönlichen Vorteil die historisch noch nie dagewesene Möglichkeit, die die Privatisierung eröffnete, missbraucht hat, darf nicht die erwähnten zwei Millionen der unternehmerischen Subjekte bzw. der übergroßen Mehrheit von ihnen überschatten. Denn eine völlig grundlegende Bedingung für den dauerhaften Erfolg und den allgemeinen Nutzen des Unternehmertums sind nämlich ein engherziger Respekt zu den geschriebenen und ungeschriebenen Spielregeln und eine bestimmte Unternehmerkultur."
Vaclav Havel verwies in seinen Ausführungen darauf, dass vor allem die hierzulande nur als "tunelari" (Untertunneler) bekannte Gruppe von besonders verbrecherischen Unternehmern dafür gesorgt habe, dass die Gesellschaft in den zurückliegenden Jahren um einige Hundert Milliarden Kronen ihres Eigentums beraubt worden sei. "Das ist eine furchtbar hohe Steuer unserer Transformation," erklärte der Präsident, und es sei die Frage zu klären, ob diese Steuer notwendig oder zu großen Teilen überflüssig war.
Zum Abschluss seiner Neujahrsrede hob Vaclav Havel die Tatsache, dass er die tschechischen Bürger schon zum zehnten Mal zu einem Jahresanfang und zudem zu Beginn des neuen Jahrtausends als deren Präsident begrüßen darf, als ein wertvolles Geschenk des Schicksals hervor.
Soweit Auszüge aus der Neujahrsrede des tschechischen Präsidenten Vaclav Havel.