Nicht nur Sieg und Tore - tschechischer Fußball im Slum von Nairobi

Um Fußball geht es dieser Tage überall, und auch unsere Rubrik "Forum Gesellschaft" macht da keine Ausnahme. Allerdings schauen wir nicht auf die Weltspitze, sondern auf das andere Ende der Fußballskala, denn über die Weltmeisterschaftsduelle gerät gelegentlich in Vergessenheit, dass Fußball nahezu weltweit der Prototyp des Breitensports ist - ein Spiel, das Begeisterung weckt, Kräfte auf ein gemeinsames Ziel lenkt und Gruppen formt. Die soziale Komponente des Fußballs wird auch in der Entwicklungsarbeit eingesetzt. Thomas Kirschner stellt ein tschechisch-deutsch-kenianisches Projekt zum Straßenfußball in den Slums von Nairobi vor.

"Fußball ist das beliebteste Spiel in den Slums. Zum einem, weil man sich einen einfachen Fußball aus Abfällen leicht selbst basteln kann, zum anderen, weil Fußball leicht zu spielen ist: Man tritt gegen den Ball und läuft hinterher",

sagt Bonface Mbugua von der kenianischen Initiative MYSA. Seit mehr als 20 Jahren organisiert MYSA im Rahmen der Sozial- und Entwicklungsarbeit Sportaktivitäten, vor allem in den Slums der kenianischen Millionenmetropole Nairobi. Im Bereich gemeinnütziger Sportprojekte gehört MYSA zu den größten Nicht-Regierungsorganisationen in Afrika; von der internationalen Anerkennung zeugt die Nominierung für den Friedensnobelpreis im Jahre 2003. Der Straßenfußball nimmt in der Arbeit von MYSA einen großen Stellenwert ein, erklärt Bonface Mbugua:

"Wir nutzen Fußball als Entwicklungsinstrument. Es gibt in den Slums soziale Probleme, Probleme mit Drogen und Erkrankungen durch die Umweltverschmutzung. Wir versuchen in dieser Situation, den jungen Leuten eine Wahl zu geben: Sie können ihre Freizeit sinnvoll mit Fußball verbringen. Dadurch mobilisieren wir die Jugendlichen; sie helfen dann, die Gegend sauber zu halten, so dass wir Krankheiten verhindern können. Außerdem informieren wir die jungen Leute über Aids."

Unterstützt wird die Arbeit von MYSA auch aus Tschechien und Deutschland. Im vergangenen Jahr war erstmals ein tschechisch-deutsches Freiwilligen-Tandem in Nairobi, entsandt von dem europäischen Entwicklungsprogramm GLEN, das junge Leute an die Entwicklungsarbeit heranführen soll. Für Tschechien war der Student Robin Ujfalusi in Kenia, der Fußball schon von der Familie her im Blut hat - er ist der Cousin von Nationalspieler Tomas Ujfalusi. In Nairobi sollte er das Straßenfußball-Programm von MYSA unterstützen:

"Die Grundidee ist, dass es beim Fußball nicht immer nur um Sieg und Tore und Spitzensport gehen muss, sondern dass er auch ein sehr effektives Instrument für gesellschaftliche Veränderungen sein kann."

Geplant waren drei Monate hart am Ball: Mannschaften finden, Spiele organisieren - unmittelbare Arbeit mit den Slumkindern.

"Die Realität sah dann ziemlich anders aus - letztlich ging es viel um Projektmanagement und das Anwerben von Sponsoren. Wir haben die meiste Zeit im Büro gesessen und versucht, statt den ausländischen Förderern verstärkt Partner vor Ort in Nairobi zu finden."

Die verbindende Wirkung des Straßenfußballs hat Robin Ujfalusi trotzdem am eigenen Leib erfahren, denn ganz ohne aktiven Fußball gingen die drei Freiwilligen-Monate selbstverständlich nicht vorbei:

"Natürlich haben wir versucht, so viel Zeit wie möglich draußen zu verbringen. In der Ferienzeit haben wir zwei Fußball-Turniere organisiert, und nachmittags haben wir zwei-, dreimal die Woche einfach so gekickt, und das hat auch bei mir als Fremdem gut geklappt: Man kommt einfach, nimmt einen Ball und spielt mit den Kindern ein Stunde."

Gespielt wird in den Slums von Nairobi barfuß, wenn es doch ein Paar Schuhe gibt, dann teilen es sich zwei Spieler. Mädchen und Jungen spielen gemeinsam; dass der Lehmplatz leicht abschüssig ist, stört niemanden. Der Effekt des ersten Turniers: Robin Ujfalusi war für die Slumkinder mit einem Schlag nicht mehr "mzungu", der Weiße, sondern schlicht Robin.

In den dicht besiedelten Slums von Nairobi reicht schon ein Ball und zwei abgesteckte Tore, um ein Spiel zu improvisieren und den Kreislauf aus Elend und Drogen bei den Jugendlichen wenigstens für eine Weile zu durchbrechen. Straßenfußball-Projekte gibt es mit anderen Zielsetzungen aber auch in anderen Ländern Afrikas, berichtet Robin Ujfalusi aus eigener Anschauung:

"Ich hatte auch die Möglichkeit, für ein paar Tage nach Ruanda zu fahren, wo die Situation eine ganz andere ist. Da ist es ländlich, die Leute leben verstreut, so dass auch die Projekte anders durchgeführt werden müssen. Dort gibt es eher größere Turniere, für die die Leute von weither kommen. In Nairobi geht es darum, dass die Jugendlichen kontinuierlich aktiv sein können; im Nachkriegs-Ruanda eher darum, die verfeindeten Ethnien wieder zur Zusammenarbeit zu bringen."

Straßenfußball ist dafür ein ideales Instrument: Die gemeinsame Sportbegeisterung schafft es, Gräben zu überwinden. Weil es keinen Schiedsrichter gibt, müssen sich die Spieler gemeinsam auf Regeln verständigen; Anspannung und Emotionen werden im sportlichen Zweikampf aufgelöst. Fußball als Modell einer besseren Welt. Kein Allheilmittel, aber ein gangbarer Weg, bestätigt auch MYSA-Mitarbeiter Bonface Mbugua:

"Im Sudan wurde lange Zeit gekämpft. Die jungen Menschen sind in dieser Umgebung aufgewachsen, sie tragen diese Atmosphäre des Kämpfens in sich. Wir versuchen nun, das in sportliche Energie abzuleiten: Sie fordern einander heraus, aber eben nur im sportlichen Kampf. Und das funktioniert sehr gut."

Für den Straßenfußball in Nairobi konnte Robin Ujfalusi auch seinen berühmten Cousin gewinnen: Der tschechische Nationalspieler Tomas Ujfalusi hilft mit Geld und mit seinen Kontakten, und auch einige Fußbälle haben bereits den Weg von Prag nach Nairobi gefunden:

"Ich mache das, weil ich die Möglichkeit hatte, hier in Tschechien aufzuwachsen. In Kenia herrschen für den Fußball und für junge Spieler ganz andere Bedingungen, und ich möchte helfen, das ein wenig anzugleichen. Die Jungs haben ihre Fußball-Idole, wenn sie aufwachsen, und wenn sie die Möglichkeit haben, beim Fußball zu bleiben, dann kann das nicht nur für den Sport, sondern auch für ihr Leben gut sein."

Von links: Bonface Mbugua,  Robin Ujfalusi und Tomas Ujfalusi  (Foto: CTK)
Wie in zahlreichen europäischen Ländern spielt Sport und Straßenfußball inzwischen auch in der tschechischen Entwicklungshilfepolitik eine Rolle - nicht ganz uneigennützig, wie Martin Naprstek vom Zentrum für Entwicklungszusammenarbeit am Tschechischen Außenministerium unumwunden zugibt:

"Wir freuen uns wenn wir den ausgezeichneten tschechischen Fußball in dieser Weise propagieren können. Unsere Entwicklungszusammenarbeit richtet sich an viele Länder, in denen Sport und Fußball extrem populär sind. Wenn man etwa in Kenia, Peru, Namibia oder Vietnam sagt, dass man aus Tschechien kommt, dann zählen ihnen junge Burschen sofort drei, vier tschechische Nationalspieler auf. Mit diesen Sportprogrammen können wir also mit dazu beitragen, dass Tschechien international sichtbarer wird."

Eine Verbindung gibt es übrigens doch vom Spitzen- zum Straßenfußball: Wenn die Nationalmannschaften wieder aus Deutschland abgereist sind, dann findet im Juli in Berlin die Weltmeisterschaft im Straßenfußball "festival06" statt. Mit dabei sind auch gemischte Teams aus Tschechien und Kenia - aber keine Schiedsrichter. Genau wie auf dem Lehmplatz in Nairobi.