Die tschechische Couponprivatisierung nach 10 Jahren
Herzlich willkommen bei einer weiteren Ausgabe unserer Magazinsendung mit Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft, am Mikrofon begrüßt Sie Rudi Hermann. Vor zehn Jahren hat sich Tschechien in ein einzigartiges wirtschaftspolitisches Abenteuer gestürzt, die Couponprivatisierung. In dieser Entstaatlichungsoperation gigantischen Ausmasses wurden praktisch über Nacht Millionen von Tschechen und Slowaken zu Kleinaktionären, wurde Staatsbesitz in enormer Höhe in private Hände gegeben. Hatte es im Sozialismus geheissen, der Staatsbesitz sei volkseigen, so machte sich die Regierung im Oktober 1991 tatsächlich daran, dem Volk Besitztum in die Hand zu geben. Ob die Privatisierung nach der sogenannten Couponmethode dem Land Nutzen oder Schaden gebracht hat, darüber gehen die Meinungen allerdings bis heute auseinander. Für uns ein Grund, an dieser Stelle aus etwas Distanz auf die Couponprivatisierung zurückzuschauen. Wir wünschen guten Empfang.
Die Grundidee der sogenannten Couponprivatisierung bestand darin, auf einen Schlag bedeutende Anteile von staatlichen Unternehmen an die Bevölkerung zu verteilen und damit in private Hände zu bringen. Darauf, welchen Anteil am Staatsbesitz sich jemand erwerben konnte, sollte dabei von der Bevölkerung beeinflusst werden können. Deshalb konnten sich die Interessenten für eine bescheidene Verwaltungsgebühr sogenannte Couponhefte mit Investitionspunkten kaufen. In mehreren Runden wurde nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage ermittelt, wieviele Bürger wieviele Punkte in welche Firmen investieren wollten respektive, bei ausreichendem Angebot, investieren konnten. Die Erfahrung hat inzwischen gezeigt, dass Unternehmen, die damals sehr begehrt waren, etwa Hotels mit internationaler Klientel, letzten Endes nicht die grossen Gewinne darstellten und dass auf der anderen Seite Fabriken, denen nicht allzuviel Lebenserwartung eingeräumt wurden, zu überraschenden Spekulationserfolgen beitrugen. Die Erfahrung hat ferner gezeigt, dass Unternehmen, die nur oder vorwiegend nach der Couponmethode privatisiert wurden, heute die schlechteren Wirtschaftsergebnisse erzielen als solche, die über Auktion oder Direktverkauf einen strategischen Investor fanden - ein Hinweis zumindest darauf, dass die Couponprivatisierung, wenn sie auch vielleicht gut ausgedacht war, von ungenügenden flankierenden Massnahmen begleitet wurde.
Gesamthaft brachte die Couponprivatisierung immerhin einen grossen Teil der Bevölkerung erstmals hautnah mit marktwirtschaftlichen Mechanismen in Kontakt, und dieses Element wurde von einem der - in Anführungszeichen - Erfinder dieser Privatisierungsmethode, Dusan Triska, in einem Gespräch für die Tageszeitung Mlada Fronta dnes unlängst als wesentliches Element bezeichnet. Wer sich nicht selbst zu investieren getraute, konnte sein Couponheft einem Investitionsfonds zur Verwaltung anvertrauen. Er erhielt im Gegenzug nicht Aktien an konkreten Unternehmen, sondern einen Anteil am von ihm gewählten Investmentfond.
Die Vorteile der Couponmethode sollten neben dem marktwirtschaftlichen Anschauungsunterricht für die Bevölkerung darin bestehen, dass eine grosse Anzahl von Unternehmen schnell konkrete neue Besitzer fand. Diese Besitzer, so die Annahme, würden dann die Kontrolle über die Unternehmen besser ausüben als der Staat, weil es ja schliesslich um ihre eigene Investition ging. Gerade hier setzte aber auch die Kritik der Couponprivatisierung an. Die Skeptiker wiesen darauf hin, dass der Aktienbesitz an den einzelnen Unternehmen sehr weit gestreut würde und es damit sehr schwer werden könne, ein Unternehmen wirklich effizient zu führen und notfalls auch durchgreifend zu restrukturieren. Kleinanleger und Investitionsfonds würden wohl kaum die langfristige strategische Entwicklung im Auge haben, sondern eher den schnellen Gewinn.
Als weiterer Nachteil wurde der Couponprivatisierung angekreidet, dass sie in die zu privatisierenden Unternehmen kein neues Geld und kein Know-How, etwa in Finanz- und Marketingfragen, bringen würde. Dem hielten die Schöpfer dieser Methode entgegen, dass in der Tschechoslowakei respektive Tschechien nach der Wende zu wenig Ersparnisse von Bevölkerung und Unternehmen für finanzielle Investitionen vorhanden war. Die Regierung war damals der Ansicht, dass eine schnelle Privatisierung ein erster Schritt sei. Diesem müsse eine Konzentration des weit gestreuten Aktienkapitals folgen, doch diese Konzentration könne durch das Spiel der Marktkräfte besser als durch die Entscheide von Staatsbeamten erreicht werden. Die Privatisierung nach sogenannten Standardmethoden wie Teilverkauf an Investoren über Direktverkauf oder Auktion wurde zwar auch betrieben, doch in kleinerem Massstab. Das Paradebeispiel in dieser Hinsicht ist die Privatisierung des Automobilherstellers Skoda Mlada Boleslav, der unter die Flügel des VW-Konzerns kam und sich in den letzten zehn Jahren zum Vorzeigebetrieb par excellence in Tschechien entwickelt hat. Allerdings, so meinen Vertreter der Couponprivatisierung, habe es nicht viele Betriebe gegeben, die auf solch vorteilhafte Weise hätten entstaatlicht werden können. Die ausländischen Investoren hätten sich nur einige Rosinen aus dem Kuchen gepickt. Dieser Behauptung stehen allerdings die Erfahrungen in Polen und Ungarn entgegen. Diese beiden Länder gingen bei der Privatisierung langsamer und überwiegend mit Standardmethoden vor und haben über die Jahre damit eher bessere Ergebnisse erzielt als Tschechien.
Welche Ansichten herrschen heute zur Couponprivatisierung? Die Eckpunkte des Spektrums stellen wohl Aussagen von Vaclav Klaus, einem der Schöpfer dieser Methode, und Milos Zeman, einem ihrer schärfsten Kritiker, dar. Klaus war 1992 als tschechoslowakischer Finanzminister direkt an der Planung der Couponprivatisierung beteiligt, neben dem damaligen Privatisierungsminister Tomas Jezek und dem damaligen Vize-Finanzminister Dusan Triska, der so etwas wie das Hirn der ganzen Aktion war. Klaus meint auch heute noch, angesichts der Umstände und des Drucks, schnell einen grossen Teil einer Volkswirtschaft entstaatlichen zu müssen, habe die Couponmethode einen vernünftigen Ansatz dargestellt. Zeman, damals in der linken Opposition tätig, meinte hingegen, es handle sich um einen grossen Schwindel, der dem Land mehr Schaden als Nutzen bringe.
Unter Fachleuten ist heute kaum mehr umstritten, dass die Couponprivatisierung rückblickend eher als Misserfolg einzuschätzen ist. Dies liegt wohl weniger am Ansatz an sich, der einer gewissen Originalität nicht entbehrt, als am Umfeld, in dem er durchgeführt wurde. Ein ungenügender rechtlicher und institutioneller Rahmen ermöglichte Transaktionen, die vielleicht nicht unbedingt jenseits des damals gültigen Rechts waren, auf jeden Fall aber jenseits des guten Geschmacks. Das Vertrauen der Bevölkerung in den Kapitalismus, das mit der Aktion hätte gestärkt werden sollen, hat damit längerfristig wohl eher gelitten. Ausserdem kam es, neben den bekannten Nachteilen des fehlenden Geldes und Know-How, zu einer Verflechtung von Politik und Wirtschaft über die halbstaatlichen Banken und gewisse Investitionsfonds. Der amerikanische Wirtschaftsprofessor Jeffrey Sachs merkte vor zwei Jahren an, inzwischen sei klar, dass die Couponprivatisierung ein Fehler gewesen sei, für den die tschechische Wirtschaft jetzt die Rechnung bezahle. Die Couponprivatisierung offenbarte gravierende Mängel bei Gesetzgebung und Rechtsdurchsetzung. Kleinaktionäre, von denen es in Tschechien Millionen gab, sahen sich unzureichend geschützt; Unternehmen und Investitionsfonds wurden von gewissen Managern als Selbstbedienungsläden missbraucht, und ein schwerfälliges Justizsystem machte den Geschädigten wenig Hoffnung auf Gerechtigkeit und Durchsetzung des Rechts. Dusan Triska zeigte sich im schon erwähnten Gespräch für die Tageszeitung Mlada Fronta dnes dennoch überzeugt davon, dass ein Effekt der Aufklärung der damals über marktwirtschaftliche Vorgäng weitgehend uninformierten Bevölkerung erreicht worden sei. Doch muss im Lichte der heutigen Erfahrungen die Frage gestellt werden, ob neben dem von einer breiten Öffentlichkeit kaum mehr bezweifelten Misserfolg des Couponexperiments als Privatisierungsmethode nicht auch das marktwirtschaftliche Systém als solches einen - gewiss nicht beabsichtigten - Imageverlust erlitten hat.