Zeitschrift Pritomnost
Verehrte Hörerinnen und Hörer, zu einer weiteren Ausgabe des Medienspiegels von Radio Prag begrüßen Sie recht herzlich Silja Schultheis und Robert Schuster.
Vielleicht können Sie sich ja, liebe Hörerinnen und Hörer, noch daran erinnern, dass wir uns vor einigen Monaten, als wir unseren ersten Medienspiegel ausstrahlten, vorgenommen hatten, auch jene Medien vorzustellen, die ein wenig abseits der tagesaktuellen Berichterstattung stehen, so wie wir sie in den Zeitungen vorfinden können.
Zu dieser Gruppe gehört zweifelsohne auch die Zeitschrift "Prítomnost" (auf Deutsch: Gegenwart), welche auf eine sehr lange Tradition zurückblicken kann. Sie wurde nämlich schon 1918 gegründet, also fast zeitgleich mit der ersten Tschechoslowakischen Republik. Dieser zeitliche Zusammenhang war kein Zufall, denn unter der Federführung des wichtigsten tschechischen Journalisten der Zwischenkriegszeit, Ferdinand Peroutka, entwickelte sich die Prítomnost zu einer Art publizistischen Säule des jungen Staates. Peroutka, der zu dem intellektuellen Kreis gehörte, welcher sich rasch um den ersten tschechoslowakischen Präsidenten Tomás Masaryk bildete, ließ in seinen Kommentaren häufig auch Ideen und Standpunkte Masaryks durchklingen. Für Historiker sind somit die Ausgaben der Prítomnost eine wichtige Quelle für das Studium der politischen Geschichte der 1. Republik.
Aber zurück in die Gegenwart. Zu den wichtigsten Themen, derer sich die Prítomnost annimmt, zählt die Entwicklung der Zivilgesellschaft in Tschechien, ebenso aber auch der etwas vernachlässigte Meinungsaustausch in Mitteleuropa. So gehört z.B. der bekannte polnische Intellektuelle und Chefredakteur der Tageszeitung Gazeta Wyborcza, Adam Michnik, zu den regelmäßigen Autoren der Prítomnost. In der letzten Nummer der Zeitschrift plädiert Michnik etwa in einem Artikel vehement für eine Vertiefung der Zusammenarbeit innerhalb der Visegrad-Gruppe, jener mitteleuropäischen Initiative also, der neben Polen und Ungarn auch Tschechien und die Slowakei angehören.
Der mehr als 50 Jahre brach liegende Zeitungstitel "Prítomnost" wurde nach der Wende von 1989 von Martin Jan Stránský mit neuem Leben erfüllt. Stránský selber kehrte als Nachfahre einer bekannten tschechischen Verlegerfamilie aus den USA nach Tschechien zurück. Obwohl er eigentlich von Beruf Arzt ist, fühlte sich Stránský der Familientradition verpflichtet, denn vor allem sein Großvater besaß in der Zwischenkriegszeit ein für damalige Verhältnisse relativ großes Medienimperium, zu dessen wichtigsten Titeln neben der erwähnten Prítomnost z.B. auch die Tageszeitung Lidové noviny gehörte. Wir fragten deshalb Martin Jan Stránský, ob es nach der Rückkehr in die Heimat genügte, sozusagen einfach den alten und bewährten Titel "Prítomnost" zu entstauben, oder ob die Zeitschrift, trotz der langen Tradition, wieder von Neuem gegründet werden musste?
"Ich würde sagen, dass eher das Zweite zutrifft, weil die Zeit, welche bis zur Wiederherausgabe der Prítomnost vergangen ist, einen wichtigen Bruch darstellt und zwar nicht nur was die Kontinuität der Zeitschrift betrifft, sondern auch in Bezug auf die guten alten Traditionen des Landes und dessen Gesellschaft. Zudem hatte ich mich zur Erneuerung der Zeitschrift aus einem rein persönlichen Motiv entschlossen. Nachdem ich mich wieder in der damaligen Tschechoslowakei niedergelassen hatte, vermisste ich in der hiesigem Medienlandschaft ganz einfach einen bestimmten Typ von Zeitschrift. Ich war mir aber auch einer gewissen Familientradition bewusst, und das erlaubte mir mit bestimmten Persönlichkeiten in Verbindung zu treten, die mir dann halfen, die Zeitschrift auf die Beine zu stellen. Wir brachten die Prítomnost zunächst als Monatszeitschrift heraus, die einem speziellen Thema gewidmet war, aber allmählich gaben wir diese Konzeption auf. Durch die weiteren Entwicklungen haben wir die heutige Form erreicht, d.h. die Prítomnost erscheint nun alle vier Monate."
Laut Martin Jan Stránský bewegt sich die Auflage der Prítomnost zwischen 2500 und 3000 Exemplaren, wobei zwei Drittel davon auch regelmäßig verkauft werden. Daneben erscheint die Zeitschrift aber auch, übrigens als einzige ihrer Art, regelmäßig in einer englischen Fassung, in einer Auflage von ca 2500 Exemplaren. Dadurch, dass der überwiegende Teil der Prítomnost an Abonnenten verschickt wird, hat die Redaktion laut Stránský einen relativ guten Überblick über die Struktur der Leserschaft. In den letzten Jahren verzeichnet die Zeitschrift vor allem von zwei unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen Zulauf: Zum einen von Studenten, auf der anderen Seite aber auch von Managern in der Altersgruppe zwischen 30 und 40 Jahren. Letzteres versteht Stránský als eine besonders positive Entwicklung, weil sie zeigt, dass auch in Tschechien die Spitzenkräfte allmählich versuchen, einen breiteren Überblick über die Entwicklungen in der Gesellschaft zu bekommen.
Ähnlich wie alle anderen Zeitschriften, findet sich auch in der Prítomnost fast gar keine Werbung. Das legt die Frage nahe, wie es um die Finanzierung der Zeitschrift bestellt ist? Herausgeber Stránský zeichnet in diesem Zusammenhang ein relativ düsteres Bild, welches nicht nur für die "Prítomnost", sondern auch für alle intellektuellen Zeitschriften des Landes zutrifft, wenn er gegenüber Radio Prag meint:
"Hier lässt sich tatsächlich behaupten, dass Tschechien Europa bereits eingeholt hat, denn fast nirgends kommen solche intellektuellen Qualitätszeitungen ohne Sponsoring oder ähnliche Förderungen aus. Leider ist es aber bei uns noch etwas kritischer, weil alle bisherigen Regierungen die Entwicklung eines starken gemeinnützigen Sektors in Tschechien behinderten. Es gab sogar Zeiten, wo man von einer offenen Arroganz der Regierungen gegenüber diesen Aktivitäten sprechen konnte. Heute gelingt die Herausgabe der Zeitschrift eigentlich nur dank meiner persönlichen Kontakte und Mittel, die ich aus eigener Tasche beisteuere."
Zu dieser misslichen finanziellen Situation kommt aber auch noch ein anderes Problem hinzu: Einige dieser Qualitätszeitungen und Zeitschriften waren in den letzten Jahren wegen ihrer oft kritischen Berichterstattung auch einem starken politischen Druck ausgesetzt. Das bekannteste Beispiel dafür ist wohl die Wochenzeitschrift Respekt, die von der Regierung verklagt wurde, und zwar mit dem öffentlich deklarierten Ziel, sie finanziell zu ruinieren. In der vergangenen Woche wurde diese Klage vom Gericht abgelehnt. Warum können die tschechischen Politiker eigentlich mit Kritik, wie sie in den Medien geäußert wird, so schlecht umgehen, fragten wir abschließend Martin Jan Stránský:
"Die jetzige Regierung und auch ihre Vorgängerin waren eigentlich vom selben Schlag, denn es waren postkommunistische Regierungen. Und das bedeutet für mich vor allem, dass sie nur auf ihre persönliche Macht und Machtkonzentration ausgerichtet waren und deshalb nicht verstanden, dass sie bezahlte Angestellte ihrer Wähler sind, und nicht umgekehrt. Damit hängen auch ihre Versuche zusammen, die Medien zu kontrollieren, ganz zu schweigen von den rabiaten Ausfällen gegen Journalisten oder andere Gruppen. Der Versuch, Respekt zu zerstören, ist jedoch für die Regierung nicht gut ausgegangen, was nach langer Zeit wieder einmal eine gute Nachricht für die tschechische Medienwelt ist."
Verehrte Hörerinnen und Hörer, mit diesem optimistischen Schlusswort des Herausgebers von Prítomnost sind wir wieder am Ende unserer heutigen Sendung angelangt.