Droht der Elbe eine Dioxinverseuchung?
Wird das mittelböhmische Städtchen Neratovice schon bald genauso berühmt-berüchtigt sein wie die Namen der Städte Seveso, Bophal oder Tschernobyl? Wenn man den Warnungen und Mahnungen der Umweltschutzorganisation Greenpeace folgt, dann ist das keineswegs ausgeschlossen. Oder wird hier nur mal wieder der berühmte Teufel an die Wand gemalt? Wir werden diesen Fragen im folgenden Schauplatz von und mit Olaf Barth nachgehen.
Das verseuchte Areal inmitten des Firmengeländes liegt nämlich in unmittelbarer Nähe eines Flusses. Das ganze Ausmaß der drohenden Gefahr wird dann klar, wenn man weiß, dass es sich bei dem Fluss um die Elbe und bei den dortigen Giftrückständen u.a. um Dioxin handelt.
Greenpeace weist Spolana seit beinahe einem Jahr auf die Überschwemmungsgefahr und deren Auswirkungen hin. Wie sehen die Reaktionen des Konzerns aus, wollte ich von Greenpeace-Kampagnenleiter Jan Haverkamp wissen:
"Arrogant. Das ist das einzige richtige Wort dafür. Arrogant, es scheint als ob es sie gar nicht interessiert, dass es zu einer Katastrophe kommen könnte. Wir müssen sagen, dass uns das wirklich schmerzt. Wir begreifen das nicht, wir finden es dumm und kurzsichtig und Spolana bedroht damit aktiv die Gesundheit der Menschen stromabwärts an der Elbe."
Noch bedrohlicher erscheint das ganze Szenario, wenn man die Wasserstandsmeldungen verfolgt: In der vergangenen Woche stiegen die Pegel der Elbe wegen des Tauwetters deutlich an - in einigen Gemeinden wurde bereits die 3. Hochwasseralarmstufe ausgerufen. Jan Haverkamp, sieht bei Spolana im Moment zwar noch keine unmittelbare Gefahr, kämen aber zu der derzeitigen Schneeschmelze noch einige Regentage hinzu, dann sehe die Situation wieder ganz anders aus. Und weiter:
"Es geht um ein Hochwasser, das einmal in 50 Jahren auftritt. Es würde dann in zwei dioxinverseuchten Gebäuden etwa 50 cm hoch Wasser durchfließen. Das ist ziemlich viel und das Problem ist, es könnte sogar schon dieses Jahr passieren. Und Spolana hat bisher noch keine Maßnahmen unternommen, um einer möglichen Katastrophe vorzubeugen."
Bei Spolana sieht man das natürlich ganz anders. Deren Pressesprecher Zdenek Joska wollte allerdings gegenüber Radio Prag keine Fragen beantworten. In einem Schreiben betonte er jedoch, eine erste Sanierung der Anlagen sei bereits 1998 abgeschlossen worden, in dem man sie u.a. in einen Betonmantel gehüllt hätte.
Bezüglich des Risikos von zwei weiteren Objekten habe die US-Firma "Aquatest" eine Gefahrenstudie erstellt, deren Ergebnisse derzeit vom tschechischen Volksvermögensfonds beurteilt würden. Joska schickte gegenüber dem Tschechischen Rundfunk aber schon mal voraus:
"Die Altlasten werden sich keinesfalls kurzfristig beseitigen lassen."
Die Dioxinbelastungen der beiden geschlossenen Objekte seien aber bei weitem nicht so hoch wie von den Umweltschützern behauptet, beharrt der Spolana-Pressesprecher.
Doch Jan Haverkamp bezieht sich auf die bereits genannte Studie:
"Diese Risikostudie wurde im letzten Jahr durch die amerikanische Firma Aquatest fertiggestellt und sie zeigt deutlich, dass es hier um ein großes Risiko geht. Wir waren sehr überrascht davon, dass auch das zuständige Ministerium, dem die Studie vorlag, sich nicht bewusst war über die Gefahren, bis wir dem Ministerium die Stellen gezeigt haben, an denen die Risiken aufgelistet stehen."
Die tschechische Umweltinspektion habe eine Dioxinkonzentration von bis zu 1255 Nanogramm gemessen. Das sei 125 Mal mehr als die zugelassene Grenze für Giftmüll.
"Wir reden hier über zig oder gar Hunderte Gramm Dioxin. Das ist der am stärksten dioxinverseuchte Platz Europas und einer der am meisten verseuchten Orte der Welt. Um einen Vergleich zu ziehen: im vergangenen Jahr gab es einen Dioxinskandal in Belgien - da ging es um ein Gramm Dioxin. Da musste man 4 Milliarden Euro für die Dekontamination investieren. Und hier geht es um bis zu Hundert Gramm Dioxin."
Der Greenpeace-Experte weist darauf hin, dass Dioxin zu den giftigsten Substanzen überhaupt gehört. Schon kleinste Dosen, also Nanogramme und weniger, könnten Krebs, Unfruchtbarkeit oder Hormonstörungen hervorrufen.
Schädigungen, die im Falle einer Überschwemmung des kontaminierten Geländes mit Sicherheit auftreten würden. Zu den weiteren möglichen Ausmaßen einer solchen Katastrophe führt er aus:
"Das Problem ist, dass Dioxine z.T. durch Staub absorbiert werden. Dieser würde sich über die Auen der Elbe und die überschwemmten Gebiete verteilen. Man müsste dann dort hotzpotz suchen, um zu dekontaminieren. Und Städte wie Dresden, deren Trinkwasserversorgung z.T. von der Elbe abhängig ist, müssten tagelang die Versorgung einstellen, um sicher zu gehen, dass kein Dioxin in das Trinkwasser gelangen würde."
Laut Greenpeace hätten weitere Analysen außerdem gezeigt, dass auch Luft und Grundwasser stark dioxinbelastet seien, was schon jetzt eine Gefahr für alle Arbeiter auf dem Industriegelände darstelle. Die höchste gemessene Einzelkonzentration in den Gebäuden läge demnach bei 24000 ng.
Jan Haverkamp beschreibt die Situation auf dem Spolana-Areal:
"Das Spolana-Gelände an sich ist eine Giftmüllhalde. Es geht nicht nur um Dioxine, es geht auch um Herbizide wie DDT, DDE u.v.m. Aber unter den Gebäuden ist der Boden stark dioxinverseucht und in den Gebäuden ist auch die Luft verseucht. Wir haben selbst schon kaputte Fenster gesehen und auch eines der Dächer ist korrodiert. Auch die Wände haben Risse. Das bedeutet, dass auch Dioxin, das in der Luft ist, nach außen gelangen könnte und damit ein unmittelbares Risiko für die Arbeitnehmer bei Spolana darstellen würde."
Und im Falle eines extremen Hochwassers sogar für alle Elbe-Anreiner.
Deshalb fordert Greenpeace Spolana auf, umgehend entsprechende Präventivmaßnahmen gegen eine mögliche Überschwemmung und damit Giftkatastrophe zu treffen.
Jan Haverkamp sieht die Firmenpolitik, was die Altlasten- und damit Risikobeseitigung angeht, kritisch und zieht einen interessanten Vergleich:
"Ein sehr gutes Beispiel ist Bophal in Indien, wo ähnliche Probleme auftraten wie hier bei Spolana. D.h., wo Unternehmer sich nicht genügend um die Hinterlassenschaften der alten Firma kümmern und einfach versuchen, alle Probleme vor sich herzuschieben."
Anmerkung: Im Spolana-Werk wurde in den 60 er Jahren ein Chlorherbizid produziert, das auf Umwegen nach Vietnam gelangte und aus dem die USA das berüchtigte Agent orange herstellten. Noch heute leiden und sterben in Vietnam Erwachsene wie Kinder an den Folgen dieses Giftes. Gerade die Rückstände dieses Produkts befinden sich noch immer in den Objekten in Neratovice. Folgender Satz sollte Warnung genug sein:
"Sie können Spolana ruhig als das tschechische Bophal bezeichnen."
Bleibt einem nur zu hoffen, dass der Pegel der Elbe nicht weiter steigt.