Goldenes Reliquiar des hl. Maurus - Fund des Jahrhunderts im Schloss Becov
Wer hat sich nicht irgendwann einmal - zumindest als Kind - danach gesehnt, einen Schatz zu finden. Allen, die sich skeptisch sagen, dass alle Schätze schon längst ausgegraben seien, wollen wir heute die Geschichte des Reliquiars des hl. Maurus erzählen. Der goldene Heiligenschrank aus dem 13. Jahrhundert, ein kostbares Beispiel der romanischen Goldschmiedkunst, wurde erst vor 12 Jahren in der Kapelle des westböhmischen Schlosses Becov nad Teplou (Petschau) entdeckt. Im Frühling dieses Jahres wurde er nach einer geheimgehaltenen und anspruchsvollen Renovierung ausgestellt. Nach Betschau, zum hl. Maurus, führen Sie in der folgenden Touristiksendung Markéta Maurová und Katrin Sliva.
"Das Reliquiar des hl. Maurus repräsentiert den Tubentyp eines Heiligenschreins. Er ist 138 cm lang, 64,5 cm hoch und 42 cm breit. Er besteht aus einem Holzkern, in dem in speziellen Beuteln die eigentlichen Reliquien aufbewahrt werden. Die Ausschmückung des goldenen Schreins besteht vor allem aus plastischen Statuen, die aus vergoldetem Silberblech gefertigt sind. An den Stirnseiten sind Statuen des segnenden Christi und des hl. Maurus zu sehen, die Seitenteile schmücken die zwölf Apostel. Das Dach zieren zwölf große Reliefs: Szenen aus dem Leben des hl. Maurus und die Lebensgeschichte des hl. Johannes des Täufers sind hier abgebildet. Zum prunkvollen Aussehen des Reliquiars trägt auch eine reiche Filigran-Ausschmückung mit Glas, Edelsteinen und sekundär verwendeten antiken Gemmen bei. Eine ausgezeichnete Arbeit sind ebenso Email-Bilder aus dem Alten Testament, Schmucktafeln, Säulen mit Blumenmotiven."
Soweit Dagmar Kalasova. Die heutige Sendung ist voll von Fragen: Wer war der heilige Maurus? Was ist ein Reliquiar? Wie gelangte das Reliquiar des hl. Maurus aus Belgien nach Böhmen? Wie wurde es entdeckt? Einige der Fragen sind leichter, einige schwieriger zu beantworten. Von dem Heiligen namens Maurus wissen wir beispielsweise nur sehr, sehr wenig: Er war ein Priester und Märtyrer. Er taufte einige Dutzend Christen und wurde gemeinsam mit ihnen enthauptet. Dazu soll es entweder im 1. oder im 3. Jahrhundert nach Christus gekommen sein.
Reliquiare sind Behältnisse zur Aufbewahrung von heiligen Reliquien, d.h. vor allem von Skeletten, Knochen oder Knochenbruchteilen der Heiligen, die seit der frühen Christenzeit sehr verehrt wurden. Die Reliquien wurden zunächst unter dem Altar deponiert - später in prachtvollen Reliquiaren in Form von Kreuzen, Monstranzen, Medaillons usw. ausgestellt.
Der Reliquienschrein des hl. Maurus wurde im Auftrag der Familie Rumigny gefertigt. Sie besaß ein umfangreiches Herrschaftsgebiet in Belgien, auf dem, in Florennes, zu Beginn des 11. Jahrhunderts eine Benediktiner-Abtei gegründet wurde. Gérard de Rumigny, der seit 1012 das Amt des Bischofs von Cambrai bekleidete, gewann eine Reliquie des hl. Johannes des Täufers und später auch Reliquien des hl. Maurus und ließ für deren Aufbewahrung die neue Johanneskirche in Florennes errichten. Das goldene Maurus-Reliquiar stammt aber erst aus dem ersten Viertel des 13. Jahrhunderts. Es stützt sich auf die Traditionen der Kölner Goldschmiedekunst, in der Reliquiare in Form von Häuschen überliefert wurden. Im Rheinland würden wir bis heute einige ähnliche Arbeiten finden, wie etwa das Reliquiar der hl. Drei Könige in Köln am Rhein und das Reliquiar Karls des Großen in Aachen.
Im Laufe der Jahrhunderte teilte das Reliquiar das Schicksal des Klosters, das mit Übergriffen, Brandstiftung und Plünderungen zu kämpfen hatte . Nichtsdestotrotz blieb der Schatz vor einer Vernichtung bewahrt. Kurz nach der französischen Revolution, wohl nach der Schließung des Klosters, kam das Reliquiar in den Besitz der Kollegiumskirche des hl. Gengulf in Florennes, wo ihm aber keine Aufmerksamkeit geschenkt wurde, und es in der Sakristei unter alten Möbeln lag. Diesen Umstand machte sich Alfred de Beaufort zu Nutze, der es 1838 der Kirche abkaufte. Er bezahlte für das Reliquiar 2,5 Tausend Francs und ließ es auf seine eigenen Kosten, für weitere 3 Tausend Francs restaurieren. Im Jahre 1889 wurde das Kunstwerk nach Westböhmen übertragen. Warum gerade nach Westböhmen - was hat der belgische Herzog mit Betschau zu tun? Die Frage weiß Dagmar Kalasova zu beantworten:
"Die Herrschaft Betschau wurde 1813 an die belgische Adelsfamilie Beaufort-Spontin verkauft. Beaufort-Spontin war ein belgischer Gouverneur. Sie kauften die Herrschaft vor allem zu gesellschaftlichen, repräsentativen Zwecken und lebten hier eigentlich bis 1945. Da sie aber mit der faschistischen Bewegung sympathisierten und Loyalität dem Nazi-Deutschland gegenüber äußerten, wurde ihnen auf Grund der sog. Benes-Dekrete die Herrschaft konfisziert. Die Familie Beaufort-Spontin mussten nach Belgien zurückkehren. In ihrem Besitz befand sich aber ein bedeutendes Denkmal, und zwar das Reliquiar des hl. Maurus. Da sie davon ausgingen, bald wieder zurückkommen zu können, versteckten sie das Reliquiar eilends im verschütteten Teil der Kapelle in der oberen Burg. Dort lag es 40 Jahre lang im Boden, bis es ausgegraben wurde."
Eine andere Frage lag auf der Hand, als ich diesen letzten Satz von meiner Begleiterin gehört habe. Wie ist es möglich, dass der Schatz 40 Jahre lang im Boden lag, ohne gesucht zu werden? Wie ist es möglich, dass er nicht früher gefunden wurde?
"Weil das Reliquiar kaum bekannt war. Die Beaufort haben es zunächst in der Schlosskapelle ausgestellt, aber später - so sprechen die erhaltenen Dokumente - selbst versteckt und geheim gehalten."
Die ehemaligen Schlossherren haben mit Sicherheit gewusst, dass sich hier das Reliquiar befindet, und versuchten, es zu holen... Sie trugen unmittelbar dazu bei, dass es von der tschechoslowakischen Polizei gefunden wurde, die bis 1985 keine Ahnung von seiner Existenz hatte.
"Ins Rollen kam die Sache, als ein ausländischer Kaufmann, der unseren Botschafter in London besuchte, sein Interesse an dem Reliquiar deutlich machte. Durch die Hilfe des Botschafters wollte er die Genehmigung zur Ausfuhr einer Antiquität erhalten. Er wollte aber nichts Näheres verraten. Und auf Grund dieser Information begann damals die Kriminalpolizei nach der unbekannten Sache zu suchen."Man wusste nur, dass es sich um einen rechteckigen, hohlen, in den kunsthistorischen Kreisen gut bekannten Gegenstand aus Metall handelte, der einst einer kosmopolitischen Adelsfamilie gehörte, sowie dass sich der Gegenstand in einem Ort befindet, der etwa 100 Km von Nürnberg entfernt liegt. Auf diese Informationen stützte sich die Untersuchung. Am 5. November 1985 wurde der Schatz ausgegraben. Der heutige Bürgermeister von Becov, Frantisek Neuwirth, war damals dabei:
"Ich habe es miterlebt. 1985 habe ich auch schon als Bürgermeister gearbeitet. Aber auch als Gemeinderepräsentant habe ich nicht gewusst, dass etwas gefunden wurde. Es war eine Geheimaktion der Kriminalpolizei, von der ich erst nach einer Woche erfuhr."
Der Entdeckung folgte aber keinesfalls eine sofortige Ausstellung. Das Reliquiar musste 16 Jahre lang warten, bis es in seiner ursprünglichen Pracht der breiten Öffentlichkeit gezeigt wurde. Unmittelbar nach dem Fund wurde das erste Gutachten erarbeitet, das es als ein monumentales Werk der romanischen Goldschmiedekunst von einem schwierig bezifferbaren Wert bezeichnete. Die Antiquität war jedoch beträchtlich beschädigt - sie war korrodiert, hatte einen abgefaulten Boden, die Silberfiguren und -reliefs fehlten oder waren perforiert. Die Aufbewahrung in einem Banktresor hatte eine weitere Beschädigung zur Folge. Erst 1991 wurde die Erforschung und Mitte des Jahres 1993 auch eine systematische und äußerst anspruchsvolle Restaurierung des Reliquiars aufgenommen. Sie dauerte mehrere Jahre und gipfelte am 4. Mai dieses Jahres, als das Reliquiar ausgestellt und durch eine informative Exposition ergänzt wurde. Was bedeutet dieses Ereignis für die Stadt Becov? Hat sich das Leben der Petschauer Bewohner dadurch irgendwie geändert?
"Es hat sich sicher etwas geändert. Seit dem 4. Mai, als die feierliche Eröffnung unter Teilnahme einiger Minister und weiterer bekannter Persönlichkeiten stattfand, kommen mehr Besucher nach Becov. Und die hiesigen Bürger haben festgestellt, dass sie daran verdienen können: es werden Häuser renoviert, Restaurants und Souvenirgeschäfte eröffnet. Seit drei Jahren gibt es hier ein Museum mit Spielwaren, historischen Motorrädern und ähnlichen Sachen. Die Stadt entwickelt sich seit etwa vier, fünf Jahren, denn bereits seit zwei Jahren wurde stets angekündigt, dass das Reliquiar ausgestellt wird und wir haben uns darauf vorbereitet."