Schriftsteller und Künstler Jiri Kolar

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Der Schriftsteller und Künstler Jiri Kolar starb am 11. August diesen Jahres in Prag. Unser heutiger Kultursalon soll ihm gewidmet sein. Durch die Sendung führen Sie Martina Zschocke und Markéta Maurova.

Kolar gehört zu den einflussreichsten und bekanntesten tschechischen Künstlern, der auch eine Generation jüngerer Schriftsteller, darunter Vaclav Havel und Jiri Grusa maßgeblich beeinflusste. Er war zweifellos eine der führenden Figuren der tschechischen Moderne und Postmoderne. Obwohl Kolar weltweit primär als bildender Künstler berühmt ist, ist sein Schaffen als Dichter im tschechischen Kontext nicht weniger wichtig. Auf die Frage wie man sich wohl an ihn erinnern wird, meint Jiri Grusa, Schriftsteller und Botschafter Tschechiens in Wien:

"Ich will nicht übertreiben, aber wenn wir für das vorige Jahrhundert vier Dichter nennen sollten, er würde ganz bestimmt unter diesen Namen..."

Jirii Kolar zählt zu den außergewöhnlichsten, innovativsten und vielseitigsten tschechischen Künstlern und gilt europaweit als Schöpfer der modernen Collage. Als er 1968 auf der documenta 4, einem internationalen Publikum vorgestellt wurde, war er längst einer der führenden Künstler Tschechiens. Seine Teilnahme an dieser documenta wurde ein großer Erfolg. Doch trotz seiner Hinwendung zur Collage in den 60er Jahren ist Kolar zeit seines Lebens Grenzgänger zwischen bildender Kunst und Literatur geblieben. Hören Sie dazu seine Frau Bela Kolarova:

"Es war sein Ziel sich nie zu wiederholen. Für ihn war alles Poesie, einschließlich seiner Werke mit physischen Objekten. Weil jedes Objekt eine Geschichte hat. Eine feinfühlige Person wird in der Lage sein, das wahrzunehmen."

Jiri Kolar wird am 24. September 1914 geboren und wäre in diesem Jahr 88 Jahre alt geworden. Er wächst in Kladno in der Nähe von Prag auf, wo er bis 1945 lebt. Nach dem Schulabschluss macht er eine Lehre als Tischler und übt in Folge eine Vielzahl von Berufen aus, wie Kellner, Nachtwächter und Bäckergehilfe. 1934 entstehen erste Collagen und bereits drei Jahre später hat er eine Einzelausstellung im Mozarteum in Prag. 1942, während er noch in Kladno lebt, wird er Gründungsmitglied der Gruppe 42, der u.a. auch Bohumil Hrabal angehört. Die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe sollte zu einem wichtigen Meilenstein in seiner Entwicklung zum Schriftsteller werden. Dazu seine Frau:

"Als er die Gruppe 42 mitbegründete, hatte er gerade mit der Poesie begonnen. Es war sehr wichtig für ihn, dass Chalupecky das Ganze begleitete und sie so Fortschritte machten. Chalupecky stellte ihnen Aufgaben, wie z.B. ein Gedicht über eine Brücke zu schreiben. Ich bin sicher, man kann diese Arbeiten in ihren Werken erkennen. Und dann gab es da auch Debatten und die Möglichkeit andere Dichter kennen zu lernen. Das war sehr einflussreich."

1945 zieht Jiri Kolar nach Prag und wird Verlagsredakteur. Wenige Jahre später entsteht sein Tagebuch- und Gedichtband "Die Leber des Prometheus". Aufgrund dieses Bandes erhält er Publikationsverbot, wird als Verlagsredakteur entlassen und verbringt neun Monate im Gefängnis. Trotz der schwierigen Umstände gibt Kolar seine Kunst nicht auf.

In den 60er Jahren wechselt er definitiv von der Literatur zur Collage. In der Zeit des Überganges zwischen beiden Metiers von 1959-1963 beginnt er mit "evidenter Poesie". Es erfolgt die Hinwendung von der Schrift zum Bild: seine Gedichte setzen sich nun weniger aus Worten, sondern aus Formen und Mustern zusammen. Es entstehen stille Gedichte, Objektgedichte und erste Assemblagen. Auf die Frage, warum Jiri Kolar letztendlich vom Schreiben zur Collage wechselte, meint seine Frau:

"Seine ersten künstlerischen Versuche, waren genau genommen Collagen. Das war in den dreißiger Jahren. Dann schrieb er Gedichte. Und dann ich denke, es war zu Beginn der sechziger Jahre, hörte er auf zu schreiben. Er sagte, es wäre unmöglich für ihn, beides zu machen. Und er blieb seitdem bei den Collagen. Seine letzten literarischen Werke waren zwei Theaterstücke."

1963 wird Kolar Gründungsmitglied und führender Kopf der Künstlergruppe Krizovatka (Kreuzung). Aus dieser Arbeit von Krizovatka entstand 1968 eine Ausstellung in der Manes Galerie mit dem Titel "Nova citlivost" - "Neue Sensitivität", die jedoch beim Einmarsch der Russen in Prag geschlossen wird. Ab Ende der 60er Jahre darf Kolar auch als bildender Künstler nicht mehr ausstellen. Doch er arbeitet weiter und wird zu einem Modus vivendi der Prager Kunstszene. Bohumil Hrabal erfand das schöne Wortspiel: Postmoderne-Ostmoderne und behauptete, Kolar hätte mit einem einzigen Strich die damalige Provinzialität Böhmens überwunden, indem er als erster die westliche Postmoderne zu einer Ostmoderne machte. Der Schriftsteller Jiri Grusa, der Kolar insbesondere wegen seines Mutes und seiner Kompromisslosigkeit in künstlerischen Dingen schätzt, unterstreicht das:

"In diesem Sinne war Kolar einer, der diese Selbstprovinzialisierung nach 68 auch überwunden hat. Das war eine fürchterliche Zeit, die vielleicht niemand versteht, der nicht in einer kleinen literatursprachlich, beschränkt oder auf ein bestimmtes Territorium erlebt hat, nicht immer verstehen kann.

Mitten in einer Phase internationaler Anerkennung hat Jiri Kolar im Jahr 1970 einen ersten schweren Schlaganfall. 1977 spitzt sich seine ohnehin prekäre Situation zu: Er hat es als einer der wenigen Künstler seiner Heimat gewagt, seine Unterschrift unter die Charta 77 zu setzen. Nach einem Stipendienaufenthalt 1980 in Berlin geht Kolar nach Paris und wird dafür in Abwesenheit zu einem Jahr Gefängnis verurteilt und sein Besitz konfisziert. Daraufhin beschließt er endgültig in Paris zu bleiben, erhält Unterstützung durch das Centre Pompidou und 1984 die französische Staatsbürgerschaft. Seine Frau lässt man erst Jahre später ausreisen. In seiner Heimat darf er bis 1990 weder publizieren noch ausstellen.

1981 erfolgt eine umfassende Ausstellung von Kolars Werken im Guggenheim-Museum in New York. Auf die Frage wie sich seine Kunst entwickelt habe und welche Einflüsse es gab, antwortet Bela Kolarova:

"Ich nehmen an hauptsächlich seine Liebe zur Kunst. Er konnte nicht leben ohne Kunst. Kaum ein Tag verging, an dem er nicht ein Kunstwerk gesehen hätte, falls doch war er sehr unglücklich. Es war sehr schwer mit ihm im Urlaub raus zu fahren, weil er die Kunst so sehr vermisste. Wir verbrachten den Großteil unserer Ferien in Galerien. Aber einmal habe ich ihn dazu überredet, mit mir für eine Woche ans Meer zu fahren, das war schön."

"Ich glaube", sagte Jiri Kolar einmal, "dass jeder schöpferisch Tätige eines Tages nolens volens versuchen muss, das herbeizuführen, was man einen Umsprung nennt."

In seinem eigenen Leben und in seiner Kunst hat er diesen Satz befolgt und verschiedene Umsprünge herbeigeführt: vom Zimmermann zum Poeten und als Worte ihm nicht mehr ausreichend erschienen, ging er über zu Bildern und Objekten. Er zog von Prag nach Paris und zurück. Zeitlebens hat er verschiedene Rollen ausgefüllt: Dichter, Kritiker, Experimentator und Ermutiger. Doch im wesentlichen ist Kolar Erzähler geblieben, der die Gegenstände und Ereignisse des Alltages und der Kunst in andere, neue Zusammenhänge brachte. Dabei schuf Kolar in der Zeit seines Lebens ein gewaltiges Werk, was der Öffentlichkeit - insbesondere was seine Texte betrifft - bisher leider nur teilweise zugänglich ist. Kolar passt zeit seines Lebens in keine Schublade. Auch die Frage, ob er nun bedeutender als Dichter oder als Künstler gewesen sei, ist für Jiri Grusa eine Frage des Kontextes:

"Jaja, also jetzt, jetzt...Das war wieder Grusa, also für mich natürlich, weil ich aus der Sprache heraus. Das sind zwei Perspektiven, wenn sie mich also als tschechischen Autor auf diesem Platz fragen, dann kommt das immer diese Perspektive. Und wenn sie mich also in Paris antreffen würden, dann wäre das also der Kolar der bildenden Kunst und das bleibt schon für ewig so."

Das gewaltige Oeuvre Kolars ist nicht verwunderlich, hat er doch sein ganzes Leben über viel gearbeitet. Auf die Frage nach seinem Arbeitsstil meint seine Frau:

"Er arbeitete sehr viel. Normalerweise verließ er morgens das Haus und ging zum Arbeiten in sein Atelier. Er hatte ein Atelier hier in Prag und in Paris. Er stand nicht besonders zeitig auf, aber um acht oder neun saß er an seiner Arbeit. Und er kam relativ spät zurück. Tagsüber ging er oft in einem Café vorbei, was ja eine bekannte Tatsache ist."

Gewöhnlich ging er jeden Tag - außer an Sonntagen - ins Café Slavia, um sich mit seinen Freunden zu treffen. In Paris behielt er einen ähnlichen Lebensstil bis Mitte der 90er Jahre bei. Dort hörte er häufig bereits gegen 5 oder 6 auf zu arbeiten und ging dann zu Ausstellungen oder Vernissagen. Für den Schriftsteller und Diplomaten Jiri Grusa war Kolar persönlich von großer Bedeutung. Seine erste Reise nach der Ausbürgerung ging nach Paris, wo er Kolar und Kundera besuchte. Über diesen Besuch berichtet er:

"Und für mich war ein Satz sehr wichtig, damals in Paris, das war, wenn ich mich nicht irre 82, ja 82, das sind zwanzig Jahre ja, und er sagte, ich fragte: "Wollen Sie jetzt auch ein bisschen Französisch schreiben?". "Die Zeit habe ich nicht mehr", sagte er damals. "Ich konzentriere mich auf diese...". Und das war meine Frage, weil ich nicht diese Zweibeinigkeit hatte wie er, das heißt mal Collagen, mal was schreiben, für mich war äußerst wichtig, mich außerhalb des Landes auch, sagen wir mich Deutsch äußern zu können. Das war für ihn nicht der Fall, aufgrund dieser Tatsache, dass er schon selber sich so profilierte. Und er hat mir auch gesagt, die Zeit wird immer knapper. Und ich habe das damals nicht verstanden. Erst jetzt nach so vielen Jahren kann ich den Gedanken nachvollziehen. Und man soll sich eigentlich auf das konzentrieren, was man beherrscht. Das heißt, man soll nicht hin und herlaufen, mal dies und mal jenes. Und er war in den letzten zwanzig Jahren wirklich äußerst konzentriert. Und in dem Sinne kehre ich zu Ihrer ersten Frage zurück, also ich würde ihn also als - außerhalb des tschechischen Kontextes - eindeutig als einen wichtigen bildenden Künstler des 20. Jahrhunderts nennen."

Wer sich eingehender mit Jiri Kolar beschäftigen möchte, dem sei das Deutsche Theaterfestival im November in Prag empfohlen. In diesem Zusammenhang bereitet Jiri Grusa momentan einen Abend über Kolar vor, für den er drei seiner Gedichte ins Deutsche übersetzt. Voraussichtlich wird er auch Teile aus den Gesprächen mit ihm in Paris lesen.

Derzeit läuft auch eine Ausstellung mit einem Teil der Werke von Jiri Kolar in Dijon.

Nach Angaben seiner Frau hat Jiri Kolar kurz vor seinem Tod noch sein Tagebuch fortgesetzt, was seine Angewohnheit seit 1946 war. Wenn alles gut geht, das heißt genügend Geld zur Verfügung steht, werden diese Tagebücher in diesem Monat im Paseka-Verlag herausgegeben.

Auf die Frage, was Jiri Grusa am meisten an Kolar vermissen wird, antwortet er ohne zu Zögern:

"Also sein Lächeln."