Sportreport
Ahoi und herzlich willkommen zum Sportreport von Radio Prag. Am Mikrofon begrüßen Sie Gerald Schubert und Lothar Martin. In Deutschland sind sie ganz groß in Mode gekommen und begeistern die reinen Sportfans ebenso wie die High Society - große Boxabende, bei denen es um Titel, Ehre, Show und Moneten geht. Angefangen vom einstigen "Gentleman" Henry Maske über Dariusz Michalczewski und Sven Ottke bis hin zu den ukrainischen Klitschko-Brüdern, die Mischung aus Event, Sport und Vergnügen kommt an bei den Zuschauern am Ring oder den TV-Geräten in Deutschland. In der Tschechischen Republik hingegen wird Boxen weiterhin zum Großteil fast ausschließlich als Amateursport betrieben. Unter welchen Voraussetzungen und mit welchem Erfolg, das wollen wir in unserer heutigen Sendung einmal beleuchten. Und Sie, liebe Hörer, sind hoffentlich dabei.
"Den professionellen Boxsport gibt es auch in der Tschechischen Republik, aber gegenwärtig wird er bei uns nur von durchschnittlichen und unterdurchschnittlichen Akteuren präsentiert. Wenn man sich via Satellit im Fernsehen die tschechischen Boxer anschaut, die in Deutschland oder Österreich starten, dann ist das keine gute Repräsentation, die dort stattfindet."
Sie hörten das vernichtende Urteil von Zdenek Cmíral, einem langjährigen anerkannten Boxschiedsrichter aus Tschechien, der heute als Sekretär für den Sportklub Boxing Prag tätig ist. Dort ist er einer von den Funktionären, die dem tschechischen Boxsport seit Jahren die Treue halten und die mit zahlreichen ehrenamtlichen Helfern bemüht sind, dessen Akzeptanz zu erhalten bzw. zu erhöhen. Was das Profiboxen anbelangt, so gibt es dafür in Tschechien, so Cmíral, nicht die entsprechenden Promoter, die Kämpfe und Sportler gut vermarkten, anstatt die Boxer, wie derzeit üblich, gegen ungleiche Gegner als Fallobst zu verheizen. Daher gilt Cmírals ganze Liebe auch dem Amateurboxsport, der in Tschechien auch schon auf einige großartige Erfolge zurückblicken kann. Dazu gehören die Olympiasiege von Jan Zachara 1952 im Feder- und von Bohumil Nemecek 1960 im Halbweltergewicht sowie die bei den letzten Sommerspielen 2000 in Sydney von Rudolf Kraj gewonnene Silbermedaille.
Ganz oben auf der Popularitätsliste des tschechischen Boxsports aber steht der Name eines Sportlers, der 1948 nicht nur als erster Faustkämpfer mit Olympiagold in die damals tschechoslowakische Heimat zurückkehrte, sondern der sich vor allem durch seinen eleganten Boxstil einen großen Namen machte. Die Rede ist von Julius Torma, dem einstigen Weltergewichtler, der 1922 als Sohn slowakischer Eltern in Budapest geboren wurde und der in seiner sportlichen Karriere nicht weniger als 14 Mal ungarischer Meister, 10 Mal tschechoslowakischer Meister und 1949 auch Europameister wurde. Der ehemalige AIBA-Präsident Russell bezeichnete Torma als den "bemerkenswertesten Boxer seiner Zeit", Torma selbst seinen Sport als "das geistvolle Fechten mit den Fäusten".
Aus diesen Äußerungen geht bereits hervor, dass Torma kein "Hau-drauf" oder K.o-Schläger war, sondern einer, der seine Gegner respektierte und der seinen Sport über alles liebte. Als Boxer und auch als späterer Trainer, vor allem aber als Mensch wurde Torma von seinen Fans und Freunden sehr geachtet und geschätzt. Deshalb hatten einige von ihnen nach dessen Tod vor elf Jahren beschlossen, sein Andenken zu wahren. In welcher Form, dazu sagte Zdenek Cmíral:
"Julius Torma war eine bedeutende Persönlichkeit des tschechoslowakischen und später auch des tschechischen Boxsports, wo er als langjähriger Trainer beim ehemaligen Klub TJ Praga und bei US Prag fungierte. Als er verstarb, kam jemand auf die Idee, sein Andenken am besten mit einem nach ihm benannten Turnier in Ehren zu halten. Frau Tormová, deren Erlaubnis wir dafür brauchten, war von der Idee sehr angetan, und seit dieser Zeit gibt es dieses Turnier."
Dieses internationale Turnier ist jungen Nachwuchsboxern vorbehalten und wird als Julius-Torma-Memorial an diesem Wochenende zum bereits 11. Mal in Prag veranstaltet. In den Ring steigen vielversprechende Talente aus Bayern, Österreich, der Slowakei, Polen, Norwegen, Dänemark und selbstverständlich aus der Tschechischen Republik. Die Turniersieger werden in acht Kategorien ermittelt, und zwar vom Bantamgewicht (bis 54 kg) bis zum Halbschwergewicht (bis 81 kg). Dabei wird nach den Halbfinals, die am Samstag bestritten werden, am Sonntag neben den Finals auch der Fight um Platz 3 in den jeweiligen Gewichtsklassen ausgetragen. Der gastgebende SK Boxing Prag kommt für Unterkunft und Verpflegung der Turnierteilnehmer auf, die wiederum die An- und Abreisekosten selbst übernehmen müssen. Auf meine Frage, welche inzwischen namhaften Boxer einst aus diesem Turnier hervorgegangen sind und welche Länder bisher am erfolgreichsten waren, dazu erwiderte mir Zdenek Cmíral:
"Also, die erste Frage betreffend, da muss vorderrangig der olympische Silbermedaillengewinner von Sydney, Rudolf Kraj, genannt werden, der am zweiten Jahrgang des Turniers teilgenommen hat. Und was die erfolgreichsten Nationen anbelangt, da ist Polen an erster Stelle zu nennen. In den letzten zwei Jahren waren aber auch die Deutschen ziemlich erfolgreich. Sie werden stets vertreten von einer Auswahl aus Bayern, wo der Boxsport sehr populär ist. Ihre Faustkämpfer haben jedoch überwiegend russische Namen, denn viele der einst in Russland lebenden Boxer haben inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Und das sind alles sehr gute Boxer."
Von Zdenek Cmíral erfahre ich des weiteren, dass der SK Boxing Prag vor allem zur Boxabteilung des 1. FC Nürnberg sehr gute Beziehungen pflegt. Neben den Polen, Bayern und Slowaken sind natürlich die gastgebenden Tschechen regelmäßig bei diesem Turnier vertreten. Für die hoffnungsvollen Junioren aus Böhmen, Mähren und Schlesien dient dieses Turnier, so Cmíral, als willkommener internationaler Vergleich, der ihnen hilft, sich weiter zu entwickeln. Wie die Nachwuchsarbeit dabei in Tschechien konkret organisiert ist, dies erläutert uns Marek Simák von der Tschechischen Box-Assoziation:
"In Tschechien gibt es vier Jugendsportzentren, und zwar in Prag, Ústí nad Labem/Aussig, Havírov und Brno/Brünn. Alle diese vier Zentren funktionieren ausgezeichnet, da sie durch staatliche Subventionen finanziell abgesichert sind. Für die jungen Boxer werden einige internationale Turniere und Trainingslager organisiert, so dass man sagen kann, das Geld wird nicht zum Fenster rausgeworfen. In jedem Zentrum trainieren 12 bis 17 talentierte Boxer, die aus dem jeweiligen Umkreis herangezogen wurden. Also haben wir über 60 junge Boxer in der Hinterhand, für die das Julius-Torma-Memorial stets ein großer Anreiz ist."
Die meisten von ihnen schaffen schnell den Sprung in die tschechische Extraliga, in der fünf Mannschaften an den Start gehen und die ein guter Übergang vom Junioren- in den Seniorenbereich sei, ergänzte Simák. Die Allerbesten dürfen sogar in der Interliga ran, in der zwei Boxstaffeln aus Tschechien, zwei aus der Slowakei und eine aus Budapest mehrfach aufeinander treffen. In Tschechien ist man sich sicher, gute Nachwuchsboxer zu haben, von denen einige durchaus in die Fußstapfen der einstigen Olympiasieger treten könnten. Im Profibereich allerdings sieht es finster aus, bis, ja bis Marek Simák ein Licht aufgeht:
"Jetzt erinnere ich mich an Lukás Konecný, der für den BC Magdeburg in Deutschland startet. Er hat schon 12 Profikämpfe bestritten, alle gewonnen und ist überdies auch schon internationaler Deutscher Meister geworden. Ich hoffe, er macht weiter so, denn er hat das Potenzial dazu, um sich zumindest den Europameister-Titel bei den Profis zu holen."
Für die tschechischen Nachwuchsboxer wäre solch ein Erfolg von Lukás Konecný sicher ein weiterer Schub, um sich voran zu bringen. Das Julius-Torma-Memorial wird ihnen helfen aufzuzeigen, wo ihre Reserven liegen auf dem Weg nach oben.
Wir aber ziehen die Regler wieder runter, denn wir sind am Ende unseres heutigen Sportreports angelangt. Vom Mikrofon verabschieden sich: Gerald Schubert und Lothar Martin.