Neonherz, Gasmasken und tote Tauben- Eine vorweihnachtliche Glosse

Pražský hrad s neónovým srdcem

Gasmasken, Neonherz und tote Tauben: Prag zeigt derzeit seine surrealen Seiten. Hören Sie dazu eine Glosse von Martina Zschocke.

In Prag lebt man entweder in einer Postkarte oder in einem Kriegsfilm. Zu Zeiten der Flut und des Natogipfels eher in einem Kriegsfilm. Vielleicht ist es aber auch ein versprengtes Spätwerk der Surrealisten. Kaum sind die Folgen der Flut halbwegs überwunden, schon bricht der nächste Ausnahmezustand aus. Wieder sind Hubschrauber über der Stadt zu sehen und verschiedene Straßen von Polizei abgeriegelt. Hundertschaften von Polizei und Armee bestimmen das Straßenbild, von den etwas nebligen Secret Service Leuten mal ganz zu schweigen. Zeitungen und Rundfunksender widmen sich nahezu ausschließlich einem Thema - nur war es diesmal ein anderes.

Wohnt man zufällig auf der Kleinseite, dann lebt man tatsächlich wie auf einer Postkarte. Geht man die Karlova-Str. hinunter, steht man bereits auf der Karlsbrücke, von der man jetzt einen wundervollen Blick auf - jawohl! - ein rotblinkendes Neonherz hat. Leider ist dieser Schrecken der Burgkulisse nicht mal bei dichtestem Prager Novembernieselregen zu übersehen. Prag in der Dekoration als Weihnachtsgeschenk oder als Puff. Plötzlich kann einen wirklich realistische Angst vor Terroranschlägen ergreifen, stellt das doch fast einen Fall fürs ästhetische Kommando dar. Begibt man sich auf den Rückweg zur Kleinseite, sieht man linkerhand den Biomarket, dessen Namen sich niemand recht erklären kann, da er doch ganz normale Lebensmittel verkauft und eher einem realsozialistischen Laden gleicht, als einem Market und schon gar nicht Bio. Aber bizarrerweise kann man dort seit der Flut Gasmasken kaufen. Jetzt - wahrscheinlich aus Anlass des Natogipfels - ist dafür sogar ein ganzes Schaufenster geräumt worden. GASMASKS wird über die gesamte Fläche der Scheibe angepriesen und darunter liegen diese grüngrauen Ungetüme. Keine Ahnung ob sich die Paranoia der Leute in Gasmaskenabsatz bemerkbar macht oder ob es einfach eine weitere originelle Dekoration sein soll.

Diese Gasmasken, die Karlsbrücke und das riesige Neonherz: für welchen Film lässt sich so eine Kulisse brauchen? Vielleicht wirklich am ehesten für so einen Surrealistenreißer. Bunuel hätte sicher seine Freude daran, zumal in letzter Zeit auf vielen Bürgersteigen der Stadt aus unerfindlichen Gründen tote Tauben liegen. Noch so eine pittoreske Kombination: romantische Laternen und darunter tote Tauben. Ging es bei diesem Natogipfel nicht auch um einen Krieg gegen Irak? Und dann tote Tauben. Picassos Friedenssymbole machen keinen guten Eindruck. Kann dieses Neonherz da noch etwas retten oder macht es alles nur noch schlimmer? Vielleicht kann man ja ersatzweise eine der vielen flutgestählten Moldaumöwen zu Friedenssymbolen umfunktionieren.

Nun gut, der Natogipfel ist überstanden, Gasmasken und Neonherz bleiben uns wohl erhalten, wie es aussieht. Fragt sich nur noch, welche Aufregungen Prag in der Vorweihnachtszeit bereit hält. Oder ist dann etwa alles Friede, Freude, Neonherz? Das wäre ja schon fast schade, um einen Film, der so schön bizarr begonnen hat...