Golem in der jüdischen Tradition und deutschböhmischen Literatur

Golem

Der Golem. Welcher Besucher der tschechischen Hauptstadt würde nicht nach den Spuren dieser mythischen Gestalt in Prag suchen. Der mystischen Figur "Golem" gilt auch unser Kultursalon, den Markéta Maurová vorbereitet hat.

Rabbi Löw hat einst eine Menschenfigur aus Lehm geformt und Golem genannt. Er schob dem Golem einen Zettel mit Gottes Namen in den Mund, und die Figur erwachte zum Leben. Golem gehorchte seinem Herrn aufs Wort und führte jeden Befehl aus. Am Freitag, bevor der Sabbat begann, musste Rabbi Löw jedoch den Gottesnamen entfernen, damit der Golem nicht rasend wird. Lange Zeit ging alles gut, bis der Rabbiner eines Freitags vergaß, den Zettel aus dem Mund des stummen Dieners zu entfernen. Als der Sabbat anbrach, begann der Golem sein Zerstörungswerk. Rabbi Löw wurde gerufen und entnahm dem rasenden Wesen den Zettel und dadurch auch das Leben. Er gab es ihm nie mehr zurück und der Golem zerfiel mit der Zeit zu Staub.

Diese Legende ist heute die meistbekannte Sage über den Golem. Doch die Wurzeln dieser Figur liegen in der jüdischen Tradition nicht erst bei dem Prager Rabbiner der Barockzeit, sondern wesentlich tiefer in der Vergangenheit. Der Problematik des Golem-Motivs in Religion, Wissenschaft und Kunst, war ein Seminar gewidmet, das im Herbst dieses Jahres im Rahmen des Projekts "Golem 2002/5763" im Bildungs- und Kulturzentrum des Jüdischen Museums in Prag veranstaltet wurde. Einen der interessantesten Vorträge hielt dort Prof. Vladimir Sadek:

"Von der Schöpfung eines künstlichen Wesens liest man schon in den Texten des Babylonischen Talmuds. Im biblischen Text des Alten Testament findet man das Wort Golem nur einmal. Es bezeichnete ursprünglich etwas Unfertiges, Unvollendetes, also etwas wie einen Embryo. Das ist die erste Bedeutung. Im Talmudtraktat "Pirke Awot" ("Sprüche der Väter") bezeichnet dieses Wort einen unweisen, asozialen Menschen, der das Gegenteil des weisen Gelehrten ist. Das ist die zweite Bedeutung. Und beginnend mit der Mystikerbewegung des mittelalterlichen Chassidismus bezeichnet dieses Wort ein künstliches Wesen, das durch das Streben eines Mystikers mit Hilfe des Gottesnamens geschaffen wurde."

Diese chassidische Bewegung hat uns auch die ersten Anweisungen hinterlassen, wie der Golem zu erschaffen ist.

"Nach diesen Anweisungen sollte Golem nach einer gehörigen und sicher sehr langen mystischen Vorbereitung, d.h. Askese, Fasten, Reinigung, geschaffen werden. Und zwar aus einem reinen, unberührten Berglehm vermischt mit reinem, strömendem Wasser. Die Teilnehmer des Ritus schritten dann um seine Figur, die zum Teil in den Boden eingelassen war, herum und trugen dabei die verschiedene Varianten des Gottesnamens, hebräische Silben und Wörter, vor. Dies sollte letztendlich zu einem ekstatischen Zustand führen, während dessen der Golem belebt wurde."

Die Schöpfung Golems hängt ursprünglich mit einem mystisch-ekstatischen Erlebnis zusammen, dessen Sinn gerade in diesem Erlebnis selbst beruhte.

"In der weiteren Entwicklung wurde diese ursprüngliche, mystisch-ekstatische Bedeutung gewissermaßen abgeschwächt. Die Golem-Tradition nahm Züge der Folklore an. Die Schöpfung Golems wurde als ein zweckgebundenes Streben nach dem Schaffen eines Dieners geschildert."

Die Golem-Tradition zirkulierte im 16., 17. und 18. Jahrhundert in verschiedenen jüdischen Gemeinden und war mal mit einem, mal mit einem anderen jüdischen Gelehrten oder Mystiker verbunden. Mitte des 16. Jahrhunderts konzentrierte sich diese Golem-Tradition auf die heute nur noch Wenigen bekannte Person Eliahu Baal Shem aus dem polnischen Chelm. Diese Chelmer Legende ist der Prager Sage schon sehr ähnlich. In beiden ist von wesentlicher Bedeutung, dass sich der Golem den Händen seines Schöpfers entzieht und sich gegen ihn erhebt.

"Letztendlich hat sich die Golem-Tradition um den Prager Rabbiner Jehuda Löw ben Bezalel konzentriert, der als Rabbi Löw allgemein bekannt ist. In dieser Verbindung verdrängte diese letzte, die Prager Version alle vorhergehenden und wurde zur bisher endgültigen Version. Wahrscheinlich dank des Kolorits des Prager Gettos, dank der Verbindung mit der Altneu-Synagoge, mit dem Alten jüdischen Friedhof usw., aber auch dank der Persönlichkeit von Rabbi Löw. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass sie in der Zukunft mit jemand anderem verknüpft wird. Dies ist sozusagen ein charakteristischer Zug dieses Themas."

Das Thema "Golem" war eine Inspirationsquelle für zahlreiche Künstler. In der Literatur wurde sowohl die Sage ohne Prag und Rabbi Löw, als auch die mit Prag und Rabbi Löw verwertet. Über die letztgenannte Bearbeitung sprach Prof. Kurt Krolop.

"Da erhebt sich die Frage: wo ist der Punkt anzusetzen, wo diese Verquickung Golem - Prag - Rabbi Löw vollzogen wird? Man kann sagen, dass das etwa um 1840 geschieht, und zwar bei Autoren aus dem deutsch-böhmischen Bereich, und gerade auch bei Autoren nichtjüdischer Herkunft: Von Daniel Ufo Horn gibt es ein Stück "Der Rabbi von Prag", das 1837 verboten worden ist, aber 1842 in einer gleichnamigen Erzählung erschienen ist, wo dieses Motiv schon auftaucht. Allerdings ist der Golem dort mit einem Uhrwerk im Kopf versehen. Dagegen ist die geläufige Version, Golem plus Prag plus Rabbi Löw, ebenfalls bei einem Autor und Publizisten aus dem Prager Bereich, Franz Klutschak, festzustellen, der Herausgeber der Zeitschrift "Bohemia" war. Und von Klutschak gibt es in der Monatsschrift "Panorama des Universums", erschienen 1841in Prag, eine Geschichte namens "Der Golam und Rabbi Löw" (nicht Golem sondern Golam)."

Einem breiteren Publikum wurde die Sage aber erst durch eine Geschichtensammlung bekannt, die den Namen "Sippurim" trug. Die Tradition wurde inzwischen weiter fortgesetzt.

"Die Weiterführung dieses Motivs finden wir dann bei deutschsprachigen Autoren aus den böhmischen Ländern wie Hugo Salus, Detlev von Liliencron bis zu Oskar Wiener in den "Böhmischen Sagen" von 1919. Und aus dieser Generation, man könnte ja von der neuen romantischen Generation sprechen, ist dann auch Gustav Meyrink hervorgegangen, bei dem diese Golem-Sage in Verbindung mit dem hohen Rabbi Löw im eigentlichen pragmatischen Gefüge keine beherrschende Rolle spielt, sondern nur in einem der Kapitel erzählt wird. Der Golem von Gustav Meyrink hat einen Reisenerfolg gehabt: er ist bis zum Anfang der 20er Jahre auf eine Auflage von etwa 250 Exemplaren gekommen, was für die damalige Zeit eine ungeheuere Zahl war. Übrigens: bei der führenden tschechischen Kritik ist er auf harsche und scharfe Ablehnung gestoßen.

Es hat auch in der späteren Zeit immer wieder einmal Erwähnungen oder Anspielungen auf das Golem-Motiv gegeben, es hat auch noch einzelne Texte gegeben, aber das sind nur vereinzelte Dinge. Zusammengefasst hat diese Tradition, eben auch zusammen mit der tschechischen und jüdischen, bekanntlich Rippellino in seiner "Praga Magica" von 1973. Und etwas polemisch dagegen abgesetzt hat sich Peter Demetz in "Prague in Black and Gold" ("Prag in Schwarz und Gold"), 1997-98. Damit will ich es genug sein lassen mit diesem Überblick über die sehr reiche Palette der Golem-Thematik in der deutschen Literatur, bei der abzuwarten bleibt, ob sie in nächster Zeit eine Wiederbelebung erfahren wird."

Und damit lassen auch wir es genug sein. In der zuletzt genannten Literatur von Ripellino und Demetz finden Sie mehr zu diesem Thema. Für heute verabschieden sich von Ihnen Gerald Schubert und Markéta Maurová.