"Europa und Europäer" im Buchverlag Fortuna Print

Europa und Europäer

Sie sind Ihnen wohl bekannt: die großen, schweren, dicken, bunten Chroniken, mit denen das Buchimperium Bertelsmann den deutschsprachigen Markt versorgt. Diese Bücher haben auch eine tschechische Fassung - dafür sorgt der Prager Buchverlag Fortuna Print. Wir wollen Ihnen heute diesen Verlag vorstellen und Sie anschließend zum Nachdenken über den kurz vor Weihnachten erschienenen Buchtitel von Fortuna Print einladen, der Europa, den Europäern und den Vereinigungsversuchen in der Geschichte des Kontinents gilt. Der heutige Kultursalon wurde von Markéta Maurová vorbereitet, am Mikrophon ist mit ihr Gerald Schubert.

Dutzende Buchverlage liefern in Tschechien ihre Bücher in die Regale der hiesigen Buchhandlungen. Die Produkte von Fortuna Print lassen sich jedoch auch in dieser Menge nicht übersehen: Sie ziehen durch ihre Größe sofort die Aufmerksamkeit auf sich. Über die Politik seines Verlagshauses spricht der Chefredakteur Dusan Kubalek:

"Der Buchverlag Fortuna Print hat gewissermaßen zwei Bereiche. In einer Linie gibt er Bücher heraus, die den Lesern als umfangreiche Folianten bekannt sind. Es handelt sich um Chroniken, wie etwa die Chronik der Menschheit, Chronik der böhmischen Länder, Chronik des 20. Jahrhunderts, Chronik der Medizin. Es sind dies enzyklopädische Werke, die auf Grundlage ihrer chronologischen Ordnungsreihe eine Menge von Fakten aus dem jeweiligen Bereich zusammenfassen. Daneben geben wir zahlreiche Kinderbücher, Gebrauchsbücher und andere Bücher heraus, die das Gewicht der enzyklopädischen Literatur wieder ausgleichen."

Der zuletzt erschienene Titel des Verlags heißt "Evropa a Evropané" d.h. "Europa und Europäer". Es handelt sich um die Übersetzung eines Buches des französischen Historikers Jean Baptiste Durosell, das der Geschichte europäischer Völker gewidmet ist.

"Es handelt sich um keine Geschichten einzelner Nationen, sondern um eine zusammenfassende Geschichte Europas. Diese wird jedoch nicht auf eine klassische Art und Weise erzählt, sondern aus einer vereinigenden Perspektive: Der Autor Jean Baptiste Durossel sucht in der Geschichte aller Nationen und Staaten Europas jene Momente, die Europa vereinigen, Strömungen, die allen Europäern gemein sind. Und umgekehrt - er widmet sich auch den Momenten, wo Europa an den Konflikten zwischen einzelnen, nationalistisch geprägten Staaten zerbrach. Dieses Buch ist daher heute, in einer Zeit, in der bei uns hitzige Debatten darüber geführt werden, ob bzw. warum wir der Europäischen Union beitreten sollen, ein sehr wertvoller und wohl auch bedeutender Beitrag zu dieser Diskussion."

Das Buch wurde kurz vor Weihanachten im Waldstein-Palais, dem Sitz des tschechischen Senats feierlich präsentiert. Der Vereinigungsprozess ist heutzutage die grundlegende Tendenz in Europa: Gab es in der Vergangenheit Ansätze und Bestrebungen, an die man anknüpfen kann? Existierte irgendwann einmal ein gemeinsames europäisches Bewusstsein, fragte ich bei dieser Gelegenheit den Senatschef Petr Pithart.

"Das ist eine gute Frage. Ich habe schon mehrmals von ziemlich bedeutenden Leuten gehört: Was denn für eine Vereinigung? Es handelt sich doch um eine Wiedervereinigung. Auf der anderen Seite dagegen hört man, Europa sei nie vereinigt gewesen. Ja, es gab hier einzelne Versuche, die nicht ohne Bedeutung waren. Wir hier in Böhmen und Mähren, haben die besten Erinnerungen an eine dieser Episoden, wenn man es so sagen kann, und zwar an die Zeit Karls IV., des Kaisers des Römischen Reiches. Das war einer der wichtigen Ansätze."

Der Senatsvorsitzende hat außerdem auf eine interessante Forschungsarbeit hingewiesen:

"Ein Kollege von mir, der Senator Mezihorak, hat kürzlich Porträts von Persönlichkeiten gesammelt, die in der Geschichte nach der Vereinigung gestrebt hatten. Ich war überrascht, dass diese Sammlung acht Bewohner der böhmischen Länder beinhaltet. Inklusive solcher Leute wie Coudenhove-Calergi aus dem westböhmischen Pobezovice, mit dem die immer noch lebendige Paneuropa-Bewegung verbunden ist: Im Sinne seiner geographischen Herkunft war er sicher ein Böhme. Es gab bei uns - umgerechnet auf die Bevölkerungszahl - wohl mehr solche Leute, als anderswo. Wir haben den Bedarf, in einem größeren, sichereren Ganzen zu leben, stärker gespürt. Man kann sich darüber nicht wundern. Wir waren in Mitteleuropa immer eine Kreuzung, ein Beet, das man betreten und bestampft hat. Es gibt hier also einzelne Ansätze, die respektabel und keinesfalls kurzatmig sind, aber das, was Europa heute tut, das hat natürlich keine Analogie. Es ist fantastisch und ungeheuer kompliziert."

Mit Petr Pithart habe ich auch darüber gesprochen, was den Staaten und Völkern Europas in der Geschichte gemeinsam war:

"Darüber habe ich wenig Zweifel: Es war das Christentum und auch die Erinnerung an die Antike. Allerdings strebten die Europäer dabei immer danach, dass die weltliche und kirchliche Macht nicht ein und das selbe sind. Sie bemühten sich um eine Dualität dieser Mächte. Also das Christentum mit dieser wichtigen Ergänzung ist das, was Europa am ehesten vereinigt hatte, und immer noch vereinigt. Dies gilt auch für atheistische Länder, denn wir alle haben die christlichen Prinzipien mehr oder weniger im Blut und bemühen uns mehr oder weniger, diese zu erfüllen."

Nach der Darstellung des Historikers Jean Baptiste Durossel liegen die Wurzeln der europäischen Vereinigung in der Regierungszeit Karls des Großen. Er betont allerdings, dass es diesem Herrscher nicht so sehr um einen einheitlichen europäischen Staat, sondern eher um die Wiederbelebung des Römischen Reiches ging. Es folgte eine Etappe eines Niedergangs, als die gemeinsamen europäischen Ideale nur im Zwielicht der Klosterbibliotheken überlebten. Im Laufe des Mittelalters wurde die Idee eines vereinten Europa wieder ins Leben gerufen, natürlich aber nicht im heutigen Sinne, sondern als das einheitliche christliche, katholische Europa. Eine weitere wichtige Etappe kam mit der Aufklärung. Verschiedene Philosophen begannen damals zur Kenntnis zu nehmen, dass Nationalismen ein Hindernis für die Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit darstellen. Danach folgte jedoch eine Epoche, während der Europa in Konflikten versank, die bis zum Ersten Weltkrieg führten. Obwohl nach dem Ersten Weltkrieg zahlreiche Projekte des vereinigten Europa auftauchten, überwogen leider abermals die Nationalismen. Erst die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg öffneten endgültig die Tür zu dem Prozess, den wir heute erleben. Und was für eine Rolle haben in dieser Entwicklung die böhmischen Länder gespielt? Haben sie im Geschichtsbuch eines Franzosen überhaupt Platz gefunden?

"Sie werden natürlich in den klassischen Epochen des größten Aufschwungs des böhmischen Staates erwähnt. Es wird an die Goldene Bulle erinnert; viel Raum wird dem Hussitentum gewidmet, obwohl dieses eigentlich kein Europa vereinigender Prozess war. Erwähnt wird aber auch König Georg von Podiebrad, der Urheber eines der ersten ernsthaften Projekte zur Bildung eines europäischen Ganzen. Danach wird Comenius genannt. Und die Linie zieht sich weiter bis zur Ersten Republik: Die Entstehung der Tschechoslowakei brachte zwar eine gewisse Marginalisierung Mitteleuropas, aber dadurch, dass sich die Erste Republik sehr stark zur Demokratie bekannte, trug sie zu dem Prozess bei, der sich gegen das totalitäre Wüten der Staaten in unserer Nachbarschaft stellte."

Soweit der Chefredakteur des Verlags Fortuna Print, Dusan Kubalek, zum Buch des französischen Historikers Jean Baptiste Durossel. Unseren heutigen Kultursalon möchten wir mit drei Aspekten abschließen, die nach Durossel die charakteristischen und gemeinsamen Merkmale Europas sein sollen: Akzent auf individueller Freiheit, Akzent auf Demokratie und Akzent auf der Lösung von Konflikten auf einem gewaltlosen Weg.

Und das war's im heutigen "Europa-Kultursalon". Aus dem Studio verabschieden sich von Ihnen Gerald Schubert und Markéta Maurová.