Im Spiegel der Medien - 13 Jahre Vaclav Havel

havel_fotos.jpg

Seien Sie nun, meine Damen und Herren, recht herzlich willkommen zum Medienspiegel von Radio Prag. Beherrschendes Thema ist bei uns heute das Ende der Amtszeit von Präsident Vaclav Havel an diesem Sonntag und die bislang erfolglose Suche nach einem Nachfolger im Präsidentenamt.

Ausführliche Extra-Beilagen mit Fotos aus dem politischen wie privaten Leben Vaclav Havels, Rückblicke, Kommentare, Analysen seiner Amtszeit fanden sich in den vergangen Tagen in allen maßgeblichen tschechischen Tageszeitungen. Wir wollen mit der Auswahl an Kommentaren, die wir Ihnen im folgenden präsentieren, wenn bei weitem nicht auf alle, so doch wenigstens auf einige Facetten des Politikers Vaclav Havel eingehen, wie sie in den zahlreichen Beiträgen alter Kollegen aus der Dissidentenzeit, Politiker, Künstler etc. zum Ausdruck kommen. Soviel bereits an dieser Stelle: die Bewertung des bislang einzigen postkommunistischen tschechischen Präsidenten fällt keineswegs einstimmig und widerspruchslos aus.

Die Zeitung Lidove noviny beschäftigt sich mit der Außenpolitik des tschechischen Präsidenten und notiert:

"Ein natürlicher Instinkt hat Vaclav Havel dazu geführt, sich um die Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten zu bemühen. Peinlich allerdings bleibt, dass er es nicht geschafft hat, sein Bemühen um eine Aussöhnung mit den Sudetendeutschen durchzuhalten, sondern umgekehrt im Jahr 1995 den Kampf der tschechischen Politik gegen die Sudetendeutschen gestartet hat. Was die NATO und die Europäische Union anbelangt, hat er in diesen Institutionen für die Stellung der Tschechischen Republik seinen Einfluss gebührend geltend gemacht."

Auf Havels Außenpolitik geht auch die Zeitschrift Reflex ein und fragt sich in diesem Zusammenhang nach den Gründen dafür, warum Havel zuhause in Tschechien besonders in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit bei weitem nicht mehr so populär war wie im Ausland:

"Außenpolitisch hat er sich als außergewöhnlicher Denker profiliert, der der Menschheit die Lösung vieler Probleme anbietet. Vielfach wird angemerkt, dass diese Aktivitäten zuhause nicht auf Verständnis gestoßen sind. Der Grund dafür ist wohl am ehesten darin zu suchen, dass in einer Ära, in der er alle Hände voll mit der Lösung globaler Probleme zu tun hatte, Reflexionen über die tschechische Frage umgangen hat. Dabei hat das Volk, an dessen Spitze er stand, in der Zwischenzeit den größten Umbruch in seiner jüngsten Geschichte durchgemacht."

Mit dem Verhältnis der tschechischen Bevölkerung zu ihrem langjährigen Präsidenten beschäftigt sich auch die Zeitung Hospodarske noviny:

"Die Präsidentenjahre von Vaclav Havel zu beobachten, heißt auch, das Erwachen der tschechischen Gesellschaft zu beobachten. Diese banale Tatsache bezeugen auch die Dutzende von Texten, die über Havel erschienen sind. Lange Zeit waren sie Ausdruck des Dilemmas, als wen man überhaupt Vaclav Havel wahrnehmen sollte. Die Gesellschaft war in zwei extreme Gruppen geteilt: Die eine betrachtete Havel als Halbgott, die andere als elitäre Person oder als Träumer. Jetzt verlässt Vaclav Havel die Burg und hat vor, wieder zu schreiben. Es ist anzunehmen, dass die Mehrzahl seiner ehemaligen Bürger seine abstrakten Texte nicht lesen wird. Tschechien wird ihn so paradoxerweise vielleicht noch schlechter als früher verstehen."

Die Zeitung Lidove noviny kritisiert die Position, die der ehemalige Dissident Vaclav Havel als Präsident zur kommunistischen Vergangenheit seines Landes eingenommen hat:

"Havel hat bis zu einem gewissen Maße die negativen Folgen vernachlässigt, die die mangelnde Bereitschaft mit sich bringt, sich von Anfang an mit der Vergangenheit auseinander zu setzen und das totalitäre Übel auf allen Ebenen des gesellschaftlichen und individuellen Lebens zu thematisieren. Warum haben wir eigentlich eine Revolution gemacht, wenn wir dieses Übel nicht bestraft und benannt haben?"

An diesem Sonntag scheidet Vaclav Havel nach fast dreizehn Jahren definitiv aus dem Amt, ohne dass ein Nachfolger für ihn in Sicht wäre. Am vergangenen Freitag waren beide Parlamentskammern bereits zum zweiten Mal zur Wahl eines neuen Präsidenten zusammengekommen und war diese bereits zum zweiten Mal gescheitert. Die Zeitung Lidove noviny kommentiert dies wie folgt:

"In breiteren Zusammenhängen kann man für die bislang misslungene Wahl eines neuen Staatsoberhauptes die gesamte politische Garnitur und die Medien verantwortlich machen. Obwohl Vaclav Havel mehrfach zur Diskussion über seinen Nachfolger aufgerufen hat, hat diese nicht stattgefunden. Das ist der schleppende Unfug der tschechischen öffentlichen Szene: Über Probleme spricht man erst, wenn wir bereits bis über die Ohren in ihnen stecken."

Mitverantwortlich für die wenn überhaupt oberflächliche Diskussion über den künftigen Präsidenten sind nach Meinung der Kommentatorin auch die Medien:

"Die Journalisten haben sich zwar lange bemüht, irgendwelche Namen künftiger Kandidaten herauszufinden, eine tiefergehende Diskussion darüber, welche Eigenschaften der künftige Präsident haben und welche Ansprüche er erfüllen sollte, haben sie aber nicht geführt."

Nicht erst seit den beiden gescheiterten Wahlversuchen wird in Tschechien zunehmend die Forderung nach einer Direktwahl des Präsidenten laut, für die sich im Prinzip bereits alle politischen Parteien ausgesprochen haben, die jedoch zunächst einer Verfassungsänderung bedürfte. Die Zeitung Pravo bemerkt dazu:

"Eine Direktwahl des Präsidenten ist demokratischer als eine indirekte und garantiert zudem ein Ergebnis. Die Regierung sollte daher augenblicklich an einer Verfassungsänderung arbeiten, die die Direktwahl ermöglicht. Das wäre keine überflüssige Investition, auch wenn das Parlament inzwischen den Präsidenten wählen würde."

Allerdings, so räumt der Kommentator ein:

"Viele Abgeordnete und Senatoren haben Angst, den Geist aus der Flasche zu lassen und sich dabei zu zerstreiten. Dabei steht hinter der Arbeit und Mühe einer Verfassungsänderung die stärkere Einbeziehung der Bürger in die öffentlichen Angelegenheiten."

Sie hörten einen Kommentar aus der Zeitung Pravo, mit dem wir diesen kurzen Pressespiegel beenden. Thema war die Amtszeit von Staatspräsident Vaclav Havel sowie die bislang ergebnislose Wahl seines Nachfolgers. Für Ihre Aufmerksamkeit bedanken sich Robert Schuster und Silja Schultheis.