Der "siegreiche Februar" 1948
Umsturz, Machtergreifung, unblutige Revolution, Putsch, "siegreicher Februar" - für das, was im Februar 1948 in der Tschechoslowakei vor sich ging, gibt es viele Bezeichnungen. Für welche man sich auch entscheiden mag, das Resultat bleibt das gleiche: am 25. Februar 1948 begann die uneingeschränkte Alleinherrschaft der Kommunisten in der Tschechoslowakei. Diese sollte 41 Jahre und neun Monate dauern.
Der befreiten Tschechoslowakei sass im Sommer 1945 der Schrecken der sechsjährigen Okkupation in den Gliedern. Alle waren sich einig, dass aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt werden sollte, dass sich sowohl Wirtschaftskrise als auch Okkupation nie mehr wiederholen sollten. Bereits während des Krieges hatte Exilpräsident Edvard Benes in Moskau einen Freundschaftsvertrag mit der Sowjetunion unterzeichnet. Die Annäherung an den östlichen Nachbarn begründete Benes damals wie folgt:
"Wir haben uns in der Londoner Exilregierung gesagt, dass wir, so wie wir uns in der Vergangenheit an Frankreich angelehnt haben, nun militärisch vor allem mit der Sowjetunion zusammenarbeiten werden."
Der Freundschaftsvertrag zwischen der Sowjetunion und der tschechoslowakischen Exilregierung sollte in erster Linie eine Wiederholung von München vermeiden - die westlichen Allierten hatten damals in den Augen der Tschechen versagt, nun wollte man sich auf die Sowjetunion verlassen. Und diese half tatsächlich. Im Mai 1945 zog die Rote Armee in Prag ein und beendete die sechsjährige deutsche Besatzung. Stalin wurde als Befreier gefeiert, die Rote Armee mit Blumen und offenen Armen empfangenEin weiterer Schritt war die Vertreibung der deutschen Minderheit. Es folgte die Verstaatlichung der Grossindustrie, sowie eine gross angelegte Bodenreform. Parteien, die irgendwie mit den Nationalsozialisten zusammengearbeit hatten bzw. in Verbindung gebracht werden konnten, wurden verboten. Lediglich fünf Parteien waren nun erlaubt, die politische Macht lag bei der Nationalen Front. Eine Opposition zu dieser war nicht erlaubt und gab es eigentlich auch nicht. Kaum einer protestierte. Die überwiegende Mehrheit sah in diesen Massnahmen die richtigen Schritte für die Verwirkllichung eines besseren Lebens. Die Gesellschaftsstruktur änderte sich schnell - der einstmals grosse Einfluss des Grossbürgertums auf Politik und Wirtschaft war verschwunden ebenso die ärmste Bevölkerungsschicht, die von der Bodenreform profitiert hatte. Der Glaube an den Aufbau einer gerechten, sozialen Gesellschaft war gross. Das Wort Sozialismus barg keinen Schrecken in sich, im Gegenteil. Er war das Ziel der fünf zugelassenen Parteien - allerdings unterschieden sich die konkreten Vorstellungen über dessen Realisierung. Justitzminister Prokop Drtina von der Nationalen Sozialisten Partei erläuterte in einem Rückblick seine Gedanken im Jahre 1946:
"Damals war ich überzeugt, oder ich habe zumindest gehofft, dass unser Beispiel der Kompromisse und Zusammenarbeit sich bestätigt und in der zwischen Kommunistischer Diktatur und kapitalistischer Demokratie geteilten Welt zum Vorbild werden kann."
Von der Stimmung im Lande profitierten vor allem die Kommunisten. So war es keine Überraschung, dass sie die ersten Nachkriegswahlen im Mai 1946 mit 38 Prozent der Stimmen für sich gewannen. Die Wahlen wurden allgemein als freie, demokratische anerkannt. Doch darf man nicht vergessen, dass fünf Parteien verboten waren, die bei den letzten Vorkriegswahlen über 30 Prozent der Stimmen erhalten hatten. Klement Gottwald wurde erster kommunistischer Regierungschef. Seine politische Vision erläuterte er im September 1946:
"Es ist ein neuer Typ Demokratie entstanden, den wir Volksdemokratie nennen. Damit hat sich in der Praxis erwiesen, was die marxistischen Klassiker in der Theorie vorausgesagt haben, nämlich, dass auch ein anderer Weg zum Sozialismus führen kann als der durch die Diktatur des Proletariats."
In der neuen Regierung waren erneut alle fünf, erlaubten Parteien vertreten. Eine parlamentarische Opposition gab es nicht. Von den 26 Ministern waren neun kommunistische. Diese hatten mit dem Innen- und dem Informationsministerium die wichtigsten Ministerien in der Hand. Der Polizeiapparat wurde mit Parteimitgliedern besetzt, das Informationsministerium hatte entscheidenden Einfluss auf die einzige Presseagentur und den Rundfunk und versuchte eine gewisse Pressezensur einzuführen.
Im Laufe der Monate änderte sich die Situation. Erstmals hatte sich Moskau offen in die Aussenpolitik der Tschechoslowakei eingemischt und im Sommer 1947 dessen Teilnahme am Marshallplan untersagt. Aussenminister Jan Masaryk kommentierte seine Reise nach Moskau zu diesem Thema treffend mit den Worten:
"Ich fuhr als freier Minister nach Moskau und komme als Stalins Knecht zurück."
Die Spannungen nahmen in jener Zeit innerhalb der Regierung zu. Man stritt sich über die Ausmasse der Enteignungen und Bodenreform, über Pressefreiheit und die Unterwanderung des Polizieapparats. Immer öfter ignorierten die Kommunisten Regierungsbeschlüsse. Dies führte schliesslich im Februar 1948 zur Regierungskrise. Konkreter Anlass war die Entlassung von acht Polizeibezirksleitern, die durch Kommunisten ersetzt worden waren. Die Regierungsmehrheit forderte den kommunistischen Innenminister auf, diesen Schritt rückgängig zu machen. Dieser weigerte sich. Am 20. Februar 1948 traten daraufhin die 12 Minister der Nationalen Sozialistischen Partei, der Volkspartei und der slowakischen Demokratischen Partei zurück. Die Parteien hofften, dass Präsident Benes entweder eine Beamtenregierung einsetzt oder vorzeitige Neuwahlen ausruft oder aber dass er ihren Rücktritt ablehnt, um die Kommunisten zum Einlenken zu bringen. Doch die Rechnung ging nicht auf. Warum? Nun, auf diese Frage gibt es viele Antworten:
- im Gegensatz zu den demokratischen Parteien hatten die Kommunisten längst ihre Anhänger mobilisiert. Die kommunistische Partei hatte damals rund 1,2 Millionen Mitglieder. Überall im Polizeiapparat sassen ihre Leute, in fast jedem Dorf und Städtchen waren Kommunisten in führenden Positionen der Nationalausschüsse. Entscheidend war ihr Einfluss in den Gewerkschaften.
- Während die nichtkommunistischen Parteien den Machtkampf auf parlamentarischem Boden ausführen wollten, hatten ihre Gegner diesen längst auf die Strasse verlegt. Eine Äusserung von Justitzminister Prokop Drtina vom 21. Februar zeigt, wie naiv die Politiker damals dachten.
"Für Demonstrationen ist immer noch genug Zeit. Zuerst müssen wir alle Mittel des Parlaments und der Regierung ausnutzen, erst wenn sich dann zeigt, dass das nicht reicht, können wir uns an die breiten Massen wenden" Da war es zu spät.
- Präsident Benes war vom passiven Verhalten der demokratischen Parteien enttäuscht und geriet immer mehr unter dem Druck der Kommunisten. Diese drohten mit dem Ausbruch eines Bürgerkriegs, sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden.
Einige Tage dauerte der Nervenkrieg zwischen Kommunisten, Präsident und nichtkommunistischen Parteien. Die Kommunisten riefen zu Demonstrationen auf, besetzten die Ministerien und Zeitungsverlage der anderen Parteien, erste Verhaftungen politischer Gegner erfolgten. Am 25. Februar 1948 gab Präsident Benes dem Druck der Kommunisten nach, akzeptierte den Rücktritt der 12 Minister und ernannte 12 kommunistische Minister. Damit legalisierte er den bereits vollzogenen Machtwechsel. Bei der letzten Unterredung mit Gottwald erläuterte Benes seine Beweggründe für diesen Schritt:
"Nicht das ganze tschechoslowakische Volk wünscht den Untergang der Demokratie, aber Sie meine Herren und die von Ihnen geführte Partei wünscht sich, dass ich mit meiner Unterschrift die Demokratie in der Tschechoslowakei töte. Wenn ich dies tue, dann nur deshalb, damit ich einen Bruderkampf verhindere, mit dem Sie mir drohen und den hervorzurufen Sie in der Lage sind. Ich bin überzeugt, dass das tschechoslowakische Volk meinen Schritt versteht und bei der nächsten Gelegenheit beweist, dass ihm die Methoden, die Sie anwenden, fremd sind und dass Sie die moralische Reife , die Treue und das demokratische Denken unseres Volkes unterschätzt haben."
Edvard Benes trat im Juni 1948 vom Präsidentenamt zurück, drei Monate später starb er. Klement Gottwald wurde sein Nachfolger und erster kommunistischer Präsident. Mit der Machtübernahme der Kommunisten endete für viele Tschechen der Traum, einen eigenen Weg zu gehen und eine Brücke zwischen Ost und West zu bilden.