Reaktionen auf die Äußerungen Chiracs an die Adresse der mittel- und osteuropäischen Kandidatenländer (2)

Peter Robejsek

Was die jüngsten Äußerungen des französischen Präsidenten Jacques Chirac an die Adresse der mittel- und osteuropäischen Beitrittskandidaten für die Tschechische Republik und ihre künftige Mitgliedschaft in der Europäischen Union bedeuten, fragte ich vor Beginn dieser Sendung Peter Robejsek, Direktor des Hauses Rissen - Internationales Institut für Politik und Wirtschaft in Hamburg. Robejsek selber stammt aus Tschechien.

"Regierungschef Vladimir Spidla, das sei keine Äußerung, die dem europäischen Geist, der europäischen Idee entspreche. Ich würde sagen, er irrt. In den Worten Chiracs kommt genau das alte Europa zum Tragen, das für Paris sehr viel attraktiver erscheint als das Europa der Integration. Denn Frankreich sieht deutlich, dass die Ost-Erweiterung eine immanente Stärkung Deutschlands bedeutet. Und gleichzeitig beansprucht Frankreich eine Führerschaft in Europa. Und das bedeutet, Paris muss etwas tun, um diese kommende Stärkung Deutschlands zu neutralisieren."

In der tschechischen Presse wurde im Zusammenhang mit Chiracs jüngsten Äußerungen an die fast sentimentalen Worte erinnert, mit denen sich der französische Präsident noch im November auf dem Prager NATO-Gipfel im Namen der Allianz von Präsident Vaclav Havel verabschiedet hat. Wie ist die jetzige scharfe Kritik Chiracs zu erklären, hat er übersehen, dass Havel bereits vor dem Brief der acht europäischen Staats- und Regierungschefs eindeutige Sympathien für die USA hegte?

"Präsident Havel ist von der politischen Szene abgetreten. Und die französische Elite ist bewundernswert fit, wenn es um Stilistik geht, um die Größe des Augenblicks. Das hat der französische Präsident damals gezeigt. Das, was wir jetzt erleben, ist keine Entgleisung, kein Affront. Sondern dieser Ausbruch ist eine kalkulierte Formulierung, um eben den kleinen Staaten deutlich zu machen: Das Europa der Zukunft wird nicht ein Europa sein, in dem alle Staaten eine gleiche Stimme haben und ein gleiches Gewicht. Sondern das ist ein Europa, in dem bestimmte Staaten - und Frankreich gehört dazu - Wichtigeres zu sagen haben und das Sagen generell haben. Ich würde fast so weit gehen zu sagen, man kalkuliert damit auch eine gewisse abschreckende Wirkung auf die kleineren Staaten Osteuropas - mit der Konsequenz, dass diese zwar nach wie vor nach Europa wollen und sich integrieren wollen, aber die Begeisterung für die weitere Integration auf diese Art und Weise gedämpft wird."

Also ist die Befürchtung der mittel- und osteuropäischen Beitrittskandidaten berechtigt, dass sie nach ihrem Beitritt zu zweitklassigen Mitgliedern der Europäischen Union werden?

"Das würde ich ganz klar so sehen. Ich habe auch immer wieder darauf hingewiesen, dass das natürlich zwangsläufig so kommt. Nur die tschechische Politik wollte dies nicht zur Kenntnis nehmen. Und ich bin der Meinung, dass spätestens jetzt die tschechische Außenpolitik wirklich anfangen muss, selbständig nachzudenken und nach Möglichkeiten zu suchen, dass man zwar in der europäischen Integration weiter fortfährt aber dass man gleichzeitig versucht, diese drohende Zweitrangigkeit auszutarieren. Und da ist die einzige Konsequenz, nach jemandem zu suchen, der hier für Ausgleich sorgen kann. Und der sitzt in Washington."

Peter Robejsek, Direktor des Hauses Rissen, eines internationalen Instituts für Politik und Wirtschaft in Hamburg.