Tschechische Zweifel am deutsch-französischen Motor im erweiterten Europa

Mitten in der Diskussion um die neue deutsch-französische Achse in der Irak-Politik und nach der scharfen Kritik von Frankreichs Staatschef Jacques Chirac an den mittel- und osteuropäischen Beitrittskandidaten fand am Mittwoch im tschechischen Außenministerium ein Kolloquium über die Bedeutung der deutsch-französischen Beziehungen in der erweiterten Europäischen Union statt. In der stark von der aktuellen politischen Entwicklung geprägten Debatte bezeichnete Libor Roucek, Vize-Vorsitzender des Ausschusses für europäische Integration im tschechischen Abgeordnetenhaus und Autor eines auf deutsch erschienenen Buches über die deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen zwischen 1949 - 1989, die deutsch-französischen Beziehungen zwar als Vorbild für das Verhältnis zwischen Tschechien und Deutschland. Zugleich kritisierte er jedoch Deutschland und Frankreich heftig für ihre Haltung in der Frage um NATO-Hilfen für die Türkei und warnte davor, in der erweiterten Europäischen Union zu stark auf den "deutsch-französischen Motor" zu setzen. Silja Schultheis hat sich am Rande des Kolloquiums mit ihm unterhalten.

"Die deutsch-französische Zusammenarbeit seit den 1950er Jahren ist ein großes Beispiel für uns alle in Europa, auch für die heutige Generation. Ein Beispiel dafür, dass wir durch eine enge, verstärkte Zusammenarbeit auch die Vergangenheit bewältigen können."

Jetzt ist in letzter Zeit viel von einer neuen deutsch-französischen Achse die Rede und das stößt hierzulande nicht nur auf Wohlgefallen. Glauben Sie - wie es vorhin in der Diskussion angesprochen wurde -, dass die neue deutsch-französische Zusammenarbeit dämonisiert wird?

"Heute haben wir eine Situation, die ganz anders ist als, sagen wir, im Jahr 1957. Heute kommt es zu einer Erweiterung Europas. Wir werden nicht mehr ein Europa von 6, 9 oder 15 Staaten haben, sondern ein Europa von 25. Und dort - falls wir ein gemeinsames Europa aufbauen wollen - müssen alle kooperieren und zusammenarbeiten. Natürlich wird es immer einen harten Kern geben, der die Richtung der Zusammenarbeit bestimmt. Ob es in Zukunft die Deutschen und die Franzosen sein werden oder andere Staaten, das werden wir sehen. Aber wir, auch die Tschechische Republik, treten in ein Europa von 25 ein, und als solches möchten wir uns auch verhalten."

In der Diskussion wurde vorhin eingeworfen, dass die Äußerungen von Jacques Chirac nicht zufällig waren, sondern einen tieferen Hintergrund haben. Und zwar den, dass sich Frankreich eigentlich nicht so stark für die europäische Integration und für die Ost-Erweiterung einsetzt...

"Wir alle hoffen, dass die Äußerungen von Jacques Chirac nur eine Ausnahme waren. Wir hoffen, dass es nicht der Anfang einer neuen Politik Frankreichs gegenüber den ost- und mitteleuropäischen Staaten ist. Sonst wäre es eine Tragödie für uns alle: für das gemeinsame Europa, für das Projekt der europäischen Integration, für die Staaten Ost- und Mitteleuropas und natürlich auch für Frankreich. Denn Frankreich würde seine Freunde in Ost- und Mitteleuropa auf lange Zeit verlieren."

Wir wird sich der "deutsch-französische Motor" nach der EU-Erweiterung auf die Position der Tschechischen Republik in der Union auswirken?

"Wir brauchen einen stärkeren Motor. In einer Union von 25 Staaten sind zwei Staaten, auch wenn sie von der Bevölkerungszahl und Wirtschaftsleistung die stärksten sind, zu wenig. Wir brauchen einen stärkeren Motor, mehr Staaten in diesem Motor."