Der Literaturhistoriker Peter Demetz spricht über die sogenannten Benes-Dekrete und den Präsidenten Edvard Benes

Peter Demetz (left) mit Marketa Goetz-Stankiewiczova und Miroslav Hornicek (Foto: CTK)

Bereits zum 13. Mal wurde Prag für fünf April-Tage zum regen Literatur-Schauplatz. Bedeutende Vertreter der Gegenwartsliteratur - wie beispielsweise Amos Oz, Arundhati Roy oder der jüngste Träger des amerikanischen Pulitzer-Preises Jeffrey Eugenides, haben sich den Festival-Besuchern im Theater Minor zur Frage gestellt. Unter den Intellektuellen aus den unterschiedlichsten Herkunftsländern war auch der renommierte Literaturhistoriker Peter Demetz. Mit ihm unterhielt sich unsere freie Mitarbeiterin Lucie Drahonovska.

Peter Demetz  (left) mit Marketa Goetz-Stankiewiczova und Miroslav Hornicek  (Foto: CTK)
Peter Demetz gehört seit Jahrzehnten zweifelsohne zu den unermüdlichsten Vermittlern der tschechischen Literatur im Ausland. Seine Dissertation, die er 1948 über Kafka verfasste, zählt zu den ersten Werken des inzwischen umfangreichen Kafka-Kanons. Im Rahmen des diesjährigen Prager Literaturfestivals nahm Peter Demetz an einer der lebendigsten Festival-Diskussionen teil. Ihr Thema waren die sogenannten Benes-Dekrete, über die gemeinsam mit Professor Demetz andere tschechische, deutsche und österreichische Intellektuelle sprachen. In einem Interview, das ich anschließend mit Peter Demetz führte, habe ich seine wichtigsten Standpunkte zu den sogenannten Benes-Dekreten festgehalten:

"Ich habe darüber vor kurzem etwas geschrieben. Ich finde, dass man darüber reden soll. Vor allem musste man es depersonalisieren. Denn Benes kam zu den Dekreten ganz zum Schluss, nicht wahr? Er hatte nie die Absicht die Benesch-Dekrete zu Formulieren. Das ist ein langer historischer Prozess, der damit zusammenhängt, dass er paradoxerweise die Integrität der Tschechoslowakischen Republik und dieses Erbteils von Masaryk retten wollte und zum Schluss keinen anderen Weg sah, als sich den Sowjets zu verschreiben. Aber er hat ja lange gezögert. Ich meine man darf nie das Problem der Vertretung der Deutschen im Londoner Staatsrat vergessen. Das wird heute übergangen. Das waren lange Auseinandersetzungen".

1948 ist der junge Demetz mit etwa 2000 Studenten durch die Neruda-Gasse hinauf zur Prager Burg marschiert, um Edvard Benes zu unterstützen ...

"Ja. Das war wieder das Problem von unseren Genossen. Es war da die Gefahr, dass Benes wieder ja sagt. Denn zum Schluss war er ein Ja-Sager. Ich meine, er war ein kranker Mann, aber am Ende ist er von einer Falle in die andere getappt. Ich meine, Benes im Jahre 1936, 1937, 1938, das war ein Mann, zu dem Menschen empor geblickt haben. Aus diesem Benes sprach noch Masaryk. Und selbst in dem Londoner Staatsrat in der ersten Zeit war er auf eine Republik mit Minoritäten, eine kosmopolitische Gesellschaft, bedacht. Und nicht nur eine nationale Gesellschaft. Das kam alles viel später. Auch er wurde ein Opfer des Nationalismus, dem er nicht ins Wort gesprochen hat. Er war ein Soziologe, ein kalter Fisch, wenn Sie es so wollen. Aber aus ihm einen Chauvinisten zu machen wäre grundfalsch."

Liebe Hörerinnen und Hörer, Peter Demetz treffen wir in dieser Woche noch einmal: und zwar in unserem Kultursalon am Sonntag, den 13. April.