Minderheiten in der Tschechischen Republik: (5) Die deutsche Minderheit

Herzlich willkommen zum Forum Gesellschaft. In den letzen Wochen haben wir Ihnen bereits einige nationale Minderheiten in der Tschechischen Republik vorgestellt. Denjenigen von Ihnen, die unsere kleine Serie verfolgt haben, wird nicht entgangen sein, dass wir die Minderheit ausgespart haben, die für einen deutschsprachigen Sender scheinbar am naheliegendsten ist: die deutsche Minderheit. Dem wollen wir in der heutigen Sendung Abhilfe schaffen. Es begrüßt Sie Katrin Sliva.

Etwa zehn Millionen Einwohner zählt die Tschechische Republik gegenwärtig, 39 000 von Ihnen bekannten sich bei der jüngsten Volkszählung zur deutschen Nationalität. Das ausschlaggebende Kriterium für die Entscheidung der Befragten war die Muttersprache. In der "Rangliste" der größten Minderheiten in der Tschechischen Republik nimmt die deutsche somit offiziell den 3. Platz ein.

Doch gehen wir zunächst einen Schritt zurück in die Vergangenheit: Der Anteil der Deutschen an der Gesamtbevölkerung machte zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch zwischen 20 und 30 Prozent aus. In Folge der sogenannten Benes-Dekrete, die die Vertreibung der Deutschen aus den von ihnen bewohnten tschechischen Gebieten legitimierten, verringerte sich ihre Zahl verständlicherweise deutlich.

Wir baten Frau Rosemarie Knapova, die Vorsitzende des Kulturverbandes der Bürger deutscher Nationalität und Vertreterin der deutschen Minderheit im Rat für nationale Minderheiten der Tschechischen Regierung, uns die Lebenssituation der deutschen Minderheit nach dem Zweiten Weltkrieg zu veranschaulichen:

"Diejenigen, die hier geblieben sind nach dem zweiten Weltkrieg...einige mussten bleiben, als Facharbeiter, sonst hätten verschiedene Industriezweige überhaupt keine Fachleute gehabt. Also, man hat sie gezwungen hier zu bleiben. Viele waren aber auch froh, bleiben zu dürfen und haben sich Respekt verschafft."

Ein schwerwiegendes Problem sei gewesen,...

"...dass den Deutschen alle Kommunikationsmittel genommen wurden. Also, sie hatten weder Radioempfang noch Zeitungen. In den 50er Jahren hat man feststellen müssen, dass man diesen Leuten, die sich durch ihre fleißige Arbeit hier behaupteten, irgendeine Informationsmöglichkeit geben muss. So entstand in den 50er Jahren nicht nur die erste Zeitung, die "Aufbau und Frieden" hieß sondern auch ein Wandertheater, das von Prag aus loszog und in den Regionen für Unterhaltung sorgte."

Die erste Zeitung der deutschen Minderheit gibt es auch heute noch, allerdings hat sich der Name des Wochenblatts geändert: inzwischen heißt es "Prager Volkszeitung" und wird - ebenso wie die "Landeszeitung" - mit Mitteln aus der tschechischen Staatskasse finanziert.

Und wie leben Angehörige der deutschen Minderheit im heutigen Tschechien?

"Jetzt, also 60 Jahre nach dem Krieg, ist die deutsche Minderheit sehr assimiliert. Nicht nur aufgrund ihrer "Verstreuung" auf dem gesamten Gebiet der Tschechischen Republik sondern auch durch die Verbindungen mit Tschechen: Es gibt viele Mischehen seit den 60er Jahren und das prägt die heutige deutsche Gesellschaft hier. Es gibt kaum noch rein deutsche Familien, wo man Deutsch als Muttersprache spricht."

Wie gestaltet sich das Zusammenleben der deutschen Minderheit mit der tschechischen Bevölkerung? Sind Fälle von Diskriminierung bekannt?

"In dem Unterbewusstsein der Tschechen ist immer noch sehr viel Hass gegenüber den Deutschen. Aber, ich glaube nur bei der älteren Generation, bei den jüngeren Leuten kommt das gar nicht in Frage. Das sieht man bei den jungen Menschen in den Schulen. Von unseren Mitgliedern höre ich kaum noch, dass sie unter Diskriminierung leiden. Diskriminiert werden wir nur im Zusammenhang mit dem Restitutionsgesetz."

Das - bis auf wenige Einzelfälle- keine materiellen Entschädigungen für die vertriebenen aus den Sudetengebieten vorsieht.

Neben dem Kulturverband, der 1969 in Böhmen gegründet wurde, gibt es einen anderen Minderheiten-Verband: die Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien, die seit der Samtenen Revolution im Jahr 1989 in Tschechien aktiv und inzwischen auch Dachorganisation einer ganzen Reihe an regionalen Verbänden ist. Die Beziehungen untereinander scheinen nicht die besten zu sein. Frau Knapova:

"Nach der Wende kamen Vertreter von Deutschen in unser Sekretariat und verlangten, dass wir unsere Funktion niederlegen. Die Leitung des Kulturverbandes hat gesagt: Wir haben nichts verbrochen, wir haben uns die ganze Zeit um die deutsche Minderheit gekümmert. Wir haben kein schlechtes gewissen. Wenn der Kulturverband nicht gewesen wäre, wäre die deutsche Minderheit ganz verstreut und man könnte heute suchen, wo überhaupt noch Deutsche wohnen."

Das Vergehen, das dem Kulturverband vorgeworfen wird, ist, sich mit den Kommunisten eingelassen zu haben. Frau Knapova allerdings weist diesen Vorwurf zurück:

"Die nationale Front verlangte, das in der Leitung Kommunisten waren und dann saßen da eben Kommunisten. Aber in den einzelnen Grundorganisationen, das kann ich ihnen ganz genau sagen, wenn sich dort die Kommunisten trafen, dann war es schon viel, wenn es 15 oder 20 waren."

Und was hält Frau Knapova von dem kürzlich in Prag eröffneten und seither in der tschechischen Presse viel diskutierten "Kontaktbüro" der Sudetendeutschen Landsmannschaft?

"Ich denke als Kontaktbüro ist das nicht schlecht, denn wenn es zu einem vereinten Europa kommt, dann müssen ja die Menschen einander verstehen. Und wenn das der Anfang ist zu einer guten Verständigung zwischen Deutschen und Tschechen und speziell zwischen den Sudetendeutschen, die einst hier zu Hause waren, dann kann man sich vorstellen, das für die tschechische Bevölkerung so ein offenes Kontaktzentrum ein Vorteil ist."