Die Ausstellung "Kafkas Fabriken"/"Kafkovy tovarny" deckt eine überraschend sachliche Facette des deutschsprachigen Prager Genies Franz Kafka auf
Von den Literaturwissenschaftlern jahrelang als "weltfremder" und "realitätsferner" Sonderling gebrandmarkt, ist Franz Kafka nun aus seinem unfreiwilligen Elfenbeinturm befreit worden. Die Ausstellung "Kafkovy tovarny"/"Kafkas Fabriken", die derzeit im Museum für nationales Schrifttum in Prag-Strahov zu sehen ist, beleuchtet eine bisher unerforschte und gerne übersehene Facette des Prager Genies. Welche, das erfahren Sie nun von unserer freien Mitarbeiterin Lucie Drahonovska.
Kaum ein anderes Zitat könnte die Durchlässigkeit zwischen Kafkas Alltag und seinem Werk treffender erfassen, als dieser Satz aus seinem Roman "Der Prozess" (1924). Obwohl die Romane und Erzählungen des deutschsprachigen Prager Genies den Lesern vielfach fiktiv und befremdlich erscheinen, sind sie doch fest in Kafkas Leben verankert. Vierzehn Jahre lang - von 1908 bis zu seiner frühzeitigen Pensionierung 1922 - war Kafka als Jurist in der "Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt" für das Königreich Böhmen in Prag tätig. Vierzehn Jahre lang besuchte er nordböhmische Fabriken, schlug Unfallverhütungsmaßnahmen vor, hörte sich die Klagen der Arbeiter seines Verwaltungsbezirks an und stufte ihre Berufsunfälle und Berufskrankheiten ein. Der Alltag ist an ihm keinesfalls spurlos vorbeigegangen, wie in seinem Werk nachzulesen ist. Diese unerwartet sachliche Seite Franz Kafkas hat der unermüdliche Kafka-Forscher Klaus Wagenbach gemeinsam mit dem Redakteur der Kritischen Ausgabe, Hans-Gerd Koch, nach langjährigen Recherchen nachgezeichnet. Den Ausstellungsgedanken fasste Hans-Gerd Koch für Radio Prag zusammen:
"Wir wollen dort zeigen, aus welcher Familie Kafka kam, die ihm schon gewisse Dinge' auf die Welt mitgegeben und somit für den Fortschritt empfänglich gemacht hat. Wir zeigen - natürlich im Rahmen der Ausstellung - wie Prag ausgesehen hat, die Stadt, die damals sein Lebenshintergrund war.
Dann stellen wir die Unfall-Versicherungs-Anstalt als Institution vor und zeichnen Kafkas Karriere in dieser Anstalt nach. Wir zeigen aber auch, wie ein Büro damals ausgesehen hat, denn dass ist wiederum eine Verknüpfung zwischen ihm und seiner Verlobten Felice Bauer, die für einen Büroartikel-Hersteller gearbeitet hat. So findet man hier einen Parlografen, eine Schreibmaschine und Dinge, die damals in einem Büro gestanden haben. Und der dritte Punkt, das ist der Teil der Ausstellung, der dem Ganzen den Namen gibt, also "Kafkas Fabriken". Damit ist eben verbunden, was Kafka für die Unfall-Versicherungs-Anstalt gemacht hat, welche Fälle er zu bearbeiten hatte, was seine Aufgaben im Zusammenhang mit dem Besuch in den nordtschechischen Fabriken waren."Neben den Manuskripten aus umfangreichen Kafka-Bestände der beiden Archive in Marbach und Oxford sind in der Ausstellung auch Exponate aus Kafkas Privatbesitz vertreten, beispielsweise ein Motorrad der Firma Laurin & Klement, ein Fahrrad sowie zeitgenössische Werbefilme über die Unfallverhütung der Arbeiter. Die Ausstellung "Kafkas Fabriken" ist im Museum für nationales Schrifttum in Prag-Strahov bis zum 27. Juli täglich außer Montags von 9 bis 17 Uhr zu sehen.