Historiker Dusan Trestik wird 70 Jahre alt
Regelmäßigen Zeitungslesern ist er durch seine vielfach kritischen Kommentare zur tschechischen Geschichte und Gegenwart bekannt - Dusan Trestik, von Hause aus Mediävist und alles andere als ein Historiker, der lediglich Staub aus der Vergangenheit aufwirbelt. Dieser Tage hat Trestik seinen 70 Geburtstag begangen. Silja Schultheis hat ihn zu diesem Anlass ans Mikrophon gebeten.
Dusan Trestik: "Die 1960er Jahre - wie für alle aus meiner Generation. 1963 war ich zum ersten Mal in Frankreich bei Le Goff, das hat mich beeinflusst."
Silja Schultheis: "Ihr historischer Forschungsschwerpunkt ist ja vor allem das Mittelalter. Zugleich jedoch schalten Sie sich mit regelmäßigen Kommentaren zum aktuellen Geschehen auch aktiv in die gegenwärtige Entwicklung ein, reflektieren tschechische Mythen und Eigenschaften. Worin sehen Sie eigentlich Ihre Hauptaufgabe als Historiker?"
Dusan Trestik: "Naja, das ist ein alter Komplex der mitteleuropäischen Intelligenz: dass man dienen muss. Das heißt, man muss für die Öffentlichkeit schreiben. Sonst hat das keinen Sinn. Das ist meine feste Überzeugung, von Anfang an. Ich wollte mich eigentlich mit dem 19. und 20. Jahrhundert beschäftigen, aber das war in den 50er Jahren natürlich unmöglich. So kam ich zum Mittelalter."
Silja Schultheis: "Sie haben sich als Historiker ja auch viel mit den deutsch-tschechischen Beziehungen beschäftigt, auch hier immer mit Bezug zur Gegenwart. 1995 haben Sie sich beispielsweise gegen ein Dokument gewandt, in dem zum Dialog zwischen der tschechischen Regierung und den Sudetendeutschen aufgerufen wurde. Was ist Ihre Einstellung zur jüngsten Entwicklung im deutsch-tschechischen Verhältnis? Es wird ja jetzt z.B. über eine humanitäre Geste an Sudetendeutsche seitens der tschechischen Regierung gesprochen..."
Dusan Trestik: "Die deutsch-tschechische Deklaration war das Vernünftige, was man machen sollte. Ansonsten hat natürlich jede Kommunität ihre Traumata. Unser Trauma ist das Münchener Abkommen, das deutsche Trauma ist der Holocaust. Man hat noch nicht gelernt, wie man mit diesen Traumata umgehen soll. Mein polnischer Kollege Bronislaw Geremek, auch Mediävist, hat dazu aufgerufen, dass wir uns in Europa darauf einigen, dass wir uns alle alles gegenseitig vergeben. Das könnte funktionieren."
Silja Schultheis: "Sie plädieren Sie dafür, dass man sich gegenseitig vergibt und quasi von vorne anfängt?"
Dusan Trestik: "Ja, alle gleichzeitig, alle in gleichem Maß, keine Rechnungen ausstellen. Das bedeutet keinen Schlussstrich. Die Debatte und vor allem das Begreifen des Anderen muss weitergehen."
Silja Schultheis: "Was sind eigentlich Ihre Pläne für die nächste Zeit? Sie sind ja mit 70 Jahren keineswegs untätig und lehnen sich zurück, sondern wie ich gehört habe, schreiben Sie jetzt auch gerade wieder an einem Buch?
Dusan Trestik: "Vor allem muss ich dieses Buch in diesem Monat beenden. Es heißt: Mythen des Stammes der Tschechen. Danach vielleicht noch zwei oder drei Bücher über das frühe Mittelalter und einen Essayband."
Silja Schultheis im Gespräch mit dem Historiker Dusan Trestik.