Tschechiens Kommunisten auf dem Vormarsch?

Bei uns erfahren Sie heute, warum die tschechischen Kommunisten auch 14 Jahre nach der Wende nach wie vor Unterstützung finden und von vielen Wählern sogar als eine reale politische Alternative angesehen werden. Hören Sie dazu die neue Ausgabe unseres Magazins Schauplatz von Robert Schuster.

Anfang vergangener Woche wurde in Tschechien der 14. Jahrestag der großen Studentendemonstration vom 17. November 1989 begangen. Sie läutete die s.g. samtene Revolution ein und somit auch den Anfang vom Ende der über vier Jahrzehnte dauernden kommunistischen Herrschaft. Solche Jahrestage werden oft dazu genutzt eine Bilanz zu ziehen, wobei Politiker fast aller Couleurs dann in vielen Fällen auf die erreichten Erfolge verweisen. Diese seltene Eintracht wurde aber diesmal von den Ergebnissen einer Umfrage getrübt, wonach die tschechischen Kommunisten zur zweitstärksten Kraft im Lande avancierten und die regierenden Sozialdemokraten relativ klar hinter sich ließen.

Bahnt sich da also eine Umschichtung auf der tschechischen Linken zugunsten der Kommunisten an? Warum scheinen die Kommunisten gegenwärtig so stark zu sein? Das fragten wir den Prager Politikwissenschaftler Josef Mlejnek, von der Prager Karlsuniversität, der gleich einleitend die Ergebnisse der besagten Umfrage ein wenig relativiert:

"Also ich denke erstens, dass dieser Anstieg der Beliebtheit der Kommunisten in Wahrheit eine Legende ist, denn in Wahrheit ist die Unterstützung für die Partei gerade in Umfragen in den letzten Jahren sehr konstant gewesen. Man darf nicht vergessen, dass bislang nur ein einziges Meinungsforschungsinstitut eine verstärkte Unterstützung für die Kommunisten feststellte. Ich würde ganz einfach dieses zwanzigprozentige Ergebnis für die Partei in den Umfragen eher im Verhältnis mit dem Absacken der Sozialdemokraten sehen, dass also die unzufriedenen sozialdemokratischen Anhänger nun kurzfristig zur linken Konkurrenz übergelaufen sind, das kann sich aber schnell wieder ändern. Genaugenommen ist der Wähleranteil der Kommunisten seit etwa zehn Jahren konstant und zwar einerseits deshalb, weil die Bereitschaft der Bürger abnimmt zu den Wahlen zu gehen und somit bei einer sinkenden Wahlbeteiligung der Anteil der Kommunisten mit ihren diszplinierten Wählern gleich bleibt. Der zweite Grund aber ist, dass nun auch viele einstige Anhänger der rechtsradikalen Republikaner zu den Kommunisten übergelaufen sind."

Der Politologe Mlejnek demonstriert das im Folgenden an einem Rechenbeispiel. Während die Kommunisten gegen Mitte der 90er Jahre bei Wahlen etwa 12 bis 14 Prozent erreichen konnten, betrug der Anteil der Republikaner cca. 6 Prozent. Würde man, so Mlejnek weiter, diese beiden Ergebnisse addieren, käme man ungefähr auf 20 Prozent, was auch den jetzigen Umfragen entsprechen würde.

Dennoch gesteht auch Josef Mlejnek ein, dass die tschechischen Kommunisten bei den Parlamentswahlen vom Juni vergangenen Jahres als einzige Partei in absoluten Zahlen Stimmen dazu gewonnen haben, wohingegen die großen tschechischen Parteien - also die Sozialdemokraten und die Rechtsliberalen - in beiden Fällen etwa eine halbe Million Stimmen einbüssten. Zudem schafften die Kommunisten als einzige Gruppierung auch frühere Nichtwähler anzusprechen. Damit hängt auch unsere nächste Frage zusammen und zwar nach der Herkunft der traditionellen Wähler der tschechischen Kommunisten:

"Das sind oft Menschen, die einen geringen Ausbildungsstand und somit auch Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben. Sicherlich kann man in vielen Fällen auch von Modernisierungsverlierern sprechen, die irgendwann im Verlauf des komplizierten Umwandlungsprozesses der tschechischen Gesellschaft nach 1989 den Anschluss verloren hatten und somit an die Ränder gedrückt wurden. Darin liegt auch das Wachstumspotenzial der Kommunisten - gesetzt den Fall, sie würden versuchen gezielt diese Unzufriedenen anzusprechen. Wenn ich das also auf die aktuellen Umfragen umdeuten soll, dann heißt das, dass ein weiterer Anstieg der Unterstützung für die Kommunisten längerfristig nicht auszuschließen ist, die Partei aber gegenwärtig immer noch aus einem natürlichen Protestpotenzial schöpft, dass in jeder demokratischen Gesellschaft irgendwo um die zwanzig Prozent liegt. Aber in der Tat gibt es hier sicherlich eine potenzielle Gefahr für die Zukunft."

Der Weg, den die tschechischen Kommunisten seit der Wende beschreiten, unterscheidet sich fast ausnahmslos von der Entwicklung ihrer einstigen Schwesterparteien in Polen oder Ungarn. Dort hatten die Kommunisten schnell die Zeichen der Zeit erkannt, mutierten zu anerkannten Links- oder gar Sozialdemokraten und treten heute sowohl für den freien Markt, wie für eine Mitgliedschaft in der NATO ein, also dem früheren kommunistischen Feindbild Nummer Eins. Warum haben die tschechischen Kommunisten diese Entwicklung eigentlich nicht nachvollzogen? Das war unsere nächste Frage an den Politikwissenschaftler Josef Mlejnek:

"Ich denke, dass die Gründe für die unterschiedliche Entwicklung nach 1989 in der damaligen Tschechoslowakei, Polen und Ungarn schon in den 70er Jahren liegen, bzw. im unterschiedlichen Mass an Orthodoxie bei den kommunistischen Führungen dieser Länder. Das Regime in der Tschechoslowakei in dieser Zeit wurde oft als neostalinistisch bezeichnet, während die Polen und insbesondere die Ungarn in der Ideologie nicht so konsequent, sondern vor allem pragmatisch waren. Das äußerte sich schon darin, dass die Söhne und Töchter hochrangiger kommunistischer Funktionäre in Polen und Ungarn im Westen studieren durften, um nicht zuletzt wichtige Kontakte knüpfen zu können. Und eben diese jungen Nachwuchskader machten sich nach ihrer Rückkehr keine Illusionen über die Lage im eigenen Land und erkannten, dass Reformen unausweichlich seien. Sie waren es auch, die sich während der Wende häufig an die Spitze dieses Prozesses stellten, waren also flexibler und beweglicher, als die tschechoslowakischen Kommunisten."

Ungeachtet der geringen programmatischen Veränderung der kommunistischen Partei im Vergleich zur Vorwende-Zeit und der immer noch eher zaghaften Distanzierung von den Verbrechen, die im Namen des Kommunismus in der frühreren Tschechoslowakei verübt wurden, scheint die Partei seit einiger Zeit wieder als politischer Partner gefragt zu sein.

So gilt es inzwischen als völlig selbstverständlich, dass die Sozialdemokraten bei Senatswahlen Absprachen mit den Kommunisten treffen mit dem Ziel ihre Kandidaten gegenseitig zu unterstützen. Auch im Parlament gelten die Kommunisten inzwischen selbst für bürgerliche Politiker als respektierte Gesprächspartner. Die Erosion der Ablehnungsfront der demokratischen Parteien gegenüber den Kommunisten zeigte mittlerweile auch bei einer Reihe von direkter, wie auch indirekter Wahlen unmittelbare Wirkung. Zum einen gelang es der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens im Juni vergangenen Jahres bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus als einziger Partei Stimmen dazuzugewinnen, zum anderen schlüpfte sie bei der Präsidentenwahl von Ende Februar in die Rolle des Königsmachers und verhalf Vaclav Klaus massgeblich ins höchste Staatsamt.

Lässt sich rückblickend auf die vergagenen beiden Jahre ein Ereignis als Schlüssel-Moment bezeichnen, der die mehr als 10 Jahre währende Isolierung der Kommunsiten endgültig durchbrochen hatte? Einige Politikwissenschaftler führen hier etwa die Resolution zu den Benes-Dekreten an, die vom tschechischen Parlament im April 2002 einstimmig verabschiedet wurde und bei der die Kommunisten erstmals seit 1989 von Beginn an eingebunden waren. Was meint abschließend Josef Mlejnek zu dieser These?

"Das neuerliche Aufkommen des Themas Benes-Dekrete im Verlauf des Jahres 2002 hat größtenteils die Demokratische Bürgerpartei auf dem Gewissen, die Kommunisten konnten das vielleicht nur etwas besser und vor allem glaubwürdiger vermarkten. Während die Bürgerdemokraten glaubten mit dem Thema der Wahrung der s.g. nationalen Interessen bei den Wählern punkten zu können, um auch von ihrer Ideenlosigkeit abzulenken, konnten die Kommunisten auf einen über viele Jahrzehnte hinweg aufbereiteten Resonanzboden und auf bestehenden antideutschen Feindbildern aufbauen. Deshalb wurde die Partei auch für radikale Rechte wählbar, die während der 90er Jahre versuchten aus diesem Thema politisches Kapital zu schlagen."