EU-Erweiterung II: Fast verschwindende Grenzen

Die Tschechische Republik vor dem Beitritt zur Europäischen Union: Das ist der inhaltliche Schwerpunkt eines Zweiteilers, den Radio Prag gemeinsam mit der Deutschen Welle produziert hat. Finanziert wurde das Projekt von der Europäischen Kommission. Den ersten Teil konnten Sie vor zwei Wochen im Rahmen des Magazins "Schauplatz" hören: es ging dabei vor allem um die so genannten Übergangsfristen, die den freien Personenverkehr in der EU vorläufig noch beschränken werden. In der nun folgenden, neuen Ausgabe des "Schauplatzes" hören Sie den zweiten Teil. Diesmal widmen sich Gerald Schubert und Petra Kohnen vor allem der europaweiten Anerkennung von Berufsqualifikationen, und sie werfen einen Blick direkt an die tschechischen Grenzen.

Foto: Europäische Kommission
Tschechien hat die rote Karte gesehen. Der Grund: Das osteuropäische Land hat die Gesetze zur Sicherstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit nur mit gewaltigem Druck aus Brüssel auf den Weg gebracht. Konstruieren wir einen Fall:

Die Französin Marie-Claude ist Krankenschwester. Sie möchte aus privaten Gründen in Tschechien wohnen und arbeiten. Das klappt nicht, da ihr Abschluss in Prag nicht anerkannt wird. Der Deutsche Hans-Georg möchte sich als Bauingenieur für zwei Jahre an einem Projekt in Pilsen beteiligen. Das wird verweigert, da sein Diplom den tschechischen Anforderungen nicht genügt.

Ein klarer Verstoß gegen europäische Grundfreiheiten. Prag reagierte sofort. Der junge tschechische Jurist, Jan Hradil, hat sich durch Qualifikationsvoraussetzungen und Diplomjungel durchgekämpft und sie auf ihre Rechtskompatibilität hin überprüft:

"Wenn wir zulassen würden, dass alle Staaten jene Berufsqualifikationen verlangen, die sie vor der Einführung des Binnenmarktes und des freien Personenverkehrs verlangt haben - nun, dann könnten wir von irgendeiner Form von Mobilität für die Menschen natürlich überhaupt nicht sprechen."

Deshalb hat sich eine Arbeitsgruppe unter seiner Leitung zusammengesetzt und ein Harmonisierungsgesetz erarbeitet. Das ist allgemein genug, um auf alle Berufsabschlüsse übertragen zu werden:

Foto: Europäische Kommission
"Natürlich hat jeder der Mitgliedsstaaten unterschiedliche Anforderungen an Ausbildungsprofile und noch dazu auch unterschiedliche Ausbildungssysteme. Das heißt, die verschiedenen Bildungssysteme unterscheiden sich in Länge, Form und Inhalt voneinander. Daher war es etwa nicht möglich zu sagen: Für die Ausübung des Berufes eines Bauingenieurs fordert jeder Mitgliedsstaat diese und jene Ausbildung. Das ging einfach nicht. Die Europäischen Richtlinien in diesem Bereich sind bereits relativ kompliziert. Und nun musste dieser komplizierte Mechanismus noch in die tschechische Rechtsordnung übertragen werden."

Soweit, so gut. Doch Tschechien hat ein weiteres Problem zu lösen. Die meisten Tschechen können sich ihre Hauptstadt nicht mehr leisten. Die Preise in Prag steigen stündlich - heißt es. Und das wirkt sich natürlich auf dem Arbeitsmarkt aus. Reisejournalist Michael Bussmann:

"Da möchte ich auf einen Bekannten zu sprechen kommen, der wohnt in Ostrava und ist dort arbeitslos. Er kann sich innerhalb ganz Europas bewegen, für ihn ist es einfacher als Tischler oder Schreiner einen Job in Deutschland zu bekommen, und er kann dann dort auch leben, weil er deutsche Gehälter hat. Er kann sich aber nicht im eigenen Land nach Prag bewegen, denn in Prag bekommt er keine Wohnung, die er finanzieren kann."

Die Miete würde seinen Arbeitslohn verschlingen. So geht er lieber ins Ausland oder lebt weiter in der strukturschwachen Industrieregion von seinem Arbeitslosengeld.


Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
Das Elbsandsteingebirge, das Grenzgebiet zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik zieht viele Menschen an. Es ist begehrt als Naherholungsgebiet. Die nordböhmische Gemeinde Petrovice heißt die Nachbarn zur Erholung herzlich willkommen - doch ihren Müll sollen sie bitte wieder mit nach Hause nehmen. Dabei geht es gar nicht um Bananenschalen, Butterbrotpapier und Büchsen vom Picknick im Wald, sondern - so Marketa Maurova von Radio Prag - um Bündel von Müllsäcken, ja einen regelrechten Mülltourismus:

"Ja, wir befinden uns an der Grenze zwischen Nordböhmen und Sachsen, in der Nähe des Grenzübergangs Petrovice / Bahratal. Früher hat man hier ein großes Problem mit altem Müll gehabt. In der Nähe des Dorfes vor allem in den Wäldern, in Straßengräben, auf Rastplätzen fand man wirklich viel Müll. Also verschiedene Plastiksäcke mit Hausmüll, diese typischen hellblauen Säcke, weiter alte Reifen, Altpapier oder Büchsen, eigentlich alles Mögliche, was man zuhause nicht braucht, wurde hierher in den Wald gebracht."

Den Bürgermeister der Gemeinde, Zdenek Kutina, hat die Lösung des Müllproblems manch schlaflose Nacht gekostet:

"Es muss gesagt werden, dass diese Angelegenheit in der Vergangenheit ein relativ verbreiteter Unfug war. Die Gemeinde musste ziemlich große Mühe und auch damit verbundene Finanzmittel aufwenden, um diese Abfälle zu beseitigen. Es handelte sich vor allem um Müllsäcke, die eindeutig deutscher Herkunft waren."

Die Gemeinden handeln klug. Sie sammeln den Müll ein bevor er sich zu Bergen auftürmt und zur Halde wird, sagt Marketa Maurova

"Dann haben sich Medien begonnen, dafür zu interessieren, das war ein Schritt."

Der zweite Schritt war die Zusammenarbeit mit den Zöllnern. Bürgermeister Kutina weiter:

"Danach haben sich die Zöllner dieser Sache angenommen, und sie begannen, die Kofferräume der Fahrzeuge auch bei der Einreise in die Tschechische Republik zu kontrollieren. Wenn bei jemandem Müll gefunden wurde, dann wurde er zurückgewiesen. Die Lage hat sich mittlerweile zum Besseren gewandt. Man kann nicht sagen, dass die Abfälle völlig verschwunden sind, ab und zu findet man immer noch einen Sack. Aber diese Erscheinung ist nicht mehr so verbreitet wie in der Vergangenheit."


Foto: Europäische Kommission
In der tschechischen Hauptstadt, zum Beispiel am Altstädter Ring, bestaunen Tausende von Touristen zu jeder vollen Stunde die Astronomische Uhr. Übrigens: Ihre Pässe werden auch künftig bei der Einreise nach Tschechien kontrolliert - so die Pressesprecherin der Zolldirektion in Pilsen, Jitka Blahutova:

"Zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union wird es zwar freien Warenverkehr geben, aber Personenkontrollen werden an den Grenzübergängen auch weiterhin durchgeführt, weil die Tschechische Republik noch kein Mitglied des Schengener Abkommens ist."

Das Schengener Abkommen - seit 1995 in Kraft - sieht die vollständige Abschaffung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen vor. Großbritannien und Irland machen dabei nicht mit, dafür schließt Schengen Norwegen und Island ein, die keine EU-Mitglieder sind. Erst wenn Tschechien die Sicherheitsstandards erfüllt, fallen die Kontrollen weg. Sichtbare Änderungen an den Grenzen wird es dennoch schon jetzt geben:

"Am Tag des EU-Beitritts der Tschechischen Republik werden die regelmäßigen Zollkontrollen an den Grenzübergängen beendet. Nur für die internationalen Flughäfen gilt das nicht. Dort werden weiterhin sowohl die Organe der Zollverwaltung wie auch die Organe der Ausländerpolizei ihren Dienst verrichten. Aber was die Straßengrenzübergänge betrifft: Von denen werden die Zöllner am 1. Mai abgezogen, und es bleiben nur Angehörige der Ausländerpolizei und der Grenzpolizei zurück."


Mit diesem Ausblick auf die Zeit nach dem 1. Mai, wo man vorerst zwar keine Waren mehr, sehr wohl aber noch Menschen kontrollieren wird, ist der heutige Schauplatz am Ende angelangt. Und mit ihm ist auch die zweiteilige Reihe über den bevorstehenden EU-Beitritt Tschechiens zu Ende, die Radio Prag gemeinsam mit der Deutschen Welle gestaltet hat. Finanziert hat das Projekt die Europäische Kommission. Bei der Deutschen Welle und vor allem bei unserer dortigen Kollegin Petra Kohnen bedanken wir uns für die besonders gute Zusammenarbeit.