Kardinal Spidlík: Europa sollte eine Brücke zwischen Ost und West sein
Die Tschechische Republik verfügt über zwei Kardinäle. Zum einen über Kardinal Miloslav Vlk, dem Prager Erzbischof und Primas der tschechischen katholischen Kirche, und zum anderen über den 83-jährigen Tomás Spidlík, der im Herbst vergangenen Jahres zum Kardinal beim Vatikan ernannt worden ist. Auf Einladung des Ersteren besucht Spidlík in diesen Tagen erstmals seit seiner Ernennung sein Heimatland. Mit welchem Echo, dazu mehr im Beitrag von Lothar Martin.
Kardinal Tomas Spidlik ist eine in der Welt angesehene Persönlichkeit im spirituellen Bereich, insbesondere was den christlichen Osten anbelangt. Und als solche war seine Meinung zum gemeinsamen Europa auch besonders gefragt:"Heute sind der Osten und der Westen weit voneinander entfernt. Und Europa ist das, was einmal das Großmährische Reich gewesen ist. Die Frage ist: Wird dieses Europa geteilt oder wird es eine Brücke sein? Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass Europa seine Position noch nicht verloren hat. Ihm werden zwar jetzt die neuen Nationen quasi aufgebürdet, aber es muss sich dessen bewusst werden, dass tatsächlich nur die Werte den Sieg davontragen können." Eine klare Aussage des Kardinals für mehr menschliches Miteinander unter den europäischen Nationen und weniger Streit und Erbsenzählerei bei den politischen und ökonomischen Gesichtspunkten, die Europa derzeit eher spalten als zusammenbringen. Bei seinem halbstündigen Treffen mit Václav Klaus am Montag auf der Prager Burg sprachen er und der tschechische Präsident dann auch verstärkt über die geistige Einheit der Europäischen Union. Laut Aussage von Präsidentensprecher Petr Hájek standen dabei vor allem Fragen der europäischen Identität sowie der geistigen Grundlagen der europäischen Zivilisation und europäischen Kultur im Vordergrund. Am Montagabend zelebrierte Kardinal Spidlík gemeinsam mit rund 60 Bischöfen der böhmischen und mährischen Diözesen eine Messe in der St. Veits-Kathedrale. Auch in seiner Predigt verwies er noch einmal mit Nachdruck darauf, dass über die Erweiterung der EU in erster Linie von den Politikern und Ökonomen gesprochen werde, es aber erforderlich sei, auch über die gemeinsamen geistigen Werte Europas nachzudenken. Seiner Meinung nach sollte der Grundstein für die europäische Idee aus einer Synthese zwischen dem griechischen Denken, dem römischen Recht und der biblischen Religion bestehen. Europa brauche aber vor allem ein Element, so Spidlík: die Freundschaft. Und bei der Brücke zwischen Ost und West, die es zu bauen gilt, könnten gerade die Slawen eine große Rolle spielen, sagte der jesuitische Geistliche. Worte, die nach dem Gerede und Gezänk über europäische Freizügigkeit und die Sitzverteilung im EU-Parlament geradezu wie Musik erklingen in den Ohren der geistig reifen Europäer.