Gedenktafel für einen Brückenbauer: Anton Otte auf dem Prager Vyšehrad geehrt
Seit der Wende von 1989 bis zu seinem Tod 2021 hat sich der katholische Priester Anton Otte stark in den tschechisch-deutschen Beziehungen engagiert. Am Samstag wurde auf dem Prager-Vyšehrad-Friedhof eine Gedenktafel für Monsignore Otte enthüllt.
Musik erklang am Samstagnachmittag draußen vor der Friedhofskapelle auf dem Prager Vyšehrad. Mehrere Menschen hatten sich dort versammelt. Viele von ihnen waren aus Deutschland gekommen, um an der Enthüllung einer Gedenktafel für Anton Otte teilzunehmen.
Diese wurde in der Arkade neben dem Eingang zur Friedhofskapelle installiert. Der 2021 verstorbene Anton Otte war Kanoniker des Kollegiatskapitels der Heiligen Peter und Paul auf dem Vyšehrad. Während der feierlichen Zeremonie erinnerten mehrere Persönlichkeitenan an den Priester, darunter auch der Vorsitzende der tschechischen Sdružení Ackermann-Gemeinde, Adolf Pintíř. Er sagte unter anderem:
„Toni hat unsere beiden Nationen zusammengebracht. Er arbeitete geduldig daran, die offenen Wunden und das Unrecht aus der Vergangenheit zu heilen.“
Unter den Rednern war auch der deutsche Botschafter in Prag, Andreas Künne. Das Interview mit dem Diplomaten entstand nach der Enthüllung der Gedenktafel.
Herr Botschafter, Sie haben Anton Otte persönlich nicht mehr kennenlernen können, weil Sie erst später nach Prag gekommen sind. Aber Sie kennen sein Lebensschicksal. Was schätzen Sie an dem Priester am meisten?
„Ich glaube, diesen unbedingten Willen zur Versöhnung. Obwohl er in diesem Land wirklich auch eine sehr schwierige Erfahrung gemacht hatte, war er durchdrungen von der Überzeugung, dass es Frieden in Europa nur geben kann, wenn sich die Nachbarn untereinander verstehen. Und er, der sowohl tschechisch als auch deutsch sprach und, wie es vorhin hieß, das Vaterunser genauso gut auf Deutsch wie auf Tschechisch jeden Tag betete – er wusste, dass er ein wichtiger Brückenbauer sein kann. Und er hat das gelebt, trotz all der Schwierigkeiten in seinem eigenen Leben. Das finde ich sehr beeindruckend. Es ist eine Verkörperung des wahren christlichen Auftrags.“
Ich denke, er hätte ein ruhiges Leben haben können, wäre er in Deutschland geblieben…
„Ja, allerdings. Er hat ab 1980 auch als Gefängnispfarrer gearbeitet. Also er ist ja absichtlich dahin gegangen, wo es weh tut. Und er hat seine Priesterwürde auch als Auftrag verstanden, eben genau dort zu sein, wo es den Menschen nicht gut geht und wo er den Eindruck hatte, dass es noch sehr viel zu tun gibt.“
Adolf Pintíř von der tschechischen Ackermann-Gemeinde ist derzeit als Pfarrer im Böhmerwald tätig. Er sagte gegenüber Radio Prag International, er habe Anton Otte lange gekannt, und fügte hinzu:
„Gleich nach der Wende habe ich Anton Otte getroffen. Und dann habe ich ihn bei mehreren Gesprächen näher kennengelernt. Ich weiß, dass er in seiner Jugend in der Tschechoslowakei schlimme Erfahrungen hatte, aber trotzdem ist er nach dem Studium in Deutschland wieder nach Tschechien zurückgekehrt. Das schätze ich am meisten. Er hat sich für die Hilfe derjenigen entschieden, die von Gewalt oder von Schuld betroffen waren. Er war auch ein lustiger Mensch, aber das war keine oberflächliche Freude. Tief freute er sich darüber, dass die Wende kam, und darüber, was wir, die Vertreter der beiden Völker, zusammen auf die Beine stellen konnten.“
Albert-Peter Rethmann ist Bundesvorsitzender der Ackermann-Gemeinde. Er nahm auch an der feierlichen Enthüllung der Gedenktafel für Anton Otte teil. Hier ein Interview mit Professor Rethmann.
Wie entstand die Idee, eine Gedenktafel für Anton Otte auf dem Vyšehrad zu enthüllen?
„Die Idee entstand aus Gesprächen zwischen der Ackermann-Gemeinde und dem Kapitel hier auf dem Vyšehrad. Es war unser gemeinsames Anliegen, an die Versöhnungsarbeit von Anton Otte zu erinnern. Vor allem wollten wir nicht nur eine nostalgische Veranstaltung machen, sondern mit diesem symbolischen Akt auch Anton Otte noch einmal danken. Wir wollten uns daran erinnern, dass das, was Anton Otte gelebt hat, für uns heute in Europa unheimlich wichtig ist: die Überwindung von Grenzen und das Nichtzulassen der Rückkehr eines bösen Nationalismus. Genau für diese Werte von Zusammenarbeit und Solidarität hat Anton Otte gestanden.“
Haben Sie ihn lange gekannt?
„Anton Otte kannte ich lange – schon aus meiner Zeit als Theologieprofessor an der katholisch-theologischen Fakultät. In der Zeit habe ich Kontakt gefunden mit der Ackermann-Gemeinde. Ich muss ehrlich sagen, ich hatte erst ein wenig Vorurteile, weil ich nicht wusste, was die sudetendeutsche Gemeinschaft auch an wirklich schönen Früchten hervorbringt. Und dazu gehört die Ackermann-Gemeinde, die gerade nicht auf Revisionismus und Rückgabe von Gütern gesetzt hat – sondern von Anfang an, seit der Gründung Ende der 1940er Jahre, auf Versöhnung, auf Zusammenarbeit und Verständigung nach den tiefen Wunden, die Krieg und Vertreibung gerissen haben.“
Es gibt ein Buch über Anton Otte. Viele Leute haben ihn erlebt. Seine Arbeit wird kaum vergessen werden, denke ich…
„Anton Otte wird ganz sicher nicht vergessen, weil er die Grundsätze der Ackermann-Gemeinde gelebt hat: nämlich darauf zu setzen, dass das Gemeinsame von Menschen unterschiedlicher Nationen viel mehr ist als das, was uns unterscheidet. Anton Otte – und so habe ich ihn auch als Menschen kennengelernt – wagte auch, in schwierige Gespräche zu gehen. Vor allem, wenn wir uns heute die Entwicklungen in Deutschland und in Europa anschauen, wo der Nationalismus in gefährlicher Weise zurückzukehren scheint, brauchen wir den Geist von Anton Otte. Wir müssen sagen: kein Nationalismus, sondern Demokratie, Miteinander und Gerechtigkeit. Und wir brauchen keine Grenzen und keine neuen Grenzkontrollen, wir brauchen freundschaftliche Kontakte. Dafür stehe ich persönlich, aber auch mit meinem Engagement in der Ackermann-Gemeinde. Und dafür stehen wir als Ackermann-Gemeinde gemeinsam.“
Anton Otte stammte aus dem Städtchen Vidnava / Weidenau am Nordrand des Altvatergebirges. 1960 zog er als Spätaussiedler in die Bundesrepublik. In Bamberg wurde er 1967 zum Priester geweiht. Der Geistliche war unter anderem seelsorgerisch im Strafvollzug tätig. Nach der Wende von 1989 kehrte er in seine Heimat zurück. In Prag leitete er damals die neu entstandene Arbeitsstelle der Ackermann-Gemeinde. Der Pfarrer initiierte viele tschechisch-deutsche Begegnungen und Konferenzen.