Professor Rethmann über das Zentrum für das Studium der Migration
Den Einwanderern zu helfen, sich in die tschechische Gesellschaft zu integrieren, ist eine der Aufgaben, auf die sich die tschechische katholische Kirche künftig mehr konzentrieren wird. Mehr erfahren Sie in der folgenden Ausgabe der Sendereihe Begegnungen.
"Das Zentrum für Migrationsstudium haben wir an der katholischen theologischen Fakultät in Prag gegründet, weil wir zwei Dinge sehen: Zum einen ist die Frage von Migration und Integration von Zuwanderern eine Frage, die zunehmend an Bedeutung gewinnt auch für die Tschechische Republik - jetzt noch verstärkt nach dem Beitritt zur Europäischen Union. Mit der Arbeit des Zentrums verbindet uns noch ein weiterer Grund, und das ist ein innertheologischer und ein Grund, der an der Fakultät selbst liegt. Wir können Theologie nicht hinter verschlossener Tür betreiben, Theologie können wir angemessener betreiben, wenn die Fragen, die in unserer Gesellschaft sind, präsent sind. Wenn wir fragen, was wir als Theologen vom Standpunkt der Menschenwürde, aus der Sicht der theologischen Ethik beitragen können zur Beantwortung der brennenden Fragen unserer Gesellschaft."
Wie kann man sich die Tätigkeit des Zentrums vorstellen? Sie sprachen von einem fünfjährigen Projekt. Auf welche Bereiche soll sich das konzentrieren?
"Wir haben ein größeres Forschungsprojekt vorbereitet, an dem etwa sechzig Wissenschaftler aus verschiedenen Fakultäten der Universität und von der Akademie der Wissenschaften teilnehmen werden. Wir beabsichtigten mit diesem Projekt unterschiedliche Bereiche der Minderheitenintegration in der Tschechischen Republik zu beleuchten. Dieses Projekt liegt noch beim Ministerium und muss noch vom Ministerium bewilligt werden. Wir planen uns verschiedene Bereiche uns anzuschauen. Zum Einen was die Migrationsgeschichte der Tschechischen Republik angeht. Es geht uns darum, wahrzunehmen, dass Migration auch für die Tschechische Republik absolut kein neues Phänomen ist. Es gab immer schon Zuwanderung - denken wir an unseren Gründervater Cech. Aber es gab auch schon Auswanderung - im 19. Jahrhundert ganz stark, Anfang des 20. Jahrhunderts nach Amerika, in der Zeit des Prager Frühlings gab es große Auswanderung nach Westeuropa.
Das ist also eine Frage und das sollen wir deutlich machen in diesem Teil des Forschungsprojektes. Zum Anderen geht es darum, verschiedene Bereiche der Integration und Desintegration wahrzunehmen. Ein größerer Bereich wird sein: Wie können Sportvereine zur Integration beitragen. Ein weiterer Bereich ist, wie läuft der Dialog zwischen der Mehrheitsbevölkerung und den Zuwanderern, was sind die Bedingungen für einen gelungenen Dialog, welche Bedingungen müssen wir schaffen, damit ein interreligiöser Dialog in der Tschechischen Republik funktionieren kann. Ein großer Bereich ist natürlich auch die Frage der Roma-Integration. Mir scheint, dass es sich hier nicht um ein spezielles Migrationsproblem handelt. Wir haben die Roma-Bevölkerung schon länger in der Tschechischen Republik. Aber es ist ein Problem der Desintegration. Mir scheint, das wir an diesem Punkt gerade bei der jüngeren Generation ansetzen müssen. Es ist von Seiten der Migrationssoziologie ganz normal, dass eine erste Generation von Zuwanderern sich innerhalb ihrer kulturellen und sprachlichen Ethnien bewegt, und sie spricht in diesem Zusammenhang von Migrationskolonien. Frage ist, wie es jetzt bei Zuwanderern und bei der Roma-Bevölkerung gelingt, die jüngere Generation zunehmend zu integrieren. Das ist eine Frage von Kindergärten, von Schulen, von Ausbildungsstätten."In wie weit sind Ihre Erfahrungen aus Deutschland auf die tschechischen Verhältnisse übertragbar?
"Erfahrung übertragen ist immer schwierig. Aber mir scheint, dass wir in der Tschechischen Republik einen Fehler nicht machen dürfen - das ist der Punkt, dass wir davon ausgehen, dass Zuwanderer, die hierhin kommen, um hier zu arbeiten, nur Gastarbeiter sind. Wir müssen davon ausgehen und alles dafür tun, dass diejenigen, die wollen, die Möglichkeit haben, sich in unserem Land zu integrieren, und zwar von der ersten Generation an."
Gibt es in Tschechien heute schon die so genannte "zweite Generation" der Zuwanderer?
"Ja, wir nehmen das in diesem Augenblick bei den vietnamesischen Zuwanderern wahr. Es ist eine Freude, zu sehen, wie gerade dieser Gruppe, von der immer gesagt wird, dass sie ganz verschlossen lebt, gelingt, bei den Kindern, die hoch motiviert sind, zu lernen, einen größeren Anteil auch an die weiterführenden Schulen zu bringen - auch an Gymnasien, mit der Perspektive, ein gutes Studium zu machen, sodass sich Einheimische langsam anstrengen müssen. Das ist aber eine Freude zu sehen, dass es offensichtlich gelingt, gerade bei dieser Gruppe der Vietnamesen, von der immer gesagt wird, dass sie nur für sich leben. Gerade hier scheint eine Öffnung weitgehend geschehen zu sein."Das Studium der Migration und Integration stellt für die katholische Kirche in Tschechien eine Herausforderung dar. Der Bischof von Hradec Králové, Dominik Duka dazu:
"In unserem Land gibt es ca. 250.000 Migranten und Gastarbeiter aus der Ukraine, aus Weißrussland, hinzu kommen die Flüchtlinge aus Asien. Unsere Gesellschaft war nach dem Zweiten Weltkrieg sehr homogen (es gibt wenige jüdische Gemeinden, die deutsche Bevölkerung wurde vertrieben). In dieser Situation kommen viele Leute zu uns - Ukrainer, Vietnamesen, Armenier. Ich bin davon überzeugt, dass es für die Kirche eine große Aufgabe und auch Pflicht ist, jetzt zu erklären und zeigen, dass wir eine Familie sind."
Haben Sie aus Ihrer Diözese Erfahrungen mit der Integration der Ausländer in die Gesellschaft?
"Ja. In unserer Diözese gibt es zwei Flüchtlingslager - in Kostelec und in Svetla. Wir haben auf der Ebene des Caritasverbandes unserer Diözese Kontakte angeknüpft. Wir organisieren immer eine Kulturwoche, zu der die Flüchtlinge und auch ausländische Studenten eingeladen werden. Sie stellen dabei die Kultur, aber auch z. B. die Küche ihres Landes vor. Wir beten gemeinsam in der Kathedrale, und stellen immer fest, wie viele Musiker unter ihnen sind. In unserer Diözese sind Familien aus Armenien tätig. Ostböhmen ist keine Industrieregion, da gibt es hier nicht so viele Gastarbeiter. Im Sommer sind bei uns Gastarbeiter aus der Ukraine in der Landwirtschaft tätig. Hier geht es oft auch um Fragen der Ethik und der sozialen Gerechtigkeit, wenn diese Menschen von den Firmen ausgenutzt werden."